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Urteil zu SterbehilfeÄrzte durften Freitod begleiten

Der Bundesgerichtshof hat zwei Ärzte freigesprochen, die Patientinnen beim Suizid halfen. Das Urteil könnte weitreichende Folgen haben. Ein Überblick.

Selbstbestimmt Sterben, ja. Aber darf der Arzt dabeibleiben? Foto: Marcelo Leal/Unsplash

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) stammt vom späten Mittwochnachmittag. Welche Bedeutung es hat, hängt allerdings von einem parallelen Prozess am Bundesverfassungsgericht ab. Die Einzelheiten im Überblick.

Um welche Konstellationen ging es beim BGH?

In beiden entschiedenen Fällen haben Ärzte den jeweiligen Patientinnen ein tödlich wirkendes Medikament überlassen, damit diese sich das Leben nehmen können. Die Patientinnen nahmen das Medikament selbst ein. Die Ärzte blieben bis zum Tod bei ihnen.

Was hat der BGH jetzt entschieden?

Ärzte sind nicht zur Lebensrettung verpflichtet, wenn sie wissen, dass ihr Patient einen „freiverantwortlichen Selbsttötungswillen hat“.

Was ist daran neu?

Der BGH korrigierte ein eigenes Urteil aus dem Jahr 1984. Damals hatte der BGH entschieden, dass Ärzte auch dann den bewusstlosen Patienten retten müssen, wenn sie wissen, dass dieser selbstverantwortlich aus dem Leben scheiden will.

Was wurde an diesem alten Urteil kritisiert?

Nach der alten BGH-Rechtsprechung durfte ein Arzt dem Patienten zwar straflos ein tödliches Medikament überlassen, denn die Beihilfe zur Selbsttötung ist straflos. Sobald der Patient jedoch das Bewusstsein verlor, musste der Arzt eingreifen und den Patienten reanimieren. In der Konsequenz mussten Ärzte, die kein strafrechtliches Risiko eingehen wollten, sich nach Übergabe des Medikaments entfernen. Der Patient musste alleine sterben.

Warum entschied der BGH nun anders?

Der BGH hat nun das Selbstbestimmungsrecht des Patienten deutlich höher bewertet als in seinem alten Urteil. Der Wille des Patienten müsse auch dann respektiert werden, wenn die Person nicht mehr bei Bewusstsein ist. Der Vorsitzende BGH-Richter Norbert Mutzbauer zog eine Parallele zur Patientenverfügung. Auch dort könne in wachem Zustand bestimmt werden, was Ärzte später im Fall von Bewusstlosigkeit tun oder unterlassen sollen.

Gilt das Urteil auch für Angehörige?

In beiden entschiedenen Fällen waren zwar Ärzte angeklagt worden. Doch die Konstellation bei nahen Angehörigen ist ganz ähnlich. Auch bei diesen wurde bisher eine Schutzpflicht im Falle eines Suizids angenommen. Kinder und Ehepartner konnten den Sterbewilligen bisher also ebenfalls nicht risikolos bis zum Tod begleiten.

Was gilt bei einem Suizidversuch, der zum Beispiel durch Depressionen ausgelöst wurde?

Hier gilt dieses Urteil nicht. Voraussetzung ist, dass es sich um eine frei verantwortliche Selbsttötung handelt. Bei Ärzten wird erwartet, dass sie dies beurteilen können.

Warum schafft das neue BGH-Urteil nur bedingt Rechtssicherheit?

Weil der Gesetzgeber im Jahr 2015 die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe gestellt hat. Das ist der neue Pargraph 217 im Strafgesetzbuch. Viele Ärzte befürchten, dass der Paragraf auch auf ärztlich unterstützte Suizide angewandt werden kann. Denn „geschäftsmäßig“ ist eine Handlung schon dann, wenn sie wiederholt vorgenommen wird. Auf ein Profitinteresse kommt es nicht an. Allerdings konnte der BGH zu dieser neuen Strafvorschrift jetzt noch nichts sagen, weil die zu entscheidenden Fälle aus den Jahren 2012 und 2013 stammten, als die Verschärfung noch nicht galt.

Wie geht es weiter?

Derzeit berät das Bundesverfassungsgericht über mehrere Verfassungsbeschwerden gegen Paragraph 217. Bei der Verhandlung im April 2019 deuteten die Verfassungsrichter an, dass sie die umstrittene Norm eventuell beanstanden werden. Nur wenn sie Paragraf 217 für nichtig erklären, kann das neue BGH-Urteil seine volle Wirkung entfalten. Falls das Bundesverfassungsgericht jedoch Paragraf 217 bestätigt, dann hilft das BGH-Urteil wohl nur Ärzten und Angehörigen, die einmalig bei einer Selbsttötung helfen.

Was müssen Ärzte noch bedenken?

In manchen Regionen Deutschlands, etwa in Hamburg, verbietet auch das Berufsrecht die ärztliche Begleitung einer Selbsttötung. Ärzten droht dann sogar der Verlust ihrer Zulassung – wobei es noch nie entsprechende Fälle gab. Es ist auch umstritten, ob Landesärztekammern überhaupt solche Verbote aufstellen dürfen.

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9 Kommentare

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  • „die Beihilfe zur Selbsttötung ist straflos“



    Eine „Beihilfe“ zur Selbsttötung ist gar nicht möglich, da Beihilfe nach § 27 StGB eine rechtswidrige Haupttat voraussetzt. Es ist aber leider üblich, sogar bei Juristen, von Beihilfe zu sprechen und damit – absichtlich oder unabsichtlich – auch verantwortungsvoll handelnde Ärzte schleichend zu diffamieren. Denn das Wort „Beihilfe“ assoziiert man in der Juristerei automatisch mit einer Straftat.

    Eine Depression schließt „frei verantwortliche“ Selbsttötungsentschlüsse nicht aus. Es ist ein riesiger Unterschied, ob jemand nach einem Schicksalsschlag akut verzweifelt ist oder trotz ärztlicher oder psychotherapeutischer Bemühungen chronisch schwer leidet. Auch die Patientinnen von Dr. Spittler und Herrn Turowski waren aus nachvollziehbaren Gründen depressiv. Beide Ärzte wären wegen eines Tötungsdelikts verurteilt worden, wenn man ihre Patientinnen nicht für voll zurechnungsfähig gehalten hätte. Allen Depressiven die Suizidhilfe zu versperren, ist ethisch nicht vertretbar.

  • „Denn „geschäftsmäßig“ ist eine Handlung schon dann, wenn sie wiederholt vorgenommen wird.“



    Stimmt nicht, denn es reicht, wenn die Handlung auf Wiederholung angelegt ist (s. Begründung des Gesetzes). Und ärztliches Handeln ist grundsätzlich auf Wiederholung angelegt. Ein Arzt der erstmals beim Suizid hilft, würde das in einem ähnlichen Fall wieder tun wollen.

    Bundesverfassungsrichter Voßkuhle konnte natürlich nicht einfach sagen, dass er den 217 für verfassungswidrig hält, er hat das aber im Rahmen des ihm Möglichen sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Und (fast) alle Richter/innen des 2. Senats schienen seine Meinung zu teilen.

  • „Es ist auch umstritten, ob Landesärztekammern überhaupt solche Verbote aufstellen dürfen.“



    Ein sehr wichtiger Punkt, der in Karlsruhe angesprochen, aber nicht geklärt wurde. 15 der 19 Landesärztekammern haben ihren Mitgliedern die Suizidhilfe verboten. Diese Satzungsänderungen wurden 2011 von staatlichen Stellen genehmigt. Ich habe nie von einer entsprechenden Verfassungsklage gehört. Hoffentlich fordert das BVerfG die Länder auf, darauf hinzuwirken, dass § 16 der Berufsordnung das Selbstbestimmungsrecht am Lebensende nicht in verfassungswidriger Weise einschränkt.

    Es ist leider damit zu rechnen, dass die Kirchen, CDU/CSU und Teile der SPD nach einer Abschaffung des 217 versuchen werden, den Zugang zur Suizidhilfe durch möglichst hohe Hürden zu behindern. Siehe dazu und zur Sterbehilfeproblematik insgesamt verschiedene Texte von mir und von anderen Autoren: www.reimbibel.de/217.htm .

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Nich to glöben!

    Schafft es Schland doch noch, im 21. Jahrhundert anzukommen ... bevor dieses zu Ende geht?

    Mal nach einem Wettbüro schauen!!!

    • @76530 (Profil gelöscht):

      aber in echt - ne Frau darf entscheiden, obs'n Baby krieg, und en oller Mensch darf entscheiden, ob er noch leben will oder nich. Und en Doktor darf behilflich sein.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Gregor Tobias:

        Für eine gezielte Frage fehlt mir das Fragezeichen ... für eine eindeutige Haltung die Entschiedenheit.

        In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg manchmal nur ... den Spott oder das Vorhalten des Spiegels ...

        Falls Sie mit mir in diesem Sandkasten spielen möchten, könnte die Entscheidung für einen Weg helfen. ;-)

        • @76530 (Profil gelöscht):

          Klartext: Ich begrüße diese Entscheidung, mit einem leicht spöttischen Unterton, den ich auch in ihrem »nich to glöben« zu vernehmen glaubte.

          • 7G
            76530 (Profil gelöscht)
            @Gregor Tobias:

            Absolut richtig kombiniert.

            Dann wären wir schon zwei. Noch zwei dazu und wir können einen alten Kalauer von Otto Waalkes bemühen: "Vier alle" (aus: Theo, vier fahrn nach Lodz).

  • Es ist schon ein Unterschied zwischen "nicht zur Lebensrettung verpflichtet" und "ein tödlich wirkendes Medikament überlassen".