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Urteil zu Schauspielern und ArbeitsmarktKein Begabungstest vom Amt

Absolventen privater Schauspielschulen müssen künftig von Arbeitsagenturen vermittelt werden – ohne Zugangstest.

Erfolgreich: Anwalt Christian Zimmer und Mandantin Rebecca Molinari Foto: privat

Berlin taz | Sieben Jahre dauerte der Kampf der Schauspielerin Rebecca Molinari, der am Donnerstag erfolgreich vor dem Bundessozialgericht endete. Das Gericht in Kassel urteilte, dass auch AbsolventInnen privater Schauspielschulen ein Recht darauf haben, in die Künstlerkartei der Arbeitsagenturen aufgenommen zu werden. Und zwar ohne das berüchtigte „Vorsprechen“ vor den Vermittlern, die dann über die Eignung der Kandidaten entscheiden. Das Urteil sei „wegweisend“, sagte Molinaris Anwalt Christian Zimmer der taz.

Der Rechtsstreit wirft ein Licht auf eine umstrittene Praxis, die eine Art Zwei-Klassenrecht etabliert hat zwischen den Absolventen staatlicher Schauspielschulen und jenen die private Schulen besuchten. Der Andrang an den 14 staatlichen Schauspielschulen ist groß und die Auswahl sehr streng.

Wer die mehrjährige Ausbildung an diesen staatlichen Schulen durchläuft, muss anschließend in der Regel kein Vorsprechen mehr absolvieren, um als Schauspieler in die Kartei der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit aufgenommen zu werden. Diese Kartei ist die wichtigste und umfangreichste Vermittlungskartei für Bühnenkünstler. Regisseure und Intendanten verließen sich darauf, dass die Schauspieler auf diesen Listen gewissermaßen qualitätsgeprüft seien, heißt es aus der ZAV.

Vermittler entscheiden über „Ausstrahlung“

Wer, wie Molinari, aber „nur“ einen Abschluss einer der 30 privaten Schauspielschulen mit mehrjähriger Ausbildung in der Tasche hat, muss bislang eine Art Vorsprechen bei den ZAV-Stellen durchlaufen. Molinari, damals 33, wurde bei ihrem Vorsprechen im Jahr 2010 attestiert, „ältlich“ zu wirken, „wenig Ausstrahlung zu haben“. Die Aufnahme in die entscheidende Kartei wurde ihr verweigert.

Laut ihrer Homepage arbeitet die Schauspielerin jedoch in ihrem Beruf, etwa in regionalen Theaterprojekten und als Synchronsprecherin. Im selben Jahr wurden nur 93 von 154 privaten Absolventen in die Kartei aufgenommen.

In der ZAV wird darauf verwiesen, dass die Qualität der privaten Schauspielschulen sehr unterschiedlich sei und man sich daher nicht darauf verlassen könne, dass die Absolventen geeignet seien für den Arbeitsmarkt der Schauspieler. Die GutachterInnen beim Vorsprechen entstammten alle künstlerischen Berufen, so die ZAV.

Bewertungen bleiben erlaubt

Das Bundessozialgericht urteilte jedoch, dass die ZAV den Arbeitssuchenden mit einem entsprechenden Berufsabschluss die Aufnahme in die Vermittlung nicht „verwehren“ könne. Dies gelte jedenfalls, wenn, wie im Falle von Molinar, die Ausbildung an der privaten Filmschauspielschule Berlin (FSS) der Schauspielerausbildung an einer staatlichen Schule „inhaltlich gleichwertig“ sei.

Allerdings sei es der ZAV unbenommen, weiterhin auf Grundlage einer „Potentialanalyse“ eine individuelle Bewertung der BewerberInnen vorzunehmen, so das Gericht. Inwieweit die ZAV durch die Hintertür dann doch wieder Bewertungen einführt, die Vermittlungen beeinflussen, ist unklar. Eine Sprecherin der ZAV erklärte, man warte auf die Urteilsbegründung, um die Folgen des Gerichtsurteils einschätzen zu können. (Akz. B 11 AL 24/16 R)

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6 Kommentare

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  • Es ist wirklich eine Schande wie laut der Amtsschimmel in der Argentur für Arbeit wiehert.

    Den verantwortlichen Sachbearbeiter*innen sollte man solange das gesamte Gehalt streichen (ja, alles - natürlich bis auf null ) bis alle Kosten des Steuerzahlers getilgt sind.

    Im Kürzen sind die Arbeitsagenturen ja geübt. Aber ich fürchte die "Entscheider" zahlen selbst das aus der Portokasse...

  • Das kann doch nicht wahr sein. Die Arbeitsagentur entscheidet, wer Bühnenkünstler sein darf, wer talentiert ist, und auch, wer dann einen Job bekommt? Mit Vorsprechen vor irgendwelchen Sachbearbeitern oder was? Wessen grandiose Idee war das denn? Mir kommt das kalte Grausen.

     

    Darauf kommt man auch nur in Deutschland. Es ist zum Kopf-gegen-die-Wand-Schlagen-bis-der-Arzt-kommt. Kein Wunder, daß Deutschland keine Kultur mehr zustandebekommt.

    • @kditd:

      Die Arbeitsagentur entscheidet doch gar nicht, wer Bühnenkünstler sein darf.

       

      Im Artikel steht ausdrücklich, dass die Frau ja als Schauspielerin arbeitet. Und das Vorsprechen erfolgte vor Künstlern, nicht vor den Sachbearbeitern.

       

      Das kann man gut oder schlecht finden. Dass die Arbeitsagentur entscheidet, wer als Schauspieler arbeiten darf, ist aber einfach nicht korrekt.

      • @rero:

        Hi Rero, als seit anderthalb Jahrzehnten berufstätige Schauspielerin mit Kontakten zur ZAV (damals noch ZBF) Hamburg, Köln und Berlin darf und möchte ich korrigierend widersprechen: Das sogenannte ZAV-Vorsprechen findet mitnichten vor Künstlern statt sondern bestenfalls vor Menschen, die irgendwann einmal direkt oder indirekt in der Branche tätig waren, wo es anscheinend für sie nicht so gut geklappt hat, sonst hätten sie die aufreibende Tätigkeit am Set/im Theater sicher nicht für einen 9-to-5-Job mit Rentenanspruch eingetauscht.

        Die sehr unterschiedlichen Charaktere, die ich in dieser Zeit in den unterschiedlichen Bereichen und Büros der ZAV kennenlernen durfte, reichen vom misogynen Arschloch, dem sein Ruf vorauseilte, bis zum freundlichen und professionellen Sachbearbeiter, der nüchtern Chancen und Risiken des Berufs anspricht und einen nach seinen Fähigkeiten unterstützt.

        Die Willkür der ZAV ist also branchenintern bekannt und dass dieser nun – eventuell – ein Riegel vorgeschoben wird, ist zu begrüßen. Ob die aktuelle gesetzliche Regelung allerdings die drastisch auseinanderklaffende Qualitätslücke im deutschen Schauspiel (und die gibt es leider unabhängig von staatlicher und privater Schauspielausbildung, nämlich durch immer mehr Menschen, die, ohne Schauspieler zu sein, gebucht und vermarktet werden) zu schließen vermag, bezweifle ich.

    • @kditd:

      die konsequente weiterführung der grandiosen idee, dass strassenmusiker in einigen städten auch dem amt vorspielen müssen, ob sie gut genug sind, das deutsche hochkulturpublikum zu bespassen

    • @kditd:

      Der letzte Absatz sollte schon mitgelesen werden... ;-)

       

      Es sitzt nicht irgendein Sachbearbeiter da und nennt Frauen "ältlich", der dann als nächstes freie Stellen für Lagerarbeiter vermittelt.