Vater von Hanau-Opfer über Gerechtigkeit: „Jede einzelne Behörde hat versagt“
Bei dem rassistischen Anschlag in Hanau verlor Armin Kurtovic seinen Sohn. Mehr als vier Jahre später kämpft er immer noch um Gerechtigkeit.
Taz: Herr Kurtovic, vier Jahre nach dem rassistischen Anschlag in Hanau, bei dem ihr Sohn Hamza und acht weitere Menschen von einem Rechtsterroristen ermordet wurden, fordern Sie immer noch Konsequenzen für die Verantwortlichen. Dafür haben Sie auch eine Spendenkampagne gestartet. Wie läuft die?
Armin Kurtovic: Wir sind gerade kurz vor vor der Hälfte angekommen. Das Ziel sind 85 Tausend Euro, derzeit haben wir knapp 40.000 Euro zusammen. Da fehlt also noch was.
Wofür brauchen Sie das Geld?
Für die Anwaltskosten, Gerichtskosten und Reisekosten. Ich habe die ganze Arbeit in den vergangenen Jahren aus Eigenmitteln gestemmt. Das kann ich nicht mehr. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.
Die Tat: Am 19. Februar 2020 ermordete der 43-jährige Tobias R. neun Menschen mit Migrationsgeschichte in drei Bars und einem Kiosk in Hanau. Mehrere Personen wurden bei dem Attentat teils schwer verletzt. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst. Zuvor hatte der Täter in einem Video und in Schreiben an Behörden Verfolgungswahn und rassistisches Gedankengut offenbart.
Offene Fragen: Ein Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags hat im letzten Jahr sich mit offenen Fragen befasst, die immer wieder von Angehörigen der Opfer aufgeworfen werden. Es ist zum Beispiel unklar, warum der Täter trotz seines paranoiden Krankheitsbildes und seiner extremistischen Einstellung legal Waffen besitzen und warum der Polizeinotruf 110 in der Tatnacht nicht erreicht werden konnte. Auch ist nicht geklärt, warum der Notausgang in einer der Bars verschlossen war. (taz)
Welchen?
Wir werden jetzt ein Klageerzwingungsverfahren einleiten. Wir wollen die Staatsanwaltschaft dazu zwingen, die Ermittlungen erneut aufzunehmen. So wurden zum Beispiel mehrere Zeugen nicht gehört, die Auskunft über den Notausgang der Arena-Bar geben können und warum der offenbar auf polizeiliche Anordnung verschlossen gewesen war.
Von der Stadt Hanau sind Sie enttäuscht?
Ich wohne immer noch in derselben Wohnung wie vor dem Anschlag. Ich gucke jeden Tag auf das Täter-Haus, das ist sehr belastend. Ich habe von der Stadt keine andere Wohnung bekommen. Ich habe nichts bekommen von der Stadt. Der Bürgermeister und die Stadt Hanau ist aber mitverantwortlich für das, was passiert ist und das gestehen sie bis heute nicht ein.
Bis die das getan haben, geben Sie keine Ruhe?
Die Stadt und der Oberbürgermeister instrumentalisieren den Tag des Attentats, den 19. Februar, mit den ganzen Gedenkveranstaltungen. Der Bürgermeister lädt 200 Menschen ein, das Grab meines Kindes zu besuchen. Gegen meinen Willen! Ist er betroffen? Wenn er so an der Aufklärung interessiert wäre wie an dem Schauspiel, das er da abgeliefert hat, dann würde er Konsequenzen folgen lassen. Der hatte sogar den Rücktritt von Hessens Innenminister Peter Beuth gefordert. Als er dann aber selbst in der Kritik stand wurde er still. Er ist mitverantwortlich dafür, dass der Notausgang in der Arena Bar verschlossen war. Man kann das nur Staatsversagen nennen. Es hat jede einzelne Behörde, die involviert war, versagt. Das steht auch im Abschlussbericht vom Untersuchungsausschuss.
Warum hat dieser Ausschuss keine Konsequenzen gezeigt?
Das frage ich mich auch. Anscheinend war er nur dazu da, um das ganze in die Länge zu ziehen und politisches Kapital aus der Episode zu schlagen. Letztendlich hat ja niemand Konsequenzen gezogen oder Verantwortung übernommen.
Wieso nicht?
Die Stadt Hanau und die Polizei wollen nur den Schaden für sich selbst gering halten. Genau vor einem Jahr habe ich den amtierenden hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein in Wiesbaden getroffen. Er hatte meine Familie eingeladen. Ich habe ihm die neuen Erkenntnisse und Beweise vorgelegt. Er war wütend und hatte mir versprochen, dass es unabhängig untersucht wird. Schließlich können ja hessische Behörden nicht gegen sich selbst ermitteln. Er hat sein Versprechen aber gebrochen, passiert ist rein gar nichts. Beim Blick in die Vergangenheit, bei der Aufarbeitung des Terror der NSU beispielsweise, war es doch genauso. Nach jahrelangen Verhandlungen war am Ende das Ergebnis für die Angehörigen der Opfer mehr als enttäuschend, weil letztlich nichts aufgeklärt wurde. Aber das kann doch nicht sein. Es muss doch ein Interesse geben, die kaputten Stellen in den eigenen Reihen zu finden, um sie zu reparieren. Aber reparieren kann man nichts, wenn man nicht weiß, was kaputt ist.
Sie kämpfen jetzt schon sehr lange um Aufklärung und für Konsequenzen. Wie weit würden sie gehen, um für Gerechtigkeit zu sorgen?
Bis nach Straßburg! Vor den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Ein paar Hürden werden wir noch nehmen müssen, auch das Bundesverfassungsgericht. Spätestens in Straßburg erhoffen wir uns dann Aufklärung.
Und dann?
Dann hoffe ich, dass die Verantwortlichen endlich Verantwortung übernehmen. Ich erwarte ja nicht, dass man jemanden aufhängt. Ich gebe nur wieder, was der parlamentarische Untersuchungsausschuss hervorgebracht hat. Beispielsweise die Feststellung, dass die Waffenbehörde den Mörder nicht überprüft hatte. Der Typ hätte niemals Waffen bekommen dürfen! Wir leben doch hier in einem Rechtsstaat, so wurde es mir zumindest in der Schule beigebracht. Vor dem Gesetz sind wir alle gleich, die Würde des Menschen unantastbar. Das will ich jetzt auch sehen.
Wenn Sie spenden wollen können sie die Kampagne von Armin Kurtovic auf der Plattform commonsplace.de unterstützen:
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren