Urteil im Lübcke-Mordprozess: Mutlos und bitter
Der Hauptangeklagte kommt lebenslänglich in Haft. Aber die Antwort auf den rechtsextremen Mord kann nicht allein von der Justiz kommen.
E s ist ein Urteil, das den Betroffenen wehtut. Im Prozess zum Mord an Walter Lübcke verurteilt das Gericht den Todesschützen zwar zu lebenslanger Haft. Für einen Messerangriff auf den Iraker Ahmed I. aber wird er freigesprochen. Und der Mitangeklagte, ebenso ein Rechtsextremist, kommt gänzlich mit einem Freispruch davon. Nur für einen Waffendelikt wird er auf Bewährung verurteilt; eine Lappalie.
Die „volle Wahrheit“ und eine gerechte Strafe für die Täter hatten die Familie von Walter Lübcke und Ahmed I. zu Beginn des Prozess gefordert. Nun bekommen sie nur wenig davon. So funktioniert auch nicht der Rechtsstaat. Es geht nicht darum, das Leid der Opfer zu kompensieren. Sondern Straftaten der Angeklagten zu ahnden, die als zweifelsfrei erwiesen gelten. Und in diesem Prozess gab es viele Zweifel.
Und dennoch ist das Urteil mutlos und bitter. Denn das Gericht hätte durchaus anders entscheiden können. Die Bundesanwaltschaft hatte den Weg aufgezeigt. Sie warf dem Mitangeklagten Markus H. Beihilfe zum Mord vor, forderte dafür knapp zehn Jahre Haft. Für Stephan Ernst wollte sie auch eine Verurteilung für den Angriff auf Ahmed I., benannte als Motiv klar Rassismus. Und die Ankläger unterlegten dies über Stunden mit Beweisen und Indizien.
Das Gericht entschied anders. Damit trifft die harte Antwort des Rechtsstaats auf die Ermordung von Walter Lübcke, auf diese historische Tat, nur einen der Angeklagten. Der Mord war zwar keine Zäsur – rechtsextreme Tötungen gab es vorher wie nachher, vom Oktoberfestattentat über NSU, Halle, Hanau bis zu den mehr als 180 Todesopfern rechter Gewalt. Aber mit Lübcke wurde erstmals in der Bundesrepublik ein Politiker durch einen Rechtsextremen erschossen. Ein Fanal.
Das Gericht fand dazu keine Worte, ordnete die Tat nicht gesellschaftlich ein. Auch das ist befremdlich. Dafür verurteilt es nun einen Einzeltäter. Einer, der allerdings so allein nicht war, sondern im Internet, an AfD-Stammtischen oder auf einem Aufmarsch in Chemnitz in seinem Hass bestärkt wurde. Und es spaziert, wie einst im NSU-Prozess, ein mitangeklagter Neonazi, der im Gerichtssaal nichts tat außer schweigen und grinsen, fröhlich in die Freiheit. Das dürfte für höhnisches Feixen in der rechtsextremen Szene sorgen: Für sie ist dieses Urteil kein Schlag, sondern Auftrieb.
Weiter offene Fragen
Klar ist auch: Die Antwort auf den Lübcke-Mord kann nicht allein von der Justiz kommen. Aber wo ist sie sonst? Nach dem Mord gab es keine bundesweiten Demonstrationen, keinen Besuch der Kanzlerin auf der Trauerfeier. Es hätte die Politik ins Mark treffen müssen, dass einer der Ihren erschossen wurde. Ja, es gab Entsetzen und später auch ein Maßnahmenpaket. Heute aber wirkt die Betroffenheit verblasst. Es ist deshalb ein Verdienst, dass CDU-Neuchef Armin Laschet den Fall Lübcke zuletzt noch einmal wachrief.
Denn die Fragen, die der Mord aufwirft, sind weiter akut. Wie konnte es sein, dass zwei bekannte Neonazis ungestört mit Waffen trainierten? Dass sie der Verfassungsschutz aus dem Blick verlor, obwohl sie weiter offen Aufmärsche besuchten? Und gab es nicht doch weitere Eingeweihte?
Es sind Fragen, die jenseits dessen lagen, was das Gericht klären konnte. Daher ist es richtig und wichtig, dass dies nun ein Untersuchungsausschuss in Hessen tut. Aber auch dort werden nicht alle Fragen beantwortet werden können. Warum trat niemand dem rechten Hass entgegen, der sich im Internet gegen Walter Lübcke aufbaute? Warum stellte sich fast niemand an seine Seite? Und warum hatte der Mörder das Gefühl, er handele im Sinne der Mehrheit?
Diese Fragen richten sich an die Politik, an die Gesellschaft, an uns alle. Und zwar dringlich. Denn dahinter steht eine größere Frage: Könnte diese Tat noch einmal geschehen? Die traurige Antwort lautet momentan: ja.
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