Verfassungsschutz und Naziszene: Thüringer Kameraden
Helmut Roewer, bis zum Jahr 2000 Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, hielt sich V-Leute aus der Naziszene. Heute schreibt er für einen rechten Verlag.
BERLIN taz | Helmut Roewer war ein begeisterter Geheimdienstler - jedenfalls, solange es um Linksradikale ging. Nach sechs Jahren im Amt wurde er im Jahr 2000 vom Dienst freigestellt. Er stolperte über einen V-Mann aus der Thüringer Naziszene, der mit seinem Honorar rechte Propaganda finanzierte. In den Ermittlungen rund um die Nazi-Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gerät er wieder in den Mittelpunkt des Interesses.
Der vormalige Panzeroffizier und Ministerialrat im Bundesinnenministerium wurde suspendiert, nachdem bekannt geworden war, dass der wegen Volksverhetzung verurteilte Neonazi und frühere Thüringer NPD-Chef Thomas Dienel 1996/97 als V-Mann für ihn gearbeitet hatte. Insgesamt erhielt dieser 25.000 D-Mark für Informationen aus seinem Milieu; das Geld investierte er in rechtsextremes Propagandamaterial.
Dienel brüstete sich damit später in den Medien, das Geld habe er als "Spenden" für die rechte Szene betrachtet und dem Geheimdienst nie brauchbare Informationen geliefert. In Absprache mit dem Dienst will er eine Flugblattkampagne gegen einen linken Gewerkschafter finanziert haben.
Schon früher in seiner Amtszeit umgab sich Roewer mit zweifelhaften Spitzeln aus der rechten Szene. So wurde 2001 bekannt, dass der damalige NPD-Landesvize Tino Brandt seit 1994 als V-Mann tätig war. 200.000 D-Mark will er dafür erhalten haben. Das Geld soll unter anderem in den "Thüringer Heimatschutz" geflossen sein. Zu diesem Netzwerk gehörten auch die mutmaßlichen "NSU"-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und die in U-Haft sitzende Beate Z. Ob auch diese auf der Gehaltsliste des Verfassungsschutzes - oder eines einzelnen Verfassungsschützers - standen, wird derzeit untersucht.
Prozess wegen Betrug wurde eingestellt
Im Jahr 2003 klagte die Staatsanwaltschaft Erfurt Helmut Roewer wegen Betrugs und Untreue in 60 Fällen an. Er soll Scheinverträge im Gesamtwert von 250.000 Euro abgeschlossen haben. Der Prozess wurde wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt. Es wird gemutmaßt, dass Roewer eigene Quellen beschäftigt hat. Für die taz war Roewer am Montag nicht zu sprechen.
Heute lebt er als Publizist in Weimar und Italien. Im letzten Jahr schrieb er das Buch "Die Rote Kapelle und andere Geheimdienstmythen" über Spionage im Zweiten Weltkrieg. Veröffentlicht wurde das Buch im Grazer Ares-Verlag, der auch antisemitischen und rechtsextremen Autoren sowie Geschichtsrevisionisten eine Plattform bietet.
Für Thüringer Politiker ist Roewer noch heute ein Reizwort. "Mit ihm ist das ganze Problem des Thüringer Verfassungsschutzes bis 2000 beschrieben", sagt der SPD-Politiker Heiko Gentzel. "Der Mann hatte eine sehr freie Arbeitsauffassung. Ich traue ihm alles zu." Die parlamentarische Kontrolle des Geheimdienstes war nahezu unmöglich. "Wir Abgeordneten, die den Dienst überwachen sollten, haben unsere Infos damals aus den Medien erhalten. Eine Katastrophe", sagt Genzel. Er ist derzeit an der politischen Aufarbeitung in Thüringen beteiligt. Natürlich werde auch Roewer eine Rolle spielen.
Auch nach Roewers Entlassung ging das Chaos beim Geheimdienst weiter. Sensible Akten verschwanden aus den Panzerschränken des Dienstes. Der NPD-Spitzel Brandt wurde abgestellt, reaktiviert und wieder abgestellt. Monatelang war der Dienst fast handlungsunfähig. 2001 stand gar die Auflösung zur Debatte. Es scheint, als habe der Dienst ein Eigenleben entwickelt, als sei der Überblick verloren gegangen, wer welchen V-Mann beschäftigte.
"Es gab damals eine große Kumpanei zwischen Verfassungsschutz und Rechten, die haben sich ständig in freundlicher Atmosphäre getroffen", sagt Bodo Ramelow, Landesfraktionschef der Linken. Und er sagt: "Für mich steht fest, dass irgendein Dienst beim Untertauchen des Nazi-Trios die Finger im Spiel hatte."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an