VW-Chef diskutiert mit Kritikerin: „Wir meinen das ernst“
Für Tina Velo vom Protestbündnis „Sand im Getriebe“ sind die VW-Elektrofahrzeuge ein „Feigenblatt“. Konzernchef Herbert Diess weist das zurück.
Diess und Velo waren am Montagabend kurz vor Beginn der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt am Main auf Einladung der taz aufeinandergetroffen. Der Chef des weltgrößten Automobilkonzerns präsentiert dort von Dienstag an die Neuheiten des Unternehmens. Velo ist Mitinitiatorin einer Protestaktion von Auto-KritikerInnen, die am kommenden Sonntag den Zugang zur IAA blockieren wollen.
Die Kritik an der Branche könne er sogar nachvollziehen, sagte Diess: „In der Tat kann man der Automobilindustrie natürlich viel vorwerfen.“ Als er von den Protesten hörte, sei sein erster Gedanke gewesen: „Die kommen viel zu spät.“ Denn die Branche habe „die Zeichen der Zeit verstanden“ und stelle ihre Modellpolitik um. Volkswagen präsentiere auf der Messe vor allem neue Elektrofahrzeuge, sagte der Vorstandsvorsitzende. „Wir haben vor, in den nächsten zehn Jahren 50 Prozent unserer Flotte auf Elektrobetrieb umzustellen.“
Velo (die in Wirklichkeit anders heißt, aber aufgrund von massiven Bedrohungen nach früheren Aktionen unter einem Pseudonym auftritt) ließ sich von dieser Ankündigung nicht beeindrucken. „Im Portfolio von Konzernen wie VW stehen vor allem große, dicke, fette Geländewagen, absolute Klimakiller – und daran wird sich auch in den nächsten Jahren überhaupt nichts verändern“, kritisierte sie. Die angekündigten Elektroautos seien aus ihrer Sicht „ein absolutes Feigenblatt“.
Empfohlener externer Inhalt
Rufbusse statt Elektroautos
Das wies Diess entschieden zurück. „Wir meinen das ernst“, versicherte er. Damit die Elektromodelle von den KundInnen auch angenommen würden, sei aber Unterstützung aus der Politik nötig – sie müsse dafür sorgen, dass die Ladeinfrastruktur schnell ausgebaut werde, und steuerliche Anreize für den Kauf von Elektrofahrzeugen schaffen.
Aus Sicht von Tina Velo löst ein Umstieg auf Elektroautos die massiven Verkehrsprobleme dagegen keineswegs. „Wir brauchen weniger Autos“, verlangte sie. In der Stadt seien sie schon heute weitgehend überflüssig, auf dem Land müssten sie es durch neue Angebote wie Rufbusse werden.
Diess erklärte zwar, das Auto habe „eine Berechtigung auch in Zukunft“. Doch auch der VW-Chef räumte ein, dass „das Auto in der Stadt für die Mobilität ein schlechter Kompromiss ist“ und dass man es dort in Zukunft „nicht in dem Maß“ brauchen werde „wie heute“.
Zufrieden, aber nicht befriedet
Auch wenn es viele Differenzen gab, zeigten sich beide Seiten zufrieden über den Austausch. „Das Gespräch lief in einer angenehmen Atmosphäre“, meinte Diess. Auch Velo sagte: „Es war ein gutes Gespräch.“ Der spontanen Einladung des VW-Chefs, beim VW-Eröffnungsabend auf der IAA die Vorstellung des neuen VW-Elektroautos ID3 mitzuerleben, lehnte Velo allerdings dankend ab.
Sonst hätte sie erlebt, dass der Start ins neue Zeitalter bei Volkswagen technisch nicht ganz ohne Probleme verlief: Als der Stand, auf dem das neue Fahrzeug präsentiert wurde, feierlich enthüllt werden sollte, blieb ein großer Teil der Vorhänge einfach hängen. Diess ließ sich davon nicht die Laune verderben. Der ID3 sei „mehr als ein neues Modell“, sagte er bei der Präsentation. „Das ist das Auto, das von uns jetzt erwartet wird.“
Die Kritiker lassen sich davon nicht beeindrucken, sondern tragen ihren Protest auf die Straße: Am Samstag ist in Frankfurt eine große Demonstration gegen die Automobilmesse vorgesehen, am Sonntag findet die von „Sand im Getriebe“ geplante Blockade statt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr