Kommentar Sterbehilfe und Kapitalismus: Sterben wollen ist kein Geschäft

Wer will sich anmaßen, zu verurteilen, wenn jemand sein Leben beenden will? Die Hilfe dabei darf nicht dem Marktdenken unterworfen sein.

Ein Holzsarg, der ins Krematorium geschoben wird

Der Sarg wird jetzt verbrannt Foto: dpa

Das Sterben kaufen? Ohne Killer? Seit 2015 ist das möglich. Da wurde ein Gesetz verabschiedet, der Paragraf 217, der diesen Zusammenhang nahelegt, denn er verbietet „geschäftsmäßige“ Sterbehilfe. Und er zeigt, dass das wirtschaftliche Denken als Non plus ultra mittlerweile aller Welterkenntnis zugrunde liegt, selbst da, wo nur ethische Themen berührt sind.

Ist man dafür? Ist man dagegen? Manchmal ist eine klare Positionierung bei einem ethischen Problem nicht die Frage. Und schon gar nicht die Antwort. Zumal, wenn es ums Sterben geht, um diese Riesenkränkung, mit der alle Menschen leben müssen. Das Bundesverfassungsgericht muss nun aber eine Haltung dazu entwickeln. Das Bundesverfassungsgericht muss nun aber eine Haltung dazu entwickeln, denn es soll entscheiden, ob der im Jahr 2015 verabschiedete Paragraf 217, der „geschäftsmäßige“ Sterbehilfe verbietet, so bestehen bleiben soll. Ärzte, Sterbehilfevereine und schwer kranke Patienten hatten gegen den Paragrafen 217 Verfassungsbeschwerde eingelegt. Weil Sterben wollen kein Geschäft ist.

Will jemand sein Leben beenden und tut das dann auch, wer will sich anmaßen, dies zu verurteilen? Selbst Leute, die sich zu Tode saufen, werden nicht daran gehindert, weil der freie Wille gilt. Und wer kann sicher sagen, dass er die Leber­zirrhose eines Alkoholkranken nicht förderte, wenn er ihm Schnaps oder Bier spendierte? Es nicht zu tun brächte auch nichts.

Schwieriger wird es, wenn ein Mensch darum bittet, bei seinem Todeswunsch unterstützt zu werden. Etwa weil er unheilbar krank ist. Die Gewissensentscheidung, die damit verbunden ist, bewusst treffen zu müssen, ist eine riesige Herausforderung. Und dennoch, die Wahrscheinlichkeit, doch in der einen oder anderen Weise – sei es aktiv, sei es passiv – von der Entscheidung herausgefordert zu werden, ist gar nicht so gering, je älter man wird.

Soll man etwa die Ärzte bitten, der Mutter, die nach einem Herzinfarkt im Koma liegt, außer Schmerzmitteln, Flüssigkeit und Sauerstoff nichts mehr zu geben? Oder gar auch die Flüssigkeitszufuhr einzustellen, damit das Nierenversagen schneller eintritt? Soll man den krebskranken, alleinstehenden Onkel wirklich daran hindern, kein Essen mehr zu sich zu nehmen? Und ist es nicht verbrieftes Wissen der Urgroßeltern gewesen, dass es in aussichtslosen Situationen den Tod mitunter beschleunigt, wenn das Fenster aufgemacht wird? Eine Lungenentzündung als Erlösung.

Motto: Kauf dir den Tod

Weil Tod und Sterben aus dem Leben verbannt sind, werden in modernen Gesellschaften solche Grenzentscheidungen oft aufs Pflegepersonal abgeschoben. Vor allem Ärzte sind dieser Gewissensentscheidung ausgesetzt. Was tun sie, wenn Krebskranke trotz der Schmerzmittel immer noch Schmerzen haben? Dosieren sie höher, so hoch, dass das Ende schneller eintritt? Was tun sie, wenn jemand aufhört zu essen und zu trinken, weil das Leben nicht mehr gelebt werden kann? Wird ihnen unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen, wenn sie keine Maßnahmen ergreifen? Liegt eine Patientenverfügung vor, hilft das denen, die entscheiden müssen, aber noch immer haben viele eben keine.

Vor allem Ärzte haben durch den Paragrafen 217, der seit dem Jahr 2015 „geschäftsmäßige“ Sterbehilfe verbietet, Probleme. Ärzte handeln im Rahmen ihres Berufs, und die Verbindung, dass sie damit „geschäftsmäßig“ unterwegs sind, lässt sich konstruieren, weil „geschäftsmäßig“ auch wiederholte Handlungen umfasst.

Als das Gesetz, das ab 2015 die Hilfe zum Suizid verbot, wenn eine „Geschäftsmäßigkeit“ darin gesehen werden konnte, verabschiedet wurde, sollten vor allem sogenannte Sterbehilfevereine ausgeschaltet werden. Sie organisieren die ärztliche Betreuung und stellen den Rahmen bereit, in dem ein Sterbewilliger sicher die todbringenden Medikamente zu sich nehmen kann. Argumentiert wurde von denen, die das Gesetz verabschiedeten, dass Sterbehilfevereine zu ihrem eigenen geschäftsmäßigen Nutzen Menschen in den Suizid führen könnten, sie animierten, wird insinuiert, also zum Sterben nach dem Motto: Kauf dir den Tod.

Das mag auf den ersten Blick eine plausible Überlegung sein, die denen kommt, die wie Gefangene im wirtschaftlichen Denken feststecken. Sterbehilfevereine wiederum haben bei der kürzlichen Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht, wie auch zuvor, dargelegt, dass sie keinen Profit erzielen mit ihrer Arbeit.

Auf den zweiten Blick indes legt der Paragraf 217 vor allem offen, wie sehr im Rahmen der ­Tabuisierung des Todes den Menschen auch die Verfügung über den Sterbeprozess abgesprochen wird. Als entschieden die Sterbehilfevereine und nicht die Sterbenden, dass der Zeitpunkt des ­Todes gekommen sei. Zudem setzt eine solche Argumentation voraus, dass Sterbehilfevereine nur den Tod des Betroffenen – und damit das ­angebliche Geschäft – im Blick haben und nicht das Leben der Menschen, die um Suizidhilfe bitten.

In einen Graubereich

Dass Menschen aber mitunter nur noch den Tod als Ausweg sehen, kann durchaus daran liegen, dass sie nicht die adäquate Unterstützung und Therapie finden – was zumeist an den Hürden liegt, die überwunden werden müssen, um Hilfen gewährt zu bekommen.

Sterbehilfevereine wiederum setzen auch einen Punkt, wenn sie darauf verweisen, dass auf einen gelungenen Suizid laut der Weltgesundheitsorganisation WHO mindestens neun misslungene gezählt werden. Andere Studien kommen zu noch weit höheren Zahlen. Wenn etwa Leute, die sich erhängen wollten, gefunden werden, bevor sie tot sind und Gehirnschäden davontragen, oder Menschen, die sich vor einen Zug warfen und überlebten, verstümmelt und Leute, die sich in den Mund schossen, entstellt sind, wird das Leid am Leben potenziert.

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Auch – und hier wird ebenfalls wirtschaftlich argumentiert – sind die Folgekosten hoch. Die Solidargemeinschaft ist bereit, diese zu tragen, weil es einen Rest nicht kommerzialisiertes Mitgefühl gibt. Noch. Wobei es wirklich besser gewesen wäre, den Betroffenen wäre geholfen worden, bevor sie versuchten, ihrem Leben ein Ende zu setzen.

Das Thema Sterbehilfe ist vor allem deshalb schwierig, weil Tod, Suizid und Sterben tabuisiert sind in unserer Gesellschaft. Mit dem Paragrafen 217 wurde die einfache Gesetzgebung von zuvor, die aktive Sterbehilfe verbot, passive aber zuließ und damit doch eigentlich auf so etwas wie Common Sense setzte, um eine vom wirtschaftlichen Denken geleitete Idee erweitert: der Gewerbsmäßigkeit.

Damit wurde nicht nur die Arbeit von Ärzten in einen Graubereich verschoben, sondern der Entscheidung wurde unhinterfragt zugrunde gelegt, dass Freiheit und Würde des Menschen immer dem Marktdenken unterworfen sind – selbst beim Sterben. Als läge dem menschlichen Handeln, auch im Angesicht des Todes, nicht der freie Wille zugrunde, sondern nur die Freiheit, Geschäfte zu machen.

Es wäre gut, wenn die Richter, die in den nächsten Monaten über die Verfassungsbeschwerde entscheiden, dies so nicht stehen ließen.

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Seit 2002 bei der taz, erst im Lokalteil, jetzt in der Wochentaz. 2005 mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet für die Reportage „Schön ist das nicht“, 2011 wurde die Reportage „Die Extraklasse“  mehrfach prämiert. 2021 erschien ihr Roman "Brombeerkind" im Ulrike Helmer Verlag. Es ist ein Hoffnungsroman. Mehr unter: www.waltraud-schwab.de . Auch auf Twitter. Und auf Instagram unter: wa_wab.un_art

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