Veränderungen bei der VG Wort: Ein Nullsummenspiel
Autoren jubilieren, weil künftig nur noch sie von der Verwertungsgesellschaft profitieren und nicht mehr die Verlage. Sie freuen sich zu früh.
Jetzt muss also das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob die deutsche Kulturlandschaft erhalten oder die Autoren des Landes aus der Knechtschaft raffgieriger Verleger gerettet werden – so jedenfalls die zwei gängigen Lesarten des seit Jahren schwelenden Rechtsstreits zwischen der Verwertungsgesellschaft (VG) Wort und dem wissenschaftlichen Autor Martin Vogel.
Die VG Wort kassiert, vereinfacht gesagt, Gelder für die Nutzung von Texten. Die werden einmal im Jahr zum 1. Juli verteilt, bislang an Autoren und Verlage. Gegen diese Verlagsbeteiligung klagte Vogel durch alle Instanzen und bekam schließlich vom Bundesgerichtshof Recht. Die Verlage würden also zukünftig von der Beute nichts mehr abbekommen und müssten drei Jahrgänge zurückzahlen, die aufgrund des anhängigen Rechtsstreits nur unter Vorbehalt überwiesen worden waren.
Die Verlage beschworen daraufhin eindringlich, dass sie auch wesentlichen Anteil am fertigen Text und Beteiligung verdient hätten. Während sich eine ganze Reihe von Autoren dieser Argumentation anschloss, wurde von anderer Seite kräftig gegengehalten. Am pointiertesten durch den Schriftsteller Marcus Hammerschmitt in „konkret“: „Um diesen Stuss unter die Leute zu bringen, benutzt man vorzugsweise die komplett Ahnungslosen und die bis zur Besinnungslosigkeit Überangepassten unter den Autoren selbst“, eine „Hiwi-Brigade“ der Verleger, die sich nämlich verhalte „wie ungerechtfertigt Privilegierte aller Zeiten, denen viel zu lange nicht widersprochen worden ist.“
Den Autoren wird's nichts nutzen
Viva la revolución! Endlich wird den sinnlos privilegierten Verlegern mal gezeigt, wo der Hammer hängt. Oder? „Komplett ahnungslos“ ist eher, wer ernsthaft glaubt, das Urteil würde den Autoren dauerhaft Vorteile bringen. Denn der Gedanke, dass die Verleger dann halt zukünftig zähneknirschend die Drittlimousine in der Garage stehen lassen, damit die darbenden Autoren sich alljährlich über einen warmen Geldregen freuen können, ist bestenfalls naiv. Bücher (wie natürlich auch Internet-Texte) sind ganz normale Produkte, so ungern das die sensiblen Kulturschaffenden auch hören mögen, die im Kapitalismus nun einmal unter ökonomischen Bedingungen entstehen.
Wenn die Verlage bislang Geld von der VG Wort bekamen, so haben sie sich das nicht zusätzlich in die Tasche gesteckt, sondern in ihre betriebswirtschaftlichen Kalkulationen einbezogen. Fehlt es zukünftig, wird diese Summe an anderer Stelle eingespart – beispielsweise an den Autorenhonoraren. Mit anderen Worten: Das Geld, das die Autoren mehr bekommen, wird ihnen langfristig an anderer Stelle fehlen. Ein Nullsummenspiel.
Weshalb die ganze Aufregung eigentlich albern wäre. Wäre da nicht ein wesentlicher Faktor: Die Änderung des Verfahrens wird zweifellos eine Reihe von Verlagen in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen. Denn anders als das Bild vom privilegierten Geldraffer suggeriert, arbeiten viele Kleinverlage unter prekären Verhältnissen. Die aktuellen Autorenverträge sind nun einmal unter den bestehenden Rahmenbedingungen, also mit VG-Wort-Anteil für den Verlag, verhandelt worden. Fällt dieser plötzlich rückwirkend aus, kippt die Kalkulation. Außerdem wurde das Geld, das unter Vorbehalt ausgezahlt wurde, gerade bei kleinen Verlagen kaum als Rücklage auf die hohe Kante gelegt, sondern in den Betrieb investiert. Spätestens die Rückforderung dürfte jetzt vielen dieser wirtschaftlichen Borderlinern das Genick brechen.
Dieser Transformationsprozess wird aber am Ende nicht die Autoren besser- und die Verleger schlechterstellen, sondern nur die ohnehin schon Schlechtergestellten auf beiden Seiten noch tiefer in den Abgrund stoßen. Wenn Nischenverlage sterben, sterben auch die Nischen. Womit weniger prominente oder in weniger populären Sachgebieten arbeitende Autoren ihre Geschäftsgrundlage verlieren. Die Folge wird ein weiterer Konzentrationsprozess sein. Die Großverlage verlieren ein paar lästige Konkurrenten, während die Kleinen jenseits des Mainstreams ausscheiden – womit deren Autoren ihre Publikations- und Verdienstmöglichkeiten verlieren. Und das im Wesentlichen nur für eine einmalige Nachzahlung aufgrund eines Urteils, mit der sie dann vielleicht einen Teil der Umschulungskosten für eine neue berufliche Existenz bezahlen können.
Nicht Herrn Vogel sei Dank
Gleichwohl: Die bisherige Verteilungspraxis der VG Wort ist, darauf deutet alles hin, rechtswidrig. Und natürlich muss man ihr vorwerfen, dass sie in den langen Jahren, in denen dieses Urteil absehbar war, stur auf ihrer Position beharrt und dabei erstaunliche Summen in Rechtsstreitigkeiten verbraten hat. Diese Fehler aber nun von den schwächsten Gliedern der Kette bezahlen zu lassen, nämlich den Kleinverlagen und ihren Autoren, wäre nicht nur absurd, sondern tatsächlich ein schmerzlicher Verlust für die Kulturlandschaft, die halt doch etwas vielschichtiger sein sollte als die schöne neue Blogwelt der Internet-Aktivisten.
Übrigens: Wenn die Autoren heute zum jährlichen Ausschüttungstag auf ihr Konto schauen und sich über eine satte Extra-Zahlung freuen, dann haben sie diese nicht Herrn Vogel zu verdanken, wie einige in den sozialen Netzwerken jetzt jubeln, sondern der VG Wort. Die hat nämlich gerade einen anderen Rechtsstreit mit einem Gerätehersteller gewonnen und die daraus resultierenden Millionen verteilt. Das Geld aus dem Vogel-Urteil hingegen wird wohl noch eine Weile auf sich warten lassen, wenn es überhaupt jemals kommt. Denn soeben hat der Verlag C.H. Beck verlautbart, dagegen vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Vermutlich wird es den ersehnten zusätzlichen Schluck aus der Pulle für die Autoren also erst in einiger Zeit geben – hoffen wir mal, dass viele von ihnen dann nicht mit einem ordentlichen Kater aufwachen, weil ihre Verlage bis dahin längst dichtgemacht haben.
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