Verfassungsschutz in der Schule: Glitzerbonbons vom Geheimdienst
Der Verfassungsschutz soll transparenter werden, fordern viele Bürger. In Brandenburg besucht die Behörde Schulen – und stößt damit auf Kritik.
LUCKENWALDE taz | Müssen 15-Jährige noch lernen, dass die Zahl 88 für „Heil Hitler“ steht? In der Klasse 9c des Friedrich-Gymnasiums in Luckenwalde kennen sich einige schon gut mit Neonazi-Codes aus. „Das weiß man doch“, sagt ein Schüler. Auch von der rassistischen Formel der „14 Words“ haben die Kids aus Brandenburg schon gehört.
„Ihr seid echt gut“, sagt Michael Hüllen und setzt seine Powerpoint-Präsentation fort. Es geht um die „Erlebniswelt“ Rechtsextremismus, die vierte Schulstunde hat gerade begonnen. Eine Kollegin verteilt Stifte und Bonbons. „Verfassungsschutz Brandenburg“ steht auf dem Glitzerpapier.
Hüllen ist Mitarbeiter der Sicherheitsbehörde. Ob Fachtagungen oder Vorträge auf Volksfesten: Kein anderer Geheimdienst engagiert sich so stark auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit. „Verfassungsschutz durch Aufklärung“ heißt die Devise im Potsdamer Innenministerium, und das beinhaltet auch Besuche an Schulen. Von 2008 bis 2012 referierte der Brandenburger Verfassungsschutz nach eigenen Angaben 83 Mal an Schulen, 2.230 Zuhörer seien erreicht worden.
Die Jugendlichen lernen etwas über die freiheitliche demokratische Grundordnung – und dass es Menschen gibt, die diese abschaffen wollen. „Die Demokratie ist auch schnell futsch“, erklärt Michael Hüllen den Kindern in Luckenwalde. Der Besuch ist der elfte Schultermin in diesem Jahr – und er stößt auf großes Interesse. Die Klasse 9c hört gespannt zu, als Hüllen über die Gefahr durch Neonazis und andere rechte „Gesellen“ referiert.
Rechte Gesellen
2012 zählte seine Behörde 1.140 Rechtsextreme im Land. „Wir haben mit Rechtsextremismus ein großes Problem in Brandenburg“, sagt Hüllen. Allein im Landkreis Teltow-Fläming, in dem Luckenwalde liegt, soll es 30 gewaltbereite Neonazis geben. „So viele?“ fragt ein Schüler den Sitznachbarn. Der nickt.
Nach dem Desaster um die rechte Terrorgruppe NSU fordern viele Bürger, dass der Verfassungsschutz transparenter wird. Ob die Öffnung nach außen auch Auftritte an Schulen beinhalten sollte, ist umstritten. In Erfurt protestierten 2012 Eltern und Schüler eines Gymnasiums gegen eine Ausstellung des Verfassungsschutzes. Sie sprachen der Behörde die Kompetenz für die Bildungsarbeit gänzlich ab.
„Bildung ohne Geheimdienst“ fordert auch das Demokratische Jugendforum Brandenburg (DJB) und gab vor kurzem eine Handreichung für Lehrer, Verwaltungen und Jugend- und Sozialarbeiter heraus. Der Verfassungsschutz versuche, sich selbst das Image einer unabhängigen und objektiven Institution zu geben. Aber er sei parteipolitisch keineswegs unabhängig.
Der Verfassungsschutz untersteht dem Potsdamer Innenministerium, das seit 1990 je nach Regierungskonstellation von SPD oder CDU geleitet wird. Dabei kommt es nach Ansicht des DJB zu einem mitunter bedenklichen personellen Austausch. Sven Petke etwa arbeitete von 1993 bis 1999 für den Brandenburger Geheimdienst und wurde später Generalsekretär der CDU. In dieser Zeit setzte Petke sich für eine geheimdienstliche Beobachtung der Partei Die Linke ein. Dann stürzte er über eine Affäre.
Keine politische Bildungsarbeit
Heiko Homburg, ein enger Vertrauter von Petke und früher Büroleiter des CDU-Fraktionsvorsitzenden, ist heute der Referatsleiter für Öffentlichkeitsarbeit beim Brandenburger Verfassungsschutz. Die Gefahr der parteipolitischen Instrumentalisierung sieht er nicht.
„Uns wird immer vorgeworfen, wir betrieben politische Bildungsarbeit“, sagt Homburg, der auch selbst Vorträge hält. „Das ist falsch.“ Die Behörde erfülle lediglich ihren gesetzlichen Auftrag: „Wir informieren über extremistische Bestrebungen.“ Auch Schulen hätten das Recht, sich darüber informieren zu lassen.
Im Gymnasium in Luckenwalde ist man davon überzeugt, dass die Besuche des Verfassungsschutzes sinnvoll sind. Die Unterrichtseinheiten seien „sehr ergiebig“ und das Feedback der Schüler immer positiv, meint Lehrerin Ulrike Krügler. „Sie sind oft total überrascht, wo ihnen im Alltag extremistische Strömungen und Handlungen begegnen.“ Die Vorträge des Verfassungsschutzes seien da häufig wie eine „erste Aufklärung“, sagt Krügler. Sie lehrt an dem Gymnasium das Fach Politische Bildung.
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