Urteil im Prozess um Badewannen-Tod: Viel zu hohe Hürden
Ob der Fall Genditzki eine Ausnahme ist, sei dahingestellt. Fest steht, dass die Möglichkeiten, gegen einen Justizirrtum vorzugehen, beschränkt sind.
N atürlich fragt man sich da gleich, wie viele es wohl noch gibt, Frauen und Männer, die zu Unrecht verurteilt worden sind, die wegen einer Tat im Gefängnis sitzen, die sie nicht begangen haben. So wie Manfred Genditzki, der 13 Jahre lang unschuldig im Gefängnis gesessen hat für einen mutmaßlichen Mord. Am Freitag nun ist er im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen worden – ohne Wenn und Aber. Es gab keinen Mord. Der heute 62-Jährige ist kein Mörder.
Kaum jemand mag sich wirklich vorstellen können, was dieser Mann durchgemacht hat und wie es einem Menschen in solch einer Situation geht. 13 Jahre ohne Familie, ohne Freunde, ohne Freiheit. Vielleicht auch manchmal ohne Hoffnung. Wie muss dieses Gefühl der absoluten Ohnmacht geschmerzt haben. Einer Ohnmacht gegenüber einem System, das nun mal beschlossen hat, dass man ein Mörder ist, dass man eine alte Frau, um die man sich jahrelang gekümmert hatte, kaltblütig ermordet hat.
Man kann es sich kaum ausmalen. Dass in den Ermittlungen und den ersten beiden Prozessen zum vermeintlichen „Badewannenmord“ so einiges schiefgelaufen ist, war offensichtlich. Es waren Indizienprozesse, die sich zum großen Teil auf hanebüchene Annahmen stützten. Juristischer Sachverstand war gar nicht notwendig, um die Zweifelhaftigkeit dieser Urteile zu erkennen.
Dass Genditzkis Verteidiger die Verdächtigungen und Argumente der Ermittler teilweise sogar als bösartig werteten, ist absolut nachvollziehbar. Im Zweifel für den Angeklagten? Davon kann hier wohl kaum die Rede sein. Sicher: Irren ist menschlich. Diese Erkenntnis ist nicht nur platt, sondern leider auch wahr. Solange Menschen richten, wird es daher auch in der Justiz immer wieder Fehlentscheidungen geben.
Nur 31 erfolgreiche Verfahrenswiederaufnahmen
Was der Fall Genditzki allerdings deutlich vor Augen führt: Die Hürden, solche Justizirrtümer zu revidieren, sind verdammt hoch – vielfach zu hoch. Einem Forschungsprojekt zufolge gab es zwischen 1990 und 2016 in Deutschland gerade einmal 31 Fälle, in denen Inhaftierte erfolgreich die Wiederaufnahme ihres Verfahrens beantragt haben, während Jahr für Jahr Zehntausende „normale“ Urteile gesprochen werden. Im vergangenen Jahr waren es 38.821.
Und was, wenn ein Justizopfer, anders als Genditzki, keine Anwältin hat, die für ihren Mandanten jahrelang hartnäckig weiterkämpft? Wenn es keine Unterstützer gibt, die an die Unschuld des oder der Verurteilten glauben und durch private Spenden ein Gutachten ermöglichen, das schließlich zu einem guten Ende führt? Dann gnade ihm oder ihr – ja, wer eigentlich?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mindestlohn feiert 10-jähriges Jubiläum
Deutschland doch nicht untergegangen