Verdachtsfälle Rassismus bei Polizei: Parolen, Runen, Chatgruppen
Wo und wann sind Polizist:innen durch rechtsextremes Gedankengut, Rassismus oder Antisemitismus aufgefallen? Die Liste der Vorfälle im Jahr 2020.
Die Polizei in Deutschland habe ein latentes Problem mit Rassismus. Das sagte im Sommer SPD-Chefin Saskia Esken und erntete Kritik. Wie viele Fälle ergeben ein „Problem“?
Eine Liste der Vorkommnisse aus 2020.
6. Januar 2020
Ein 29-jähriger Polizist, der von Hessen nach Berlin gewechselt ist, versendet in einem Gruppenchat rechtsextreme Inhalte. Im Februar wird er vom Dienst suspendiert.
9. Januar 2020
Der Polizeibeamte Stefan K. steht vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin, weil er privat unterwegs mit anderen Fußballfans einen 26-jährigen Afghanen aus rassistischen Motiven angegriffen haben soll. Es stellt sich heraus, dass K. Mitglied der Berliner Ermittler:innengruppe Rechtsextremismus war. Mutmaßlich war er auch in die Neuköllner Anschlagsserie involviert, bei der Privatpersonen, die sich gegen Rechtsextremismus und für Geflüchtete einsetzen, durch Brandanschläge verletzt wurden. Ein Disziplinarverfahren gegen K. läuft.
6. Februar 2020
Drei Auszubildende an der Hochschule der Sächsischen Polizei in Rothenburg grölen in einer Bautzener Wohnung bei offenem Fenster rechtsextreme Parolen. Alle drei Kommissaranwärter werden daraufhin aus der Hochschule entlassen, gegen sie wird strafrechtlich ermittelt.
21. Februar 2020
Der Verwaltungsbeamte Thorsten W., der im Verkehrskommissariat des Polizeipräsidiums Hamm eingesetzt war, soll die rechte Terrorzelle „Gruppe S“ finanziell unterstützt haben. Zuvor war er durch Reichskriegsflaggen am Balkon und weiterer Hinweise Kolleg:innen aufgefallen. Die Dienststelle unternahm offenbar nichts. Seitdem sitzt W. in Untersuchungshaft, er ist vom Dienst suspendiert.
29. Februar 2020
Aus einem Einsatzwagen tönen vor einer Synagoge in Aachen via Funk „Sieg-Heil“-Rufe. Sie stammen aus der TV-Serie „Hunters“. In einer Chatgruppe, die daraufhin aufgedeckt wurde, fanden Ermittler:innen Nachrichten mit verfassungsfeindlichen Symbolen. Zwei Polizisten werden schließlich vom Dienst suspendiert. Gegen drei weitere Polizist:innen aus der aufgedeckten Chatgruppe laufen Verfahren wegen Volksverhetzung und Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole.
März 2020
Bei einem Einsatz in einem Antiquitätenlager sollen zwei Berliner Polizisten ein antikes Radio gekauft haben, auf dem ein Hakenkreuz abgebildet ist. Ein Zeuge berichtet, die Beamten hätten sich explizit wegen des Hakenkreuzes für den Apparat interessiert. Die Abteilung Staatsschutz des Landeskriminalamtes ermittelt, es wird geprüft, ob ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird.
23. März 2020
Der Polizeibeamte Julius H. aus Hamm wird wegen des Verdachts auf Volksverhetzung suspendiert, ein Strafverfahren und ein Disziplinarverfahren gegen ihn laufen. H. ist der ehemalige stellvertretende Sprecher der AfD in Hamm.
24. April 2020
Der Polizist und AfD-Politiker Steffen Janich ruft im sächsischen Pirna zu einer Demonstration gegen die Coronamaßnahmen auf. Ein Mund-Nasen-Schutz wird bei der Versammlung Berichten zufolge von vielen Teilnehmer:innen nicht getragen. Auf Facebook verbreitet Janich derweil antisemitische Verschwörungserzählungen. Er wird vom Dienst suspendiert, ein Disziplinarverfahren läuft. Janich ist als AfD-Kandidat für die Bundestagswahl 2021 nominiert.
27. April 2020
In Bayern werden 67 Polizisten suspendiert, in 25 Fällen wird Anklage erhoben, unter anderem wegen der Zugehörigkeit zu „Reichsbürgern“ und wegen des Besitzes von Drogen und Kinderpornografie. Gegen sieben Polizisten erging ein Strafbefehl.
Juli 2020
Mehrere Drohmails mit der Unterschrift „NSU 2.0“ werden an Politiker:innen und Künstler:innen verschickt. Persönliche Daten sollen auf Polizeicomputern in Wiesbaden und Frankfurt abgerufen worden sein. Mehrere Polizisten wurden suspendiert, die Urheber:innen sind bis heute unbekannt. Recherchen der taz führen zu einem hessischen Polizisten. 2018 wurden bundesweit mehr als 400 Verfahren wegen unberechtigter Datenabfragen durch Polizist:innen eingeleitet.
20. Juli 2020
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Bodo Pfalzgraf ist laut taz-Recherchen in den 1990er Jahren in der rechtsextremen Szene umfassend vernetzt gewesen. Außerdem soll er Gründungsmitglied des „Hoffmann-von-Fallersleben-Bildungswerks“ gewesen sein, laut Verfassungsschutz eine „Tarnorganisation für Veranstaltungen von Rechtsextremisten und Neonationalsozialisten“. 2006 löste sich der Verein auf. Pfalzgraf ist weiter im Dienst.
22. Juli 2020
Gegen zwei Polizisten aus Brandenburg wird ein Disziplinarverfahren eröffnet. Sie hatten Datenabfragen ohne dienstlichen Bezug gestellt. Beide waren Mitglied im Verein Uniter, den das Bundesamt für Verfassungsschutz als Prüffall einstuft. Die Staatsanwaltschaft wurde gebeten, das Verhalten der Beamten auf strafrechtliche Relevanz zu prüfen.
16. September 2020
Nordrhein-Westfalen ermittelt gegen 31 Polizist:innen, die in Chatgruppen rassistisch gehetzt haben sollen. Der NRW-Verfassungsschutz nennt darin geteilte Bilder „Hardcore-Rechtsextremisten-Material“. 200 Beamt:innen durchsuchen 34 Polizeidienststellen und Privatwohnungen. 31 Polizist:innen werden suspendiert. Sichergestellte Datenträger werden noch ausgewertet.
18. September 2020
Zwei Polizisten aus Mecklenburg-Vorpommern werden suspendiert, wegen rechtsextremer Nachrichten in einem Chat. Gegen 17 Beamt:innen wird ermittelt. Laut dem damaligen Innenminister Lorenz Caffier gab es keine Hinweise auf ein Netzwerk. Caffier tritt zwei Monate später zurück, weil er eine Waffe bei einem mutmaßlich rechten Prepper kaufte.
1. Oktober 2020
Mehr als 25 Berliner Polizist:innen sollen sich in einer rechtsextremen Chatgruppe vernetzt haben. Recherchen von „Monitor“ (WDR) zeigen, dass ein Vorgesetzter informiert war, aber nicht wissen wollte, was in der Gruppe geteilt wurde. In einer Mail soll er die Beamten aufgefordert haben, keine strafrechtlich relevanten Inhalte zu teilen. Ein Straf- und Disziplinarverfahren gegen die Polizist:innen wird eingeleitet.
1. Oktober 2020
Ermittler:innen durchsuchen den Arbeitsplatz und die Wohnung eines Bielefelder Hauptkommissars. Er steht im Verdacht, rechtsextremes Material in einer Chatgruppe mit 50 Polizist:innen geteilt zu haben. Der Dienstausweis sei einzogen und die Führung der Dienstgeschäfte untersagt worden.
5. Oktober 2020
Bei einer Neonazidemonstration in Berlin trägt ein Polizeibeamter einen Aufnäher, der einen Spartanerhelm zeigt. Der Helm symbolisiert in der rechtsextremen Szene den Kampf gegen vermeintliche „muslimische Invasoren“. Die Polizei Berlin leitet ein Disziplinarverfahren ein.
5. Oktober 2020
Ein Beamter der Polizeidirektion Dresden hat sich einer Chatgruppe von Security-Mitarbeiter:innen rassistisch und rechtsextrem geäußert. Er wird vom Dienst suspendiert, ein Disziplinarverfahren läuft, er soll aus dem Dienst entlassen werden.
12. Oktober 2020
Mehrere Beamte der Landesbereitschaftspolizei Sachsen-Anhalt sollen einen auf dem Magdeburger Polizeigrundstück ansässigen Imbissbetreiber seit den 1990er Jahren als „Juden“ bezeichnet haben. Ein anonymer Hinweisgeber schrieb via E-Mail, dass „die komplette Dienststelle“ vom Fall gewusst hätte und keine Disziplinar- oder Strafverfahren eingeleitet worden seien. Der inzwischen zurückgetretene Innenminister Holger Stahlknecht kündigt schließlich eine Sonderkommission an, die nun institutionellen Antisemitismus in der sachsen-anhaltischen Landespolizei untersuchen soll.
14. Oktober 2020
Mehrere Studienanfänger:innen bei der Berliner Polizei sollen in einer Chatgruppe rassistische und antisemitische Nachrichten ausgetauscht haben. Hakenkreuze etwa und Shoa-Leugnungen. Gegen sieben Beschuldigte ermittelt die Staatsanwaltschaft, Disziplinarverfahren werden zudem eingeleitet. Sechs der Polizeistudent:innen müssen die Hochschule für Recht und Wirtschaft daraufhin verlassen.
Oktober 2020
Ein Kriminalbeamter in Traunstein, Abteilung Staatsschutz, hatte in seinem Büro Hakenkreuze, eine SS-Rune und Hitlerbilder hängen. Gegen einen Kollegen, der in einem Chat rassistische Nachrichten schrieb, leitete er kein Verfahren ein. Wegen Strafvereitelung und Verwendung von NS-Symbolen erhält er elf Monate auf Bewährung.
3. November 2020
20 mutmaßlich rechte Polizist:innen aus Berlin sollen aus dem Dienst entlassen werden. Sie hatten in Chatgruppen gegen Flüchtlinge gehetzt.
3. Dezember 2020
Anonyme Hinweisgeber:innen werfen dem Leiter der Polizeiinspektion im sachsen-anhaltischen Stendal Antisemitismus vor. Andreas Krautwald soll nicht nur die Bezeichnung „Jude“ für einen Imbissbesitzer auf dem Polizeigrundstück in Magdeburg toleriert haben. Er soll sich auch selbst gegenüber dem Mann antisemitisch geäußert haben. In einer Stellungnahme bezeichnet er die Vorwürfe als haltlos. Eine neugegründete Sonderkommission soll die Vorfälle aufarbeiten.
14. Dezember 2020
Der Skandal um rechtsextreme Verdachtsfälle bei der Polizei in NRW weitet sich aus. Nun stehen mehr als 200 Beamt:innen unter Verdacht. Die Suspendierungen von sieben Beamt:innen seien aufgehoben worden, derzeit sind noch 25 Beamt:innen suspendiert. NRW-Innenminister Reul versendet derweil 5.000 großformatige Kalender mit Artikel aus dem Grundgesetz an alle Polizeidienststellen im Land.
16. Dezember 2020
Vier Beamte der Landespolizei Schleswig-Holstein sollen in einer Chatgruppe rechtsextremes Gedankengut ausgetauscht haben. Den Ermittler:innen zufolge seien Sätze zu finden wie „Alle an die Wand – fertig!“ In zwei Fällen sei sogar Munition sichergestellt worden. straf-, dienst- und disziplinarrechtliche Ermittlungen laufen.
29. Dezember
Wohnungen von Beamten im Emsland und in der Grafschaft Bentheim werden durchsucht. Laut Polizeidirektion Osnabrück sollen drei aktive und ein pensionierter Polizist zahlreiche Bilder und Videos, teils mit Bezügen zu NS-Symbolen und fremdenfeindlichen Darstellungen, getauscht haben. Die aktiven Beamten seien vorläufig suspendiert. Eine gemeinsame Chatgruppe wie auch ein gemeinsames Netzwerk gebe es nach aktuellem Stand nicht, hieß es bei Redaktionsschluss.
Stand 29. 12. 2020 für alle Informationen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs