Urteil gegen taz-Autor: Pressefreiheit auf Bewährung
Für seine Berichterstattung über die IAA-Proteste betrat ein taz-Reporter ein besetztes Haus in München. Dafür wurde er nun verurteilt.
![Polizisten in schwerer Montur vor einem Albau in München Polizisten in schwerer Montur vor einem Albau in München](https://taz.de/picture/5544964/14/Michael-Trammer-Urteil-1.jpeg)
Die Aktivisten hatten im Rahmen der Proteste gegen die Internationale Automobilausstellung im vergangenen September ein Haus in der Münchner Innenstadt besetzt. Trammer hatte darüber berichtet – und war ihnen dafür ins Haus gefolgt. Und das, so der Richter, gehe halt nicht.
Zugleich lässt er deutlich seine Sympathie mit den Motiven der Angeklagten erkennen und zwischen den Zeilen durchblicken, dass er sich eigentlich von Seiten der Staatsanwaltschaft eine Einstellung des Verfahrens gewünscht hätte. Doch diesen Gefallen wollte ihm der Staatsanwalt nicht tun, obwohl auch der zugab, dass es hier eigentlich um recht harmlose Vorwürfe ging. Gegen Hausbesetzer fährt man in Bayern traditionell besonders schwere Geschütze auf.
Der Verdacht, dass die Staatsanwaltschaft auch hier ein Zeichen setzen wollte, ist nicht vollends abwegig. Auch hätte es gar nicht zu Ermittlungen kommen müssen: Hausfriedensbruch ist ein sogenanntes Antragsdelikt, nur weil der Hauseigentümer, der Freistaat Bayern, Strafantrag stellte, wurden die Behörden tätig.
Auch der Richter räumt ein: Es geht um eine Bagatelle
Er selbst habe sich nun zwischen einem Freispruch, wie ihn die Verteidiger der Angeklagten gefordert hatten, und einem Schuldspruch entscheiden müssen, erklärte Richter Müller. Und obwohl er die Angeklagten schuldig spricht, weicht er dann bei der Strafzumessung weit von der Vorstellung der Staatsanwaltschaft ab. Strafen von 40 bis 60 Tagessätzen hatte diese gefordert. Müller belässt es – außer im Fall eines schon vorbelasteten Aktivisten – bei einer Verwarnung mit einer einjährigen Bewährungsfrist.
Eine Strafe würde erst fällig, sollten die Verurteilten sich in dieser Zeit etwas zuschulden kommen lassen. Und selbst dann wäre sie noch deutlich niedriger als vom Ankläger gefordert; in Trammers Fall beispielsweise 450 statt 1.000 Euro.
Die Szene mutet schon etwas skurril an: Die Verhandlung findet wegen des vermuteten großen Andrangs im Gerichtssaal A101 statt. Hier wurde beispielsweise der NSU-Prozess verhandelt, auch der Mord an Rudolph Moshammer. Diesmal dagegen geht es um eine Bagatelle, wie der Richter selbst sagt, etwas, was am untersten Rahmen dessen anzusiedeln sei, was man überhaupt als Hausfriedensbruch werten könne. „Sie sind ja nicht in ein Wohnzimmer und haben da beim Mittagessen in die Suppe gespuckt.“
In der Tat nicht. Das Haus, dessen Frieden Trammer und die Klimaaktivisten gebrochen haben sollen, stand leer. Die Aktivisten waren in der Nacht auf den 10. September in der Karlstraße in das Gebäude eingedrungen, offenbar durch ein offenstehendes Fenster. Mittels ausgehängter Türen hatten sie sich dort notdürftig verbarrikadiert. Als am nächsten Tag gegen Mittag ein Demonstrationszug der IAA-Gegner an dem Haus vorbeikam, hängten sie Transparente aus den Fenstern, brannten Rauchtöpfe ab, eine Frau seilte sich ein paar Meter aus einem der Fenster ab.
Einblick ins Innenleben des Richters
Trammer, der durch einen Tipp auf die Aktion aufmerksam gemacht worden war, kam in der Nacht ebenfalls zu dem Haus, begleitete die Aktivisten und berichtete auf Twitter und taz.de. Zuvor hatte er sich noch schnell kundig gemacht, dass das Haus dem Freistaat gehört und schon seit längerem nicht mehr genutzt wird. Er habe, so schildert es der Journalist vor Gericht, blitzschnell eine Abwägung treffen müssen: „Überwiegt das öffentliche Interesse oder lass ich das und gehe?“ Aus seiner Sicht habe das öffentliche Interesse an einer freien Berichterstattung dann aber das unerlaubte Betreten des Grundstücks gerechtfertigt. So plädiert denn auch sein Verteidiger, mit einem höher zu wertenden Grundrecht.
Eine Argumentation, der Richter Müller nicht folgen will. Edle Motive stellten einen nicht straffrei, befindet er. Trammer hätte sich für seine Berichterstattung nicht stundenlang in dem Haus aufhalten müssen. Gleichzeitig betont der Richter aber auch den hohen Wert der Motive sowohl des Journalisten als auch seiner Mitangeklagten und lässt ungewöhnlich tief in sein richterliches Inneres blicken, erklärt, wie er zu der Urteilsfindung gelangt sei, was ihn dabei bewegt hat.
„Ich verstehe Ihre Frustration und Wut“, sagt er. Und dass Protest für eine plurale Gesellschaft sehr wichtig sei. Dann seufzt er, kruschtelt ausführlich in seinen Akten, redet schließlich von Donald Trump und davon, wie dieser der Freiheit von Presse und Justiz geschadet habe, auch davon, dass wir ja alle mal jung gewesen seien und dass er einen Vogel kriege, wenn mal wieder so ein internationaler Klimagipfel stattfinde und am Ende doch wieder nichts passiert. „So geht's halt einfach nicht weiter.“ Und ein Stück weit sei es ja auch gewünscht, dass die jüngere Generation Rabatz mache. Klingt fast wie ein Appell.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Staatsanwaltschaft und Angeklagte können in Berufung gehen. Er werde sich jetzt erst mal in Ruhe mit seinem Anwalt beraten, sagt Trammer, der trotz des geringen Strafmaßes kein Verständnis für den Schuldspruch hat. Und auch taz-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann kommentiert: „Es klingt, als wollte das Gericht hier milde wirken, aber wir bleiben dabei: Eine Hausbesetzung journalistisch zu begleiten ist Journalismus und kein Hausfriedensbruch. Hier kann es nur einen Freispruch für unseren Kollegen geben.“
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