Verbraucherschutz in Spanien: Mehr Rechte bei Vorerkrankungen

Wer eine Krebsbehandlung hinter sich hat, muss das in Spanien nicht mehr offenlegen. Nicht alle EU-Länder folgen dieser Empfehlung des EU-Parlaments.

Detailaufnahme eines Arms mit einer Infusionsnadel

Krebspatientin in Toledo, Spanien Foto: Antonio Sanchez/Cavan Images/laif

MADRID taz | Wer vom Krebs geheilt ist, muss ab Juni in Spanien die Krebserkrankung nicht mehr angeben. Das Recht auf Vergessen setzt Madrid per Verbrauchergesetz um. Alle auf der onkologischen Vorgeschichte basierenden Klauseln werden in Verträgen für nichtig erklärt.

„Dieses Recht kommt allen Menschen zugute, die ihre Krebsbehandlung fünf Jahre vor dem Datum einer Vertragsunterzeichnung abgeschlossen haben, ohne dass es zu einem Rückfall kommt“, so Regierungschef Pedro Sánchez kürzlich im Treffen mit Betroffenenverbänden. Dies bedeute, „dass die Patienten nicht mehr diskriminiert werden, wenn es um den Abschluss eines Wohnungskredits oder den Zugang zu Versicherungen geht“.

In Spanien gelten rund 2,2 Millionen Menschen als vom Krebs geheilt. Selbst Erwachsene, die als Kind Krebs hatten, mussten das bisher als Vorerkrankung angeben. „Das ist ein großer Fortschritt“, sagt Elordi García. Die heute 45-Jährige erkrankte vor zehn Jahren an Leukämie. „Als ich wieder gesund war und einen Wohnungskredit beantragte, gab mir keine Bank die dazugehörende Lebensversicherung, die das Darlehen absichert“, erinnert sie sich. Nur eine Bank bewilligte den Kredit „allerdings ohne Versicherung und zu einem Zinssatz, der rund 40 Prozent höher war“.

Nur einige Länder haben die EU-Empfehlung gefolgt

Spanien setzt damit eine Empfehlung des Europaparlaments von Anfang 2022 um, nach der alle Mitgliedstaaten bis 2025 das Recht auf Vergessen von Krebserkrankungen einführen sollen. Bisher haben dies Frankreich, Belgien, die Niederlande, Rumänien sowie Italien und Portugal getan. Die Fristen setzt Spanien enger als die anderen EU-Länder. Dort müssen Geheilte zehn Jahre auf das Vergessen warten, doppelt so lange wie ab jetzt in Spanien.

Jedes Jahr wird bei 280.000 Menschen in Spanien Krebs diagnostiziert. 50 Prozent der männlichen Patienten und 60 Prozent der weiblichen werden langfristig geheilt. Die bisherige Diskriminierung ist weitreichend, das zeigt die Studie „Junge Menschen und Leu­kämie“ (2022) der von Opernsänger Josep Carreras gegründeten Stiftung gegen Leukämie. „8 von 10 Überlebenden unter 39 Jahren haben Schwierigkeiten bei Verträgen über Bank- oder Versicherungsprodukte“, resümiert Carreras, der mit 40 selbst an Blutkrebs erkrankte. „Der gleiche Anteil hat Schwierigkeiten bei Fruchtbarkeitsbehandlungen oder Adoptionen“, schreibt er.

Mathias Freund, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs

„In Deutschland stehen wir in dieser Frage leider erst am Anfang“

Auch auf dem Arbeitsmarkt tun sich Geheilte aller Altersstufen schwer. 21 Prozent der Erkrankten müssen aufhören zu arbeiten und weitere 14 Prozent sehen sich gezwungen, den Job zu wechseln. „Natürlich bist du nicht verpflichtet, bei der Arbeitssuche über deine Krankheiten zu reden, aber wie erklärst du, dass du mehrere Jahre nicht aktiv warst?“, fragt García. „Und selbst bei der in Spanien geltenden periodischen Erneuerung des Führerscheins werden ehemalige Krebspatienten diskriminiert“, weiß García aus eigener Erfahrung: „Wir müssen alle drei Jahre zum Sehtest und psychologischen Eignungstest.“ Der Rest der Bevölkerung muss das bis zum Alter von 65 alle zehn, ältere alle fünf Jahre.

Für die Spanische Vereinigung gegen Krebs, dem größten Betroffenenverband, bedeutet „das Recht auf Vergessen einen großen Schritt in Richtung sozialer Absicherung“. Bei der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs schauen sie neidisch. „In Deutschland stehen wir in dieser Frage leider erst am Anfang“, erklärt Mathias Freund, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung. Laut deutschem Versicherungsvertragsgesetz müssen Fragen zur Gesundheit immer wahrheitsgemäß beantwortet werden. „Vorsichtig geschätzt gibt es in Deutschland etwa 400.000 Langzeitüberlebende im Alter von bis zu 39 Jahren, für die ein Recht auf Vergessen hochrelevant wäre“, sagt Freund.

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