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Ve­ne­zo­la­ne­r*innen in Berlin„Diktaturen fallen nicht durch Wahlen“

Tausende Ve­ne­zo­la­ne­r*in­nen leben in Berlin. Seit den Wahlen am Sonntag bangen sie um ihre Freun­de und Angehörigen vor Ort. Drei Protokolle.

Venezolanische Fahne während einer Demo der Opposition gegen die offiziellen Wahlergebnisse in Caracas Foto: Jonathan Lanza/NurPhoto/imago

Guillermo Carrasquero, 29, Künstler aus Caracas: „Ich würde so gerne mitkämpfen“

Die Straßen meiner Stadt brennen. Die Menschen sind in Aufruhr. Einerseits ist es traurig, weil sie Gewalt anwenden und töten, andererseits ist es der einzige Weg, gegen die Diktatoren anzukämpfen. Ich würde jetzt so gerne in Caracas sein und mitkämpfen. Es fühlt sich so entkräftend an, in Berlin zu sitzen und nichts tun zu können.

Guillermo Carrasquero Foto: Foto: Alejandro Pinto

Ich kam 2017 nach Berlin. Mein Vater war politischer Stratege für die Oppositionspartei. Ich verließ Venezuela, weil ich wusste, dass ich mir woanders eine bessere Zukunft aufbauen könnte. Ich landete auf Umwegen in Berlin und wusste sofort, dass ich hierbleiben wollte.

Hier hatte ich endlich das Gefühl, eine Stimme zu haben. Aber mit meinem venezolanischen Pass konnte ich kein Arbeitsvisum beantragen, also lebte ich die ersten Jahre illegal hier und verkaufte meine Kunst auf der Straße. Dann erhielt ich die spanische Staatsbürgerschaft und durfte in Berlin arbeiten. Heute bin ich Universitätsprofessor, Künstler und Tätowierer.

Ich habe mir hier ein tolles Leben aufgebaut, aber ich denke jeden Tag an Venezue­la. Egal wie wohl ich mich irgendwo anders fühle, dieses Gefühl von Heimat habe ich nur dort. Ich liebe mein Land, deshalb kann ich mir trotz allem vorstellen zurückzugehen. Ich fühle mich auch dazu verpflichtet, all die Dinge, die ich im Ausland gelernt habe, zurückzubringen. Das nicht zu tun fühlt sich manchmal scheinheilig an. Aber es ist auch nicht leicht zurückzugehen.

In den letzten zehn Jahren war ich dreimal in Venezuela. Das erste Mal war 2016, damals wurde ich vom Militär gekidnappt. Ich war mit Freunden wandern, wir wurden vom Militär abgefangen und stundenlang in den Bergen festgehalten. Wir mussten uns ausziehen und vor gezückter Waffe tanzen. Sie raubten uns aus und zwangen uns dazu, ­Überweisungen zu tätigen, dann ließen sie uns gehen. Es war der reinste Psychoterror.

Nach dieser Erfahrung war ich so traumatisiert, dass ich sieben Jahre lang nicht nach Hause zurückgekehrt bin. Keine noch so große Liebe zu meinem Land ist eine solche Erfahrung wert.

Es wäre so schön gewesen, vergangenen Montag aufzuwachen und sagen zu können: Wir haben gewonnen. Sie haben uns die Macht gegeben. Aber ich wusste, dass sie die Macht nicht aus der Hand ­geben ­würden, unabhängig vom Wahl­ausgang. Maduro lügt die ganze Welt an, niemand unternimmt etwas dagegen und es bleibt dasselbe totalitäre System. So geht das seit 25 Jahren. Es macht einen verdammt traurig.

Nach all dem Schmerz und allem, was wir durchgemacht haben, blicke ich zynisch und realistisch auf die Situation. Und trotzdem ist da noch ein Funke Hoffnung. Wir haben so sehr gehofft, dass es einen Wandel geben würde und wir Teil dieses Wandels sein könnten. Dass wir das Land wieder aufbauen und investieren könnten, Unternehmen gründen, neue Ideen entwickeln, neue Kunst, neue Musik, neue Kultur. Aber mit der Betrugswahl haben sie uns diese Möglichkeit genommen.

Was jetzt passieren wird, weiß keiner. Ich will das Beste hoffen, aber das Schlimmste erwarten, um nicht wieder in eine lange Depression zu fallen.

Andrea Palacios, 31, Produktionsdesignerin aus Caracas: „Ich fühle mich in Berlin oft nicht verstanden“

Seit Tagen schlafe ich nicht mehr richtig, hänge nur noch am Telefon, schaue mir Videos aus Venezuela an und telefoniere mit Freunden und Familie zu Hause. Ich mache mir große Sorgen um sie. An die politische Situation in Venezuela bin ich gewöhnt, ich habe mein ganzes Leben lang so viel geweint deswegen. Aber seit den Protesten bin ich besonders verängstigt, weil die Regierung in der Vergangenheit so viele Menschen getötet hat.

Andrea Palacios Foto: Foto: Privat

Als Venezolaner haben wir jedoch eine unermüdliche Hoffnung. Und dieses Mal fühlt es sich tatsächlich anders an. Ich habe das Gefühl, dass die Bevölkerung zum ersten Mal aufwacht seit den letzten großen Protesten 2017. Die Menschen haben genug. Es hat noch nie landesweit so viele Proteste gegeben, auch in Regionen, in denen die Regierung bislang immer unterstützt wurde. Es ist so schön zu sehen, wie sich die Menschen zusammenschließen, denn die Diktatoren haben uns 25 Jahre lang getrennt. Ich glaube, dass dies der Anfang vom Ende sein könnte.

Es ist ein Privileg, in Berlin zu sein, aber ich wäre gerade so gerne dort, auch wenn es gefährlich ist. Ich möchte Teil der Freiheitsbewegung der Zivilbevölkerung sein. In Berlin kenne ich viele Venezolaner, aber wir sind keine Community. Ich glaube, wir tragen alle so große Traumata in uns, dass wir uns deshalb nicht so stark mit anderen Venezolanern umgeben wollen. Ich wünschte mir aber, dass wir vereint wären, denn ich fühle mich in Berlin oft nicht verstanden.

Die letzten Monate haben mir gezeigt, wie scheinheilig unsere ideologische Blase in Berlin ist. Ich habe selbst linke Überzeugungen, aber bin sehr frustriert, weil ich keine Unterstützung vom linken Europa bekomme. Viele meiner Freun­d*in­nen setzen sich für Palästina oder Syrien ein, aber wenn es um ­Venezuela geht, bleiben sie still.

Das ist etwas, das ich mein Leben­ lang in Europa erlebt habe. Menschen betrachten den ­Konflikt binär: links gegen rechts. Und weil Venezuela ­angeblich ein sozialistischer Staat ist und viele denken, links ist gut, sehen sie kein Problem. Aber der Staat ist nicht so­zialistisch, er basiert auf Lügen. Es geht hier nicht um rechts ­gegen links, es geht um Oppo­sition ­gegen totalitäre Regierung.

Seit ich Venezuela vor 14 Jahren verlassen habe, musste ich mir immer wieder da ein Zuhause aufbauen, wo ich gerade war. Eine Zeit lang war das in Spanien, wo ich als Journalistin bei einer Nachrichtenagentur gearbeitet habe. Aber sie wollten nicht kritisch über Venezuela Bericht erstatten, weil die Leute in Spanien die linke spanische Partei unterstützten. Das hat etwas in mir zerbrochen.

Deshalb bin ich 2016 nach Berlin gezogen und in die Kunstbranche gewechselt. Als ich ankam, eröffnete sich mir eine neue Welt voller Möglichkeiten. Das Gemeinschaftsgefühl in der Stadt war so inspirierend, es hat mir mein Herz und meine Seele geöffnet. In Berlin fühle ich mich zu Hause, zumindest im Moment.

Aber seit einigen Tagen habe ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich nach Venezuela gehen und etwas aufbauen könnte. Ich habe so viel Hoffnung und gleichzeitig so viel Angst, wieder von der Regierung demoralisiert zu werden.

Orlando Gonzalez (Name geändert), 35: „Ich war mir sicher, dass ich als Nächstes sterben würde“

Die letzten Tage waren hart. Ich bin deprimiert, weine ununterbrochen und habe nachts Angst. Ich bin ein einziges Gefühlschaos. Die Menschen, die in den Straßen kämpfen, sind so wütend. Diese Wut hatte ich früher auch, jetzt hat sie sich in Enttäuschung verwandelt.

Am Tag der Wahlen war ich kaum emotional, ich hatte keine Kraft mehr dazu. Ich wusste, dass das System so korrupt ist, dass die Machthaber das Wahlergebnis ohnehin nicht anerkennen würden. Ich war einfach betäubt. Erst als ich sah, wie die Gewalt eskalierte, berührte das mich. Es werden wieder viele Menschen sterben; die Regierung wird diese jungen Menschen töten, die so verzweifelt sind, dass sie lieber sterben wollen, als so zu leben.

Ich habe viele Freunde bei Protesten verloren, meine Eltern waren bei den tödlichsten Demos dabei. Sie haben mir verboten, an politischen Aktio­nen teilzunehmen. Aber ich wollte für die Demokratie kämpfen, ich war überzeugt, dass ich bis zum Ende in Venezuela bleiben und ein erfülltes Leben führen würde.

Doch es wurde immer gefährlicher und ich sah zu, wie meine Freunde das Land verließen, um sich zu retten. In dem Jahr, in dem ich wegging, war so häufig eine Person neben mir gestorben, dass ich mir sicher war, dass ich im nächsten Monat sterben würde.

Ich war Journalist und arbeitete für eine Zeitung. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde langsam abgeschafft, Zeitungen von der Regierung aufgekauft und Leute gefeuert, die eine andere Meinung hatten. Ich wusste, dass ich meinen Job verlieren würde, also fing ich an Geld zu sparen und Deutsch zu lernen.

Vor 10 Jahren kam ich nach Berlin. Ich bin queer und wurde deswegen zu Hause schlecht behandelt und ausgegrenzt. Berlin ist sehr offen, das schätze ich sehr. Ich fand einen deutschen Partner, wir heirateten. Erst so konnte ich einen ­legalen Job finden und arbeite heute als Fotograf.

Ich fühle mich nicht schlecht, das Land verlassen zu haben. Ich musste eine egoistische Entscheidung treffen, um am Leben zu bleiben. Viele Freunde aus Venezuela sind auch nach Berlin gezogen und wir haben hier eine Art Familie gegründet. Nach der Wahl haben wir Bier getrunken und venezolanische Musik gehört, wir unterstützen uns. Doch in Berlin konfrontieren viele linke Menschen Venezolaner. Sie denken, Venezuela ist links und propalästinensisch. Aber das ist ein Irrglaube. Die Regierung manipuliert linke Ideale und das linke Vokabular, aber ist und bleibt ein totalitäres Regime.

Ich bin in Berlin politisch aktiv, um Wissen über Venezuela nach Deutschland zu bringen. Ich will darauf aufmerksam machen, dass die Fluchtbewegung aus Venezuela mit Syrien und Afghanistan eine der größten weltweit ist. Aber in der deutschen Bevölkerung gibt es dafür nur wenig Empathie. Die Leute stecken einen in eine Schublade und denken, man sei privilegiert, dabei ist das Gegenteil der Fall. Ich schicke Geld nach Hause, um meine Familie zu unterstützen. Andere denken, ich will ihnen in Berlin das Leben stehlen, aber das will ich nicht. Ich will nur leben.

Ich hoffe so sehr, dass sich dieses Mal etwas ändert. Bei den vorherigen Protesten waren es vor allem junge Leute, die protestierten. Dieses Mal ist der Protest größer und wütender. Alle Teile der Gesellschaft haben die Schnauze voll. Venezuela ist eine Diktatur. Und Diktaturen fallen nicht durch Wahlen. Das ist die bittere Wahrheit.

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