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Veränderte Kräfteverhältnisse in SyrienPutins Krieg gegen Aleppos Hoffnung

Das syrische Regime hat mit Russlands Kriegseintritt neuen Mut zur Offensive geschöpft. Für die Menschen in Aleppo ist das eine Katastrophe.

Soldaten der Freien Syrischen Armee tragen eine verwundete Frau ins Krankenhaus in Aleppo. Foto: ap

Berlin taz | „Das Einzige, was ich auf den Gesichtern der Menschen gesehen habe, waren Angst und Wut“, sagt Zaidoun al-Zoebi. Gerade ist der Generalsekretär der Internationalen Union Syrischer Medizinischer Hilfsorganisationen (UOSSM) aus dem südlichen Umland von Aleppo zurückgekehrt.

Dort war der kleine Mann mit der dunklen Hornbrille Tausenden Dorfbewohnern begegnet, die vor russischen Luftangriffen flohen. Mit ihren insgesamt 600 Angestellten und einem Netzwerk aus Medizinern, humanitären Helfern und Aktivisten im Land erhält die UOSSM aus vielen Orten direkte Informationen. Sie gilt als größte in Syrien arbeitende NGO.

„Sie laufen davon, ohne zu wissen wohin“, erzählt al-Zoebi, der inzwischen vom türkischen Gaziantep aus versucht, Hilfe zu organisieren. Der Himmel sei voller Kampfjets und Helikopter gewesen. Die Zahl der Vertriebenen schätzt al-Zoebi auf 70.000. Viele von ihnen seien auf offenem Feld unterwegs, hätten nichts zu essen und würden unter freiem Himmel schlafen.

Mit den Angriffen südlich von Aleppo treibt das syrische Regime einen Feldzug voran, dessen Ziel die komplette Abriegelung des oppositionellen Teils der Stadt ist.

Die einstige Wirtschaftsmetropole ist seit 2012 in einen vom Regime kontrollierten Westen und einen von verschiedenen Brigaden der Freien Syrischen Armee (FSA) gehaltenen Osten geteilt, der täglich bombardiert wird.

Nachschubwege in Gefahr

Dort sitzen ausschließlich syrische Kämpfer, die in Kontakt mit der politischen Führung der Nationalen Koalition stehen und nicht mit der Al-Nusra-Front, dem Al-Qaida-Ableger, zusammenarbeiten. Noch immer leben 300.000 Menschen im Osten der Stadt, sie werden über das nördliche Umland aus der 50 Kilometer entfernten Türkei versorgt. Diese Nachschubwege sind nun in Gefahr.

Seit dem Kriegseintritt Russlands Anfang Oktober traut sich das zuvor schwer bedrängte syrische Regime wieder in die Offensive. Zunächst griffen russische Kampfjets Gebiete in den Provinzen Homs, Hama, Idlib und Lattakia an, die von moderaten und zum Teil von den USA unterstützten Rebellengruppen kontrolliert werden.

Am Donnerstag, den 8. Oktober, begann Assads Vormarsch auf Aleppo, der am Boden massiv von ausländischen Truppen unterstützt wird – von iranischen Soldaten, libanesischen Hisbollah-Kämpfern, afghanischen sowie irakischen Söldnern und womöglich auch russischen „Freiwilligen“.

Im Norden der Stadt feuerte Russland Raketen auf vier von den Rebellen kontrollierte Orte ab und vermied es dabei, die nahe gelegenen Stellungen des „Islamischen Staats“ (IS) zu treffen. Sowohl das Regime als auch die Dschihadisten konnten daraufhin auf Aleppo vorrücken.

Russische Flugzeuge bombardieren Klinik

Bei einem Luftangriff im Nordwesten Syriens haben russische Kampfjets nach Darstellung von Menschenrechtlern ein Krankenhaus getroffen. Dabei seien 13 Menschen getötet worden, unter ihnen zwei Krankenhausmitarbeiter, teilte die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Mittwoch mit. „Der Angriff ereignete sich am Dienstagabend im Ort Samin“, hieß es. Die Angaben konnten von unabhängiger Seite nicht überprüft werden.

Die Klinik wird von der syrisch-amerikanischen Gesundheitsorganisation SAMS geführt. Die Organisation bestätigte den Angriff auf ihrer Facebook-Seite, machte aber keine Angaben zur Herkunft der Kampfflugzeuge. Moskau wies die Berichte am Donnerstag mit Nachdruck zurück. (dpa)

Bewohner Aleppos fordern Einheit der Rebellenführer

Russland stelle dem IS eine Luftwaffe, urteilten internationale Beobachter, und übernehme damit Assads Strategie. Dessen Kampfjets bombardierten bereits mehrfach Orte, die gleichzeitig vom IS am Boden angegriffen wurden, etwa die ebenfalls nördlich von Aleppo liegenden strategisch wichtigen Städte Azaz und Marea.

Die verschiedenen FSA-Einheiten saßen in der Falle. Eingeschlossen zwischen einer von Russland unterstützten Regimeoffensive und den Angriffen des IS blieb ihnen nur der Rückzug. Mangelnde Einheit und zu wenig Unterstützung von den Amerikanern machte ein Kommandeur der Miliz Dschabha al-Schamia dafür verantwortlich. Seine FSA-Brigade hatte die Frontlinie bis zuletzt gehalten.

Die Bewohner Aleppos protestierten wütend. Sie kritisierten Unfähigkeit und Zerstrittenheit der Rebellenführer und forderten angesichts der massiven Bedrohung eine bessere Zusammenarbeit. In einem Videostatement riefen Aktivisten die verantwortlichen Befehlshaber zum Rücktritt auf und forderten die Bildung eines „kompetenten“ Zentralkommandos zur Koordinierung der verschiedenen Brigaden. Daraufhin trat tatsächlich einer der Rebellenführer zurück.

Waffennachschub für die Rebellen

Erst im April 2015 hatten sich 31 FSA-Einheiten zum Kommandozentrum Fatah Halab (Aleppos Sieg) zusammengeschlossen – mit mäßigem Erfolg, wie die aktuellen Verluste zeigen. Inzwischen haben die Rebellen sich angeblich reorganisiert und Einsatzgebiete neu zugeordnet.

Außerdem haben sie Nachschub erhalten – Munition, Panzerabwehrraketen, Mörsergranaten und Raketenwerfer, wenn auch nicht genug, sagen mehrere Kommandeure.

Ob die Lieferungen von den USA, von Saudi-Arabien, der Türkei oder Katar stammten, ist unklar. Aber angesichts der massiven Einmischung Russlands erscheint es naheliegend, dass sowohl Washington als auch die regionalen Unterstützer der Gegner Assads ihre Verbündeten vor Ort besser ausstatten.

Vom Süden aus will das Regime nun den Belagerungsring um Aleppo schließen, indem es die Gebiete, die im Norden und Westen von den Rebellen kontrolliert werden, erobert. Damit sendet Assad zugleich eine Botschaft an die Welt: dass er mit russischer Luftunterstützung sehr wohl Territorium zurückgewinnen kann.

Strategie des Aushungerns

Im Ostteil Aleppos lösen die Nachrichten von den vorrückenden Regimetruppen Angst aus. An Raketenangriffe und Fassbomben des Regimes haben sich die Menschen inzwischen gewöhnt – so wie an den Tod als ihren ständigen Begleiter. Aber die militärische Schlagkraft einer Supermacht wie Russland in Verbindung mit iranisch geführten und international aufgestockten Bodentruppen hat eine neue Qualität.

„Die Situation ist sehr gefährlich“, sagt Dr. Abdelaziz. Er ist einer von drei Dutzend Ärzten, die im Osten Aleppos unterirdisch arbeiten, weil alle Krankenhäuser zerstört sind. „Der IS steht ein Kilometer vor der Stadt und Russland greift nur FSA-Brigaden an“, schimpft er. Assad und der IS ließen sich in Ruhe, obwohl sie sich im Umland von Aleppo direkt gegenüberstünden, fügt der Chirurg hinzu.

Dr. Abdelaziz, der zusammen mit der UOSSM die Versorgung der Untergrundkliniken in Aleppo organisiert, mag sich nicht vorstellen, was eine Abriegelung für Folgen hätte. „Wir beziehen unseren gesamten medizinischen Nachschub aus der Türkei“, sagt er. Die von Rebellen kontrollierte Verbindung zwischen Aleppo und der Grenze sei die Lebensader der Stadt. Würde sie gekappt, wären Hunderttausende Zivilisten dem Regime ausgeliefert.

Das hat mit der Strategie des gezielten Aushungerns ganzer Stadtteile und Dörfer schon andernorts Rebellen in die Knie gezwungen. Landesweit sind bislang mehr als 600 Zivilisten an Unterernährung und fehlender medizinischer Versorgung gestorben.

Vom Ende der Hoffnung

Für die Menschen im Großraum Aleppo ist die Regimeoffensive schon jetzt eine Katastrophe. Drei Krankenhäuser habe die russische Luftwaffe bis jetzt angegriffen, sagt UOSSM-Generalsekretär al-Zoebi. Eines davon hat er selbst besucht.

„Die Menschen fliehen, weil sie Todesangst haben – vor den russischen Luftschlägen und Assads Truppen.“ Der UOSSM-Generalsekretär ist sicher: Wenn die Welt nichts unternimmt, um den Krieg zu stoppen, oder zumindest Zivilisten und Krankenhäuser zu schützen, werden sich in den kommenden Monaten Hunderttausende Syrer auf den Weg nach Europa machen. „Durch die Intervention Russlands haben die Syrer endgültig die Hoffnung verloren.“

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10 Kommentare

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  • Ich denke, dass es journalistisch möglich ist, die Kriegsführung des Assad-Regimes und seiner Verbündeten journalistisch zu begleiten, die Auswüchse (Fassbomben, Hungerblockaden) deutlich zu kritisieren und Lösungen (diplomatischer Natur und/oder Flugverbotszonen) zu fordern, ohne sich auf die Seite einer Bürgerkriegspartei zu stellen. Die Tatsache, dass kritische Informationen leichter aus der Hand der Rebellen kommen darf nicht dazu führen, ihre Aufbereitung der Information kommentarlos zu übernehmen. Eine Übersicht über die vom IS produzierten Hinrichtungsvideos zeigt deutlich, dass die Mehrzahl der so grausam Exekutierten keine westlichen Journalisten oder Entwicklungskämpfer, sondern Soldaten der Assad-Armee sind - so zuletzt wieder bei dem makabren Schauspiel im Amphitheater von Palmyra. Das ähnliche Problem vom massenhaften Auftauchen angeblich gemäßigter Rebellen in der deutschen Presselandschaft seit dem Beginn der russischen Intervention wurde schon angesprochen und bezeugt in gleicher Weise eine auf den Westen bezogene Berichterstattung. Unsere Topoi von der wünschenswerten Beendigung einer Tyrannenherrschaft durch eine demokratische Revolution sind aber nicht weniger journalistisch problematisch, wenn sie orientalistisch daher kommen.

  • [...] Kommentar entfernt, bitte beachten Sie die Netiquette. Die Moderation

  • "...der am Boden massiv von ausländischen Truppen unterstützt wird – von iranischen Soldaten, libanesischen Hisbollah-Kämpfern, afghanischen sowie irakischen Söldnern und womöglich auch russischen „Freiwilligen“."

     

    Und die Klingonen werden wieder vergessen.

     

    "Zunächst griffen russische Kampfjets Gebiete in den Provinzen Homs, Hama, Idlib und Lattakia an, die von moderaten und zum Teil von den USA unterstützten Rebellengruppen kontrolliert werden."

     

    Ist es zu fassen? Die taz hat doch in dem Monaten vor dem Eingreifen Russlands selbst gemeldet, dass IS, Nusra & Co. in diesen Provinzen massiv vorgerückt sind und dass die "moderaten Rebellen kaum noch existieren. Wie kann man so vergesslich sein?

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Na gut, eigentlich wollte ich diese Hetzpropaganda nicht auch noch mit einem Kommentar aufwerten. Aber wenn Sie schon die phantomgleichen gemäßigten Kämpfer erwähnen, die die Autorin „...syrische Kämpfer, die [...] nicht mit der Al-Nusra-Front, [...] zusammenarbeiten.“ nennt:

      Es lohnt sich die genannten Namen dieser „Gemäßigten“ einmal zu googeln.

      Wenn Sie mit der von Frau Helberg zuerst erwähnten „Dschabha al-Schamia“ anfangen, finden Sie nichts. In anderer Schreibweise (Jabhat al-Shamiya) allerdings einen Wikipedia-Eintrag, der eindeutig sagt, daß dieses Bündnis (keine Miliz !), das sich auch „Levant-Front“ nennt, das ganze Spektrum von Hardline-Salafisten bis zu Teilen der FSA beinhaltet.

      Auch bei der nächstgenannten Gruppe „Fatah Halab“ werden Sie in Wikipedia fündig. Diese Gruppe ist nicht, wie von Frau Helberg beschrieben, ein FSA-Kommandozentrum, sondern ein Bündnis, das durchaus auch islamistische Gruppen enthält.

      Soviel also zu journalistischen Qualität dieses Artikels.

      • @jhwh:

        Eigentlich lese ich die taz, weil sie mal einigermaßen "links" war, ohne in Spinnereien abzugleiten. Allerdings häufen sich in letzter Zeit Artikel, bei denen man sich fragt, ob man richtig gelesen hat. Dieser hier zählt dazu.

         

        Interessant finde ich auch, dass hier Diskussionsbeiträge gelöscht werden, die zwar nicht unbedingt für den 5-Uhr-Tee bei der Queen geeignet wären, aber auch keine verbale Katastrophe darstellten. Ein Beitrag in dem mir vor einiger Zeit gedroht wurde, dass ich auch noch dran komme, blieb dagegen stehen.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          ...obwohl solche Drohungen anzeigen, daß der Gegenseite die Argumente ausgehen, sind sie doch ein Grund mehr, anonym zu bleiben. Ich werde die Mail-Adresse in meinem Profil wohl auch noch heute löschen...

  • [...] Kommentar entfernt, bitte achten Sie auf Ihre Wortwahl. Die Moderation

  • Welche Lösungen gibt's da noch? Der zerstrittene Rat der Rebellen packt's nicht, und wenn da was wäre, was sich vom Westen substantiell unterstützen ließe, wären die Waffen nicht alle beim IS gelandet. Die Wahl ist also: Entweder Assad - oder ein auf Druck Moskaus benannter Nachfolger von Assad, oder IS, oder Staatszerfall.

    Ganz egal, wie die taz jammert: entweder kann Putin mit Assad den Krieg beenden, oder es gibt dort einen eventuell dreißigjährigen Stellvertreterkrieg - mit modernen Waffen.

    An letzterem arbeiten - mindestens mit ihren vergrößerten Waffenliefrungen - gerade wieder die Amerikaner.

    Was ist los, taz? So gar nichts aus dem Schicksal von Libyen gelernt?

  • "Assad und der IS ließen sich in Ruhe"

    Falsch! Fast jeden Tag gibt es Angriife von IS auf Deir-Azzur und Kuweiras - Militärbasen der Syrischen Armee. Und Wer hat "Palmyra" von wen erobert?

  • ""Aber die militärische Schlagkraft einer Supermacht wie Russland""

    Auf einmal Supermacht? keine "´Regionalmacht " mehr ?