Verdachtsberichterstattung über Rapper: Berechtigtes Interesse
Ein Musiker mailt einem Konzertveranstalter Vorwürfe von Frauen gegen den Rapper Cr7z. Ein Berliner Gericht verhandelte nun darüber, ob er das durfte.
Zusätzliche Stühle müssen am vergangenen Dienstag im Landgericht Berlin in den Saal 143 getragen werden. So viel Aufmerksamkeit für ein Zivilverfahren an einem Mittag unter der Woche ist selten. An diesem Tag klagt der Soziologe und Musiker David H. gegen den deutschen Rapper Cr7z. Der rappt eigentlich über Frieden, bewegte sich aber im Umfeld von Verschwörungsideologe Xavier Naidoo.
In der Gerichtsverhandlung ging es ähnlich wie im Fall Till Lindemann darum, wann eine Verdachtsberichterstattung zulässig ist, wann Vorwürfe gegen einen Musiker, egal wie berühmt, öffentlich gemacht werden dürfen.
Wie man ihn denn nun genau ausspreche fragt Richter Dr. Wimmer-Soest am Anfang der Verhandlung. „Wie Criz, glaube ich“, sagt Marcel Leeser, der Verteidiger des Rappers Cr7z, der selbst nicht in Berlin erschienen ist. Leeser gehört zur Kanzlei Höcker, die auch schon andere Rapper gegen ähnliche Vorwürfe verteidigte. In der Verhandlung gibt Leeser zu Protokoll, dass sein Mandant Cr7z laut eigener Aussage noch nie eine Frau geschlagen und noch nie einer Frau Gewalt angetan habe.
Eidesstattliche Versicherungen abgegeben
Er widerspricht damit Vorwürfen von Frauen, die es, wie im Laufe der Verhandlung klar wird, auch gegen Cr7z gibt. Laut Richter Wimmer-Soest würden die strafrechtlich relevanten im Bereich der Nötigung liegen, andere Vorwürfe seinen nicht strafrechtlich relevant, bewegten sich im privaten Rahmen.
In einem in der Verhandlung zitierten Facebook-Post von 2018, der der taz vorliegt und nach wie vor online abrufbar ist, spricht eine Ex-Freundin von einer Gewalterfahrung. Vier Frauen haben eidesstattliche Versicherungen abgegeben, in denen sie mindestens zwei Vorfälle mit Cr7z im Jahr 2016 und 2018 schildern. Was genau passiert ist, wird in der Verhandlung nicht gesagt. Strafanzeige sei in keinem der Fälle erstattet worden.
Das ist der vage Informationsstand. Verhandelt wird am Landgericht Berlin aber nicht über die Fälle von mutmaßlich betroffenen Frauen. Es geht um eine E-Mail, die für Cr7z zu einer Konzertabsage führte.
H. hatte von Vorwürfen gegen Cr7z Wind bekommen, den Facebook-Post entdeckt, weitere mutmaßlich betroffene Frauen ausfindig gemacht und mit ihnen gesprochen. Er schrieb daraufhin eine Mail an einen Konzertveranstalter, der in Hamburg einen Auftritt von Cr7z geplant hatte. In seiner Mail zitierte er unter anderem aus dem Facebook-Post der Ex-Freundin und spricht von weiteren Frauen. Er bittet die Veranstalter um ein Statement. Kurz darauf wurde das Konzert aus „unvorhersehbaren Gründen“, wie es in einem Instagram-Post heißt, abgesagt. Im Verfahren kommt heraus, dass es zur Absage auch aufgrund von Druck durch Sponsoren gekommen sei. Auch an sie hatte H. dieselbe Mail geschickt.
Abmahnung nach Konzertabsage
Kurz nach der Konzertabsage bekam H. von der Kanzlei Höcker eine Abmahnung. Er solle die getätigten Aussagen, die bis dahin nur die Empfänger der Mail gelesen hatten, nicht weiterverbreiten. H. klagte gegen die Abmahnung. Diese Klage landete schließlich vorm Landgericht Berlin. Interessant an dem Fall ist, dass die Mail von H. als Verdachtsberichterstattung gewertet wurde, obwohl sie eigentlich nur für die Empfänger zugänglich war. Auch H. selbst sieht sich, sagt er im Prozess, nicht als Berichterstatter.
Richter Wimmer-Soest zählt im Laufe der Verhandlung noch einmal die vier Punkte auf, die die Voraussetzung für eine zulässige Verdachtsberichterstattung sind: ein Mindestbestand an Beweisen, keine Vorverurteilung, ein berechtigtes öffentliches Interesse und die Gelegenheit zur Stellungnahme.
Das Gericht sieht, auch das ist interessant, die ersten drei Punkte als erfüllt an – nur konfrontiert hatte H. Cr7z am Ende nicht mit den Vorwürfen. Laut eigener Aussage, weil er zu diesem Zeitpunkt nirgendwo zu erreichen war.
#MeToo-Vorwürfe finden ein großes öffentliches Interesse, sagte Wimmer-Soest während der Verhandlung. H. wird sie allerdings nicht mehr wie in der Mail formuliert äußern können. H. unterschrieb eine Unterlassungserklärung und muss zudem 20 Prozent, Cr7z 80 Prozent der Prozesskosten zahlen.
Was ihm aber gelungen ist: Dass es überhaupt mehrere Vorwürfe gegen Cr7z gibt, wäre ohne die durch seine Klage initiierte öffentliche Gerichtsverhandlung womöglich nicht bekannt geworden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Filmförderungsgesetz beschlossen
Der Film ist gesichert, die Vielfalt nicht