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Urteil gegen Wächter im KZ-StutthofZwei Jahre Haft auf Bewährung

Ein 93-jähriger ehemaliger KZ-Wachmann wurde in Hamburg verurteilt. Er habe Beihilfe zum Mord an 5.232 Menschen geleistet, so die Richter.

Zwei Jahre auf Bewährung für den ehemaligen Wachmann Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Hamburg dpa/afp | Das Landgericht Hamburg hat einen ehemaligen SS-Wachmann im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der 93-Jährige in den Jahren 1944 und 1945 mehrere Monate als Jugendlicher zur Wachmannschaft des Konzentrationslagers Stutthof gehört hatte. Er habe sich damit der Beihilfe zum Mord in 5.232 Fällen und versuchten Mord in einem Fall schuldig gemacht. Der Prozess fand nach Jugendstrafrecht statt, weil der Mann zu Beginn der Tatzeit im Jahr 1944 erst 17 Jahre alt war.

„Wie konnten Sie sich bloß an das Grauen gewöhnen?“, fragte die vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring den 93-Jährigen bei der Urteilsbegründung. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Jugendstrafe von drei Jahren Haft beantragt, die Verteidigung Freispruch gefordert.

Bereits zum Auftakt des Prozesses im Oktober vergangenen Jahres hatte der 93-Jährige bestätigt, dass er von August 1944 bis April 1945 Wachdienst in dem Lager bei Danzig verrichtet hatte. Er hatte betont, dass er nicht freiwillig Wachmann wurde. Als Wehrmachtssoldat sei er wegen eines Herzfehlers nicht frontdienstfähig gewesen und in das Lager abkommandiert worden. In seinem letzten Wort vor Gericht hatte er die Überlebenden und Hinterbliebenen der KZ-Opfer um Entschuldigung gebeten.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft waren während der Dienstzeit des Angeklagten mindestens 5.230 Gefangene ermordet worden. 30 wurden in einer geheimen Genickschussanlage im Krematorium des Lagers getötet. Mindestens 200 wurden in der Gaskammer und in einem verschlossenen Eisenbahnwaggon mit Zyklon B umgebracht. Wenigstens 5.000 Menschen starben in Folge der lebensfeindlichen Bedingungen im sogenannten Judenlager von Stutthof.

Wohl einer der letzten NS-Prozesse

An dem Prozess waren rund 40 Nebenkläger beteiligt, unter ihnen 35 Überlebende des Konzentrationslagers. Vier von ihnen hatten persönlich im Gerichtssaal ausgesagt, zwei waren über eine Videoschaltung angehört worden. Sie hatten von täglichen Misshandlungen wie Schlägen und stundenlangen Appellen, Hinrichtungen sowie von Hunger und einer Fleckfieber-Epidemie berichtet.

Mit dem Urteil geht vorerst einer der letzten NS-Prozesse zu Ende. Ein weiteres Verfahren gegen einen anderen ehemaligen Wachmann in Stutthof könnte vor dem Landgericht Wuppertal beginnen. Vor der Jugendstrafkammer wurde Mitte Juli ein 95 Jahre alter Mann angeklagt, wie ein Sprecher des Gerichts sagte. Es steht aber noch ein Gutachten zur Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten aus.

Nach Angaben der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg führen die deutschen Staatsanwaltschaften insgesamt noch 14 Ermittlungsverfahren wegen Verbrechen in Konzentrationslagern. Offen seien drei Verfahren zu Buchenwald bei der Staatsanwaltschaft Erfurt und acht zu Sachsenhausen bei der Anklagebehörde in Neuruppin. Zudem beschäftige das Lager Mauthausen mit jeweils einem Verfahren die Staatsanwaltschaften München I und Berlin. Ferner ermittelt die Staatsanwaltschaft Itzehoe gegen eine ehemalige Schreibkraft im KZ Stutthof.

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3 Kommentare

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  • Ergänzt

    So nachvollziehbar notwendig und richtig dieses Urteil gegen einen heute 93jährigen KZ Wächter Stutthof bei Danzig August 1944 - April 1945 nach Jugendstrafrecht sein mag, was unbeantwortet scheint, ist die Haltung Hamburger Gerichts zu der Frage, war der damals 17jährige Angeklagte in einer Zeit, die bis in die späten 60ziger Jahre volle Strafmündigkeit, anders als heute bei 18, bei 21 Jahren angesetzt hatte, als rekrutierter „Kindersoldat“ August 1944 Opfer Missbrauchs durch Einberufungsämter, SS, Deutsche Wehrmacht, Sorgerecht Unterschriftsbevollmächtigte? Wenn, ja, wie steht es mit 1700 Bundeswehrsoldaten*nnen, die allein in 2019, lt. Wehrbeauftragten Bericht, als 17jährig Freiwillige, entgegen UNO Konvention zum Verbot der Einberufung von Kindersoldaten, rekrutiert wurden?, richtet sich diesen Urteil auch an sie, bei Auslandseinsätzen ihr Gewissen eingehend zu befragen, auch wenn sie bisher, entgegen Bundestags Ratifizierung der Anerkennung Internationalen Strafgerichtshof Den Haag 2002, bei Auslandseinsätzen, von Strafverfolgung weitgehend frei, unter Immunität gestellt sind?

    Interessantes Detail, der sich aus KZ Stutthof Prozessverlauf in Hamburg einmal mehr ergibt, die SS erlangte nach gescheitertem Hitler Attentat 20. Juli 1944, neben Deutscher Wehrmacht; das Einberufungs- , Zwangsrekrutierungsrecht zur Aushebung von Truppen.

  • Das Urteil ist angemessen. Der Mann war 17 Jahre als er zu dem Wachdienst eingezogen wurde. Er wurde zum Täter gemacht. Nichtsdestotrotz hat er als Wachsoldat Unrecht begannen und dafür musste er verurteilt werden.

  • Man muss bedenken: es ist eine Verurteilung nach dem JGG - er war damals 17 Jahre.