Urteil zu Sterbehilfe: Ärzte durften Freitod begleiten
Der Bundesgerichtshof hat zwei Ärzte freigesprochen, die Patientinnen beim Suizid halfen. Das Urteil könnte weitreichende Folgen haben. Ein Überblick.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) stammt vom späten Mittwochnachmittag. Welche Bedeutung es hat, hängt allerdings von einem parallelen Prozess am Bundesverfassungsgericht ab. Die Einzelheiten im Überblick.
Um welche Konstellationen ging es beim BGH?
In beiden entschiedenen Fällen haben Ärzte den jeweiligen Patientinnen ein tödlich wirkendes Medikament überlassen, damit diese sich das Leben nehmen können. Die Patientinnen nahmen das Medikament selbst ein. Die Ärzte blieben bis zum Tod bei ihnen.
Was hat der BGH jetzt entschieden?
Ärzte sind nicht zur Lebensrettung verpflichtet, wenn sie wissen, dass ihr Patient einen „freiverantwortlichen Selbsttötungswillen hat“.
Was ist daran neu?
Der BGH korrigierte ein eigenes Urteil aus dem Jahr 1984. Damals hatte der BGH entschieden, dass Ärzte auch dann den bewusstlosen Patienten retten müssen, wenn sie wissen, dass dieser selbstverantwortlich aus dem Leben scheiden will.
Was wurde an diesem alten Urteil kritisiert?
Nach der alten BGH-Rechtsprechung durfte ein Arzt dem Patienten zwar straflos ein tödliches Medikament überlassen, denn die Beihilfe zur Selbsttötung ist straflos. Sobald der Patient jedoch das Bewusstsein verlor, musste der Arzt eingreifen und den Patienten reanimieren. In der Konsequenz mussten Ärzte, die kein strafrechtliches Risiko eingehen wollten, sich nach Übergabe des Medikaments entfernen. Der Patient musste alleine sterben.
Warum entschied der BGH nun anders?
Der BGH hat nun das Selbstbestimmungsrecht des Patienten deutlich höher bewertet als in seinem alten Urteil. Der Wille des Patienten müsse auch dann respektiert werden, wenn die Person nicht mehr bei Bewusstsein ist. Der Vorsitzende BGH-Richter Norbert Mutzbauer zog eine Parallele zur Patientenverfügung. Auch dort könne in wachem Zustand bestimmt werden, was Ärzte später im Fall von Bewusstlosigkeit tun oder unterlassen sollen.
Gilt das Urteil auch für Angehörige?
In beiden entschiedenen Fällen waren zwar Ärzte angeklagt worden. Doch die Konstellation bei nahen Angehörigen ist ganz ähnlich. Auch bei diesen wurde bisher eine Schutzpflicht im Falle eines Suizids angenommen. Kinder und Ehepartner konnten den Sterbewilligen bisher also ebenfalls nicht risikolos bis zum Tod begleiten.
Was gilt bei einem Suizidversuch, der zum Beispiel durch Depressionen ausgelöst wurde?
Hier gilt dieses Urteil nicht. Voraussetzung ist, dass es sich um eine frei verantwortliche Selbsttötung handelt. Bei Ärzten wird erwartet, dass sie dies beurteilen können.
Warum schafft das neue BGH-Urteil nur bedingt Rechtssicherheit?
Weil der Gesetzgeber im Jahr 2015 die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe gestellt hat. Das ist der neue Pargraph 217 im Strafgesetzbuch. Viele Ärzte befürchten, dass der Paragraf auch auf ärztlich unterstützte Suizide angewandt werden kann. Denn „geschäftsmäßig“ ist eine Handlung schon dann, wenn sie wiederholt vorgenommen wird. Auf ein Profitinteresse kommt es nicht an. Allerdings konnte der BGH zu dieser neuen Strafvorschrift jetzt noch nichts sagen, weil die zu entscheidenden Fälle aus den Jahren 2012 und 2013 stammten, als die Verschärfung noch nicht galt.
Wie geht es weiter?
Derzeit berät das Bundesverfassungsgericht über mehrere Verfassungsbeschwerden gegen Paragraph 217. Bei der Verhandlung im April 2019 deuteten die Verfassungsrichter an, dass sie die umstrittene Norm eventuell beanstanden werden. Nur wenn sie Paragraf 217 für nichtig erklären, kann das neue BGH-Urteil seine volle Wirkung entfalten. Falls das Bundesverfassungsgericht jedoch Paragraf 217 bestätigt, dann hilft das BGH-Urteil wohl nur Ärzten und Angehörigen, die einmalig bei einer Selbsttötung helfen.
Was müssen Ärzte noch bedenken?
In manchen Regionen Deutschlands, etwa in Hamburg, verbietet auch das Berufsrecht die ärztliche Begleitung einer Selbsttötung. Ärzten droht dann sogar der Verlust ihrer Zulassung – wobei es noch nie entsprechende Fälle gab. Es ist auch umstritten, ob Landesärztekammern überhaupt solche Verbote aufstellen dürfen.
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