Vegetarische Kantine beim Autobauer: VW ohne Currywurst ist wie …
Der Autokonzern verbannt das Fastfood aus der Kantine seines Markenhochhauses. Dabei ist das „Volkswagen Originalteil“ auch außerhalb beliebt.
Die eigene Currywurst gehört zu VW wie der Golf, nur dass sie ein Jahr älter ist. Seit 1973 produzieren zwei Dutzend Werksschlachter die Curry-Bockwurst – damals noch aus Schweinen vom Bauernhof auf dem Fabrikgelände. Jede Wurst ist mit dem Aufdruck „Volkswagen Originalteil“ versehen und hat ebenso wie das dazu gehörige spezielle Ketchup eine Teilenummer (199 398 500 A und B).
Mittlerweile ist die Wurst über den Betrieb hinaus begehrt. Sieben Millionen Currywürste haben die Volkswagenfleischer 2019 in Därme gestopft, die wiederum in 550 Tonnen Ketchup getunkt wurden. Die Wurst enthält nach Firmenangaben weder Glutamat noch Phosphat noch Milcheiweiß und kommt mit halb so viel Fett aus wie die durchschnittliche Currywurst.
Sie kann bei Heimspielen des VfL Wolfsburg geordert werden und ist bei einigen Edeka-Supermärkten in Niedersachsen gelistet. Kunden zufolge schmeckt sie zwar mehr oder weniger wie andere Currywürste. Aber es ist eben klar, dass sie bei VW selbst hergestellt wird und damit ein Stück Niedersachsen ist.
Vegetarisches Essen beliebt
Eine Kantine ohne Currywurst, in diesem Fall vegetarisch, hat VW bereits in Hannover ausprobiert – erfolgreich, wie die Geschäftsführung und der Betriebsrat versichern. „Viele Beschäftigte wünschen sich vegetarische und vegane Alternativen“, sagt VW-Pressesprecher Christoph Ludewig. Wer gerne Wurst essen wolle, müsse nur in die Kantine auf der gegenüberliegenden Straßenseite gehen.
„Es ist nicht das Ende der Currywurst“, versichert auch Betriebsrat Heiko Lossie. Die Wurst ist so beliebt, dass es Ende vergangenen Jahres zu einem kleinen Aufstand kam, nachdem die Currywurst-Selbstbedienung eingestellt worden war. Die Geschäftsführung fürchtete, dass sich die Beschäftigten an den Greifzangen mit Corona infizieren könnten. Daraufhin wurden die Würste wieder von Tresenkräften ausgegeben.
Dass es im Markenhochhaus nur noch Vegetarisches und Veganes geben soll, findet Lossie unter Marketing-Gesichtspunkten richtig. So können sich auch Leute aus entfernten Werksteilen dort gezielt zum fleischfreien Essen verabreden. Zwar böten auch die anderen Betriebsrestaurants in der Regel ein vegetarisches Gericht an, aber bei dem im Markenhochhaus sei das jetzt ganz klar.
Lossie pocht darauf, dass es sich nicht um eine schnöde Kantine handelt, sondern um ein Betriebsrestaurant – eines von 30 unterschiedlicher Art auf dem riesigen Werksgelände. Betreiber ist die Service Factory von VW, deren Mitarbeiter Lossie zufolge ebenso wie die Fleischer „zur Familie“ gehören und nach IG-Metall-Tarif bezahlt werden.
Currywurst ist eher was für Handarbeiter
Der Betriebsrat begrüßt jedenfalls die Experimente mit den vegetarischen Kantinen mit Anspruch. „Wir sind auch nur ein Spiegel der Gesellschaft“, sagt Lossie. Das Restaurant im Markenhochhaus liegt zentral. Für Lossie liegt es aber auch deshalb nahe, den vegetarischen Schwerpunkt dorthin zu legen, weil der „indirekte Bereich“ mit den Bürojobs hier untergebracht ist. Die Currywurst sei eher dort gefragt, wo Hand angelegt werde, etwa in Halle 54, in der der Golf produziert wird.
Aus Unternehmenssicht hat das fleischfreie Angebot auch etwas mit Nachhaltigkeit zu tun. „Weniger Fleischverzehr pro Woche hilft auch der Umwelt“, sagt Unternehmenssprecher Ludewig. Es handele sich um eine Erweiterung des Angebots, bei dem nicht einfach stumpf Fleischersatz angeboten werden solle, sondern eigenständige Alternativen. „Da kann man ganz gezielt gucken: Was kann die vegetarische Küche“, sagt Betriebsrat Lossie.
Firmensprecher Ludewig betont, dass Volkswagen auch bei Fleisch und Wurst auf die CO2-Bilanz, also den Klimaschutz, achte. „Das Fleisch soll vor allem regional eingekauft werden“, sagt er, womit VW fast wieder bei der eigenen Schweinezucht aus der Nachkriegszeit landet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen