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Urteil im Prozess gegen CorrectivNicht zum Jubeln

André Zuschlag

Kommentar von

André Zuschlag

Die Klagen gegen das Recherchezentrum Correctiv und dessen Berichterstattung über das Potsdam-Treffen wurden abgewiesen. Schlüssige Argumente der Kläger gab es dennoch.

Kristina Feustel, Richterin am Landgericht, bei der Verkündung der Urteile Foto: Marcus Brandt/dpa

S oll man sich jetzt freuen? Am Freitag haben vor dem Hamburger Landgericht die gewonnen, die Anfang vergangenen Jahres den „Geheimplan gegen Deutschland“ aufdeckten. Die, die Verquickung rechtsextremer, AfD-naher und konservativer Zirkel beim Potsdam-Treffen darstellten. Die für einen bitter nötigen Aufstand gegen Rechts sorgten – der größten Protestwelle in der Geschichte der Bundesrepublik –, weil sie berichteten, wie diese Zirkel „‚Masterplan‘ zur Ausweisung deutscher Staatsbürger“ diskutierten.

Stopp. Dass über eine solche „Ausbürgerungsidee“ diskutiert wurde, stimmt ja tatsächlich nicht – weshalb Ulrich Vosgerau und Gernot Mörig, Teilnehmer des Treffens, das Redaktionsnetzwerk Correctiv auf Unterlassung verklagten. Correctiv hat ihrer Ansicht nach Falschbehauptungen verbreitet. Die „Kernaussagen im Correctiv-Bericht“, formulierte es die Vosgerau und Mörig vertretende Kanzlei Höcker, als sie die Klagen einreicht hatte, habe die Grenze der gerade noch zulässigen Meinungsäußerungen überschritten.

Rundheraus abgewiesen hat das Hamburger Gericht am Freitag diese Klagen. Schon bei der Verhandlung im November deutete sich an, dass die Rich­te­r:in­nen nicht sonderlich überzeugt von der juristischen Argumentation der Kläger sind, nach der die Grenzüberschreitung doch offensichtlich sei: „Wenn etablierte Medien reihenweise meinen, dass es sich im Correctiv-Bericht um Fakten handelt, dann liegt der Verdacht nahe, dass Correctiv Falschbehauptungen verbreitet hat“, befand der Anwalt von Vosgerau und Mörig.

Wer den Correctiv-Text gelesen hat, habe sehr wohl nachvollziehen können, was „zum einen von Teilnehmern des Treffens konkret geäußert worden sei und was zum anderen eine verdichtete, zusammenfassende Wertung der Beklagten sei“, entschied nun hingegen das Gericht. Kurzum: Es ist gut nachvollziehbar, dass Correctiv nicht einen reinen Bericht veröffentlicht hat, sondern im selben Text eine Analyse mitliefert, was das Berichtete in letzter Konsequenz bedeuten dürfte.

Ja, das kann man so sehen. Und man muss sich in diesem Land auch keine Illusionen über die Menschenfeindlichkeit der AfD und ihres Umfeldes machen. Man kann sich auch freuen, dass Leute wie Vosgerau und Mörig eine satte Niederlage eingefahren haben. Der Zweck heiligt also die Mittel?

Nun dürften fern der juristischen Ebene zwei Thesen nicht allzu steil sein: Das halbe Land denkt noch immer, dass die Deportation deutscher Staats­bür­ge­r:in­nen das konkrete Thema des Treffens war. Und: Damals wären nicht Millionen Menschen auf die Straße gegangen, hätten sie nachvollziehen können, dass es sich bei dem „‚Masterplan‘ zur Ausweisung deutscher Staatsbürger“ um eine Vermutung handeln könnte.

Vosgeraus und Mörigs Argumentation ist nicht so ganz von der Hand zu weisen. Die Sichtweise der Pressekammer des Landgerichts Hamburg ist eine, die Objektivität versucht, aber eben nie bis zur endgültigen Gewissheit feststellen kann, was ein im Urteil angeführter „Leser, der den streitgegenständlichen Artikel lese“, tatsächlich erkennt.

Was bleibt also von der wohl letzten größeren Klage gegen Correctiv? Juristisch war die Berichterstattung weitgehend sauber, journalistisch hingegen – ein bisschen weniger.

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André Zuschlag
Redakteur taz nord
Jahrgang 1991, hat Politik und Geschichte in Göttingen, Bologna und Hamburg studiert. Von 2020 bis August 2022 Volontär der taz nord in Hamburg, seither dort Redakteur und Chef vom Dienst. Schreibt meist über Politik und Soziales in Hamburg und Norddeutschland.
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6 Kommentare

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  • Zumindest mein persönliches Vertrauen in die Recherchen von Correctiv und die Berichterstattung darüber hat definitiv unter den Vorgängen gelitten.

  • Dass der Correktiv-Artikel journalistisch unseriös, nur auf Effekt konstruiert war, fiel sofort auf. Ich frage mich, wieso viele sogenannte Qualitätsmedien ungeprüft den Artikel übernommen haben. Damit hat man sicherlich dem Kampf gegen Rechtsradikalismus einen Bärendienst erwiesen.

  • Wichtiger Artikel.

    Ich habe mich von Correkriv belogen gefühlt.

  • Die Frage müsste aus meiner Sicht nicht lauten, was bleibt von dem Urteil gegen Correktiv - sie müsste lauten: was bleibt von Correktiv?



    "Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel" - ganz genau, auch wenn damals dann eben "nicht Millionen Menschen auf die Straße gegangen (wären), hätten sie nachvollziehen können, dass es sich bei dem „‚Masterplan‘ zur Ausweisung deutscher Staatsbürger“ um eine Vermutung handeln könnte."



    Correktiv hat damit eine Protestwelle losgetreten, aber auf lange Sicht seiner Glaubwürdigkeit geschadet.



    Ob sich nochmal Millionen mobilisieren lassen mit dem Wissen aus diesem Urteil als auch der ausführlichen Nachberichterstattung um die wenig belastbaren Mutmaßungen und Schlussfolgerungen Correctivs' darf zumindest bezweifelt werden.



    Ein klassischer Pyrrhussieg für Correctiv - auch dieses Urteil festigt diese Bewertung.

  • Meinen Dank und Glückwunsch für diesen ausgewogenen und durchdachten Artikel! Und ich bekenne, dass ich seinerzeit nicht bemerkt habe, was gar keine Fakten waren. Und nach diesem Urteil können auch nius und Konsorten in ihren Beiträgen eine gefährliche Melange aus Reportage und suggerierter Wirklichkeit zusammenrühren, auf die viele Menschen hereinfallen. Das ermöglicht beiden Lagern, sich in ihrer jeweiligen Wirklichkeit einzurichten.



    Die Antwort darauf darf m. E. aber nicht sein, mit einer erweiterten Grauzone die Meinungsfreiheit einzuschränken, sondern den Medien abzuverlangen, gerichtlich festgestellten Korrekturen den gleichen Raum einzuräumen wie den ursprünglichen Meldungen.

    • @Bunte Vielfalt:

      Sowas gibt es prinzipiell eigentlich: "Eine Gegendarstellung ist eine eigene Darstellung eines Sachverhalts, über den zuvor in einem Medium berichtet worden war, durch den Betroffenen selbst. Die Gegendarstellung ist damit ein Begriff des Presserechts. Wer von einem Bericht über seine Person oder Organisation betroffen ist, soll sich im selben Medium an vergleichbarer Stelle und in vergleichbarer Aufmachung kostenlos artikulieren beziehungsweise etwas richtigstellen dürfen. Das Recht zur Gegendarstellung ist gegründet auf § 11 des Reichspressegesetzes (RPG) von 1874 und ist heute in den Pressegesetzen der Länder geregelt." (Wikipedia, ggf. dort weiterlesen; dort ist auch ein Beispiel abgebildet: Die Gegendarstellung von Heide Simonis auf der Titelseite der BILD).

      Automatisch werden die Medien das wohl eher nicht machen. Aber man kann es offenbar verlangen.

      Ein Problem, das immer bleiben wird: Glaubt es der Leser dann auch? Es wird meistens was hängenbleiben, nach dem Motto: "Es ist sicher was dran an den Vorwürfen, sonst wäre es nicht zu einer Gerichtsverhandlung gekommen. Man konnte es ihm halt nicht beweisen, weil er einen guten Anwalt hatte."