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Urteil wegen sexueller BelästigungCatcalling kostet

Frankreich verhängt erstmals ein Bußgeld wegen einer anzüglichen Bemerkung: 300 Euro muss ein Mann nun zahlen.

Spätestens seit Beginn der „MeToo“-Debatte immer wieder Anlass für Diskussionen Foto: ap

#nerienlaisserpasser heißt auf Deutsch „nichts geschehen lassen“ und ist die hashtaggewordene Begründung dafür, dass ein Mann in Frankreich vor wenigen Tagen wegen anzüglicher Kommentare zu 300 Euro Bußgeld verurteilt worden ist. Das neue Gesetz solle sexuelle Gewalt, die oft mit verbaler Belästigung, sogenanntem Catcalling, beginne, von Anfang an unterbinden, sagt Gleichstellungsministerin Marlène Schiappa und freut sich auf Twitter über die erste verhängte Geldstrafe, Hashtag: #nerienlaisserpasser.

Die bis zu 750 Euro hohen Bußgelder können direkt verhängt werden. Fraglich bleibt allerdings, ob Betroffene bereit sind, die Konfrontation dafür in Kauf zu nehmen. Kommt es zum Prozess, kann die verbale Belästigung bis zu 3.000 Euro kosten.

Auslöser für Schiappas Vorstoß war ein virales Video von Juli dieses Jahres. Überwachungskameras eines Pariser Cafés nahmen auf, wie ein Mann die 22-jährige Marie Laguerre mit einem Aschenbecher bewirft und ins Gesicht schlägt. Er hatte laut Laguerre kurz davor im Vorbeigehen ihr Aussehen kommentiert und anzügliche Geräusche gemacht. Laguerre dreht sich um, geigt ihm die Meinung und muss sich kurz darauf vor einem Aschenbecher wegducken. Das Video verbreitete sich im Netz und löste in Frankreich eine Debatte über sexuelle Übergriffe und Gewalt gegen Frauen aus.

Frankreich ist nicht das einzige europäische Land, in dem Catcalling unter Strafe steht. Auch in Belgien, Portugal oder den Niederlanden sind verbale Belästigungen auf der Straße mittlerweile illegal. Dass Catcalling gerade Frauen in Metropolen im täglichen Leben beeinträchtigt, zeigte 2014 das Video einer jungen Frau, die zehn Stunden mit versteckter Kamera durch New York spaziert. Über 100 Mal wird sie von fremden Männern angesprochen, angepfiffen, ihr Aussehen bewertet.

In Deutschland sind anzügliche Kommentare kein eigener Straftatbestand. Voraussetzung für sexuelle Belästigung ist „sexuell bestimmter“ Körperkontakt. Dabei sind die negativen Folgen des Catcallings wissenschaftlich belegt. Eine Studie der Universität Melbourne aus dem Jahr 2017 besagt, dass anzügliche Kommentare dem Selbstwertgefühl der Menschen schadet, an die sie gerichtet sind. Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass das regelmäßige objektiviert werden das Verhältnis zum eigenen Körper stören kann. Laut einer internationalen Umfrage der Cornell Universität von 2014 wurden in Deutschland 85 Prozent der befragten Frauen noch vor dem 17. Lebensjahr auf offener Straße anzüglich angesprochen.

Catcalling belastet die Psyche und kann wie im Fall der jungen Französin in Gewalt ausarten. Die französische Regierung hat das verstanden – Deutschland sollte sich ein Beispiel nehmen, #nichtsgeschehenlassen.

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8 Kommentare

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  • Ich finde der Begriff "Catcalling" allein ist schon eine Herabwürdigung von Frauen.

    Da es viele angeblich ach so aufgeklärten Männer nicht tun (Frauen vor so etwas zu schützen – auch durch Diskussion oder Verhalten in den Reihen), und viele schon wieder zu relativieren (taz.de/Essay-metoo-Debatte/!5481091/) beginnen, sollte der Staat für eine Sanktionierung sorgen.



    Emanzipation und Gleichstellung von Frauen ist für beide Geschlechter ein großer Gewinn.

    Und der Unterschied zwischen "ansprechen" und "belästigen" ist aus meiner Erfahrung jedem Mann absolut klar. Er verhält sich sehr bewusst – beim Einen wie beim Anderen – also keine faulen Ausreden, das ist Gewalt, verbale Gewalt.

    • @Ariane:

      "…Verhalten in den EIGENEN Reihen…"

  • 7G
    7363 (Profil gelöscht)

    Ne rien laisser passer. Das ist ein typischer Ausdruck der besser übersetzt wäre mit: "Nichts durchgehen lassen".

    • @7363 (Profil gelöscht):

      Ja, sehr viel besser!

  • Und wie definiert sich genau das Catcalling? Wo wird aus anstößig belästigend? Und wie ist so ein Vorschlag GG-Konform wegen Meinungsfreiheit?

    Eine praktikable und gerichtsfeste Umsetzung wird interessant werden.

    Persönlich halte ich so ein Verhalten für beschämend, gleichzeitig glaube ich zutiefst daran, dass vieles was ich für Scheiße halte, trotzdem von einer Gesellschaft ertragen werden muss. Es ist nicht die Aufgabe des Staates unangebrachtes Verhalten zu sanktionieren!

    • @Andi S:

      " von einer Gesellschaft ertragen werden muss"

      Also von Frauen in diesem Fall, nicht von der ganzen Gesellschaft. Und Sie entscheiden nicht über Andere, was sie für die Gesellschaft zu tragen haben. Wenn Betroffene sagen, sie möchten das nicht, muss der Staat sie beschützen.

    • @Andi S:

      Äh, doch! Genau das ist seine Aufgabe. Vor allem, wenn es nachweislich schädigend ist.

  • Durchaus richtig präventiv zu agieren.



    Allerdings stelle ich mir das in der Praxis doch recht schwierig vor anhand objektiver Kriterien zu entscheiden, ob etwas nun sexuelle Belästigung ist oder nicht.



    Möglicheweise entsteht dadurch eine Illegalisierung vom "anmachen".



    Darüber freuen sich dann vemutlich die Online Singlebörsen ganz besonders