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Verdrängung bringt nichtsDie Bedürfnisse der Schwächsten

Kommentar von Franziska Betz

In Bremen fordern Anwohner*innen, Drogengebrauchende aus der Anlage eines Urban-Gardening-Projekts zu entfernen. Doch Verdrängung ist keine Lösung.

Damals war hier noch alles in Ordnung: Der Lucie-Flechtmann-Platz in der Bremer Neustadt im Jahr 2017 Foto: Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0

B ereits im vergangenen Sommer rief der Verein KulturPflanzen um Hilfe: „Wir fühlen uns unsicher, bedroht und überfordert“, schrieben die Stadt­gärt­ne­r*in­nen des Bremer Urban-Gardening-Projekts „Ab geht die Lucie!“ auf ihrer Homepage. Der Grund: Auf dem Lucie-Flechtmann-Platz in der Bremer Neustadt, der seit 10 Jahren als Garten genutzt wird, halten sich immer mehr Menschen auf, die Crack und andere Drogen konsumieren.

Die Aktiven der „Lucie“ beklagen herumliegendes Drogenbesteck und eine „zunehmend aggressive Szene“, die den Platz dominiert und die Klima-Bildungsarbeit des Vereins, vor allem mit Kindern und Jugendlichen, unmöglich macht. Die Überforderung der Stadt­gärt­ne­r*in­nen ist nachvollziehbar.

„Gebt uns die Lucie zurück!“, fordert nun die Petition eines Anwohners, die am Freitag im Petitionsausschuss der Bremischen Stadtbürgerschaft diskutiert wurde. Darin heißt es, der Platz sei „vermüllt“, die „Notdurft“ werde „in den umliegenden Hauseingängen verrichtet“ und die Zahl der „Einbruchdiebstähle in den anliegenden Wohnkomplexen“ sei „sprunghaft angestiegen“.

Sowohl der Petent Udo Schmitz, als auch die Stadt­gärt­ne­r*in­nen der Lucie vermuten die Verdrängungspolitik der Stadt am Hauptbahnhof als Ursache. Sie fordern, die Drogengebrauchenden nicht alleine zu lassen und Angebote zu schaffen. Langfristig fordern sie einen Szenetreff, kurzfristig ein mobiles Angebot für Drogengebrauchende. Dennoch klingt auch die Forderung von Schmitz, dass „die Drogenszene vom Lucie-Flechtmann-Platz weg in die Drogenakzeptanzräume gebracht wird“ nach Verdrängung.

Stadt­gärt­ne­r*in­nen sollen in Ruhe gärtnern können

Der Beirat Neustadt hat ähnliche Pläne und hat bereits im Dezember die Finanzierung eines alternativen Unterstands mit Toiletten, Abfalleimern und Beleuchtung am Rand des nahegelegenen Hohentorsparks beschlossen.

Klar, es ist wichtig, dass die Stadt­gärt­ne­r*in­nen von der Lucie in Ruhe gärtnern können, ohne gebrauchte Spritzen in ihren Beeten zu finden. Trotzdem werfen die Entwicklungen in der Bremer Neustadt Fragen auf, die sich auch auf andere Stadtteile übertragen lassen.

Macht eine Verschiebung der Szene in immer neue Toleranzräume die Situation langfristig für irgendjemanden besser? Wahrscheinlich nicht. Vor allem nicht für die Drogengebrauchenden selbst, die oft als Problem und viel seltener als Menschen wahrgenommen werden. Es ist keine zwei Monate her, dass es einen rechten Anschlag auf den Container am Lucie-Flechtmann-Platz gab. Unbekannte hatten ihn angezündet und mit rechten Parolen beschmiert.

Die Verwahrlosung von Drogengebrauchenden ist auch ein Produkt kapitalistischer Verhältnisse und eine Folge der Prohibition bestimmter Substanzen. Drogengebrauchende benötigen „Obdach, Substitution, niedrigschwellige medizinische Versorgung, Krankenversicherung, einen legalen Aufenthaltsstatus, saubere Kleidung, einen Ort zum Runterkommen“, fordert die Gruppe „Fix it“, eine Initiative von So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen aus der Drogenhilfe.

Bremen braucht eine Drogenpolitik, die auf die Bedürfnisse der Schwächsten eingeht und ihrer Verwahrlosung, die auch etwas mit kapitalistischen Verhältnissen zu tun hat – entschieden entgegentritt.

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Volontär*in taz nord
Seit September 2022 Volontär*in bei der taz nord in Hamburg. Hat Politikwissenschaften und Transkulturelle Studien an der Uni Bremen studiert.
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3 Kommentare

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  • "Macht eine Verschiebung der Szene in immer neue Toleranzräume die Situation langfristig für irgendjemanden besser?"

    Für die, die dann eben keine Spritzen, menschliche Exkremente oder sich im Rausch befindende Leute im Hauseingang mehr vorfinden, natürlich. Darf man nicht auch erst einmal einen Teil des Problems lösen?

  • "...fordern Anwohner*innen, Drogengebrauchende"

    Ich bin nun wirklich tolerant gegenüber gendergerechter Sprache, aber das ist langsam wirklich absurd. Anwohner*innen und Drogengebrauchende vs. Anwohnende und Drogengebraucher*innen. Spricht nicht doch manches dafür, dass Journalistende ihr Handwerkszeug, die Sprache, einigermaßen korrekt und auch konsequent gebrauchen sollten?

  • Thematisch etwas anders ausgelegt, aber dennoch relevant: "[W]ho are the recipients of such services, and who has access to this type of food [...] a white, middle-class phenomenon."

    (Naylor 2012: "Hired gardens and the question of transgression: lawns, food gardens and the business of ‘alternative’ food practice")