Urteil gegen Nawalnys Organisationen: Opposition nun endgültig verboten
Ein Moskauer Gericht stuft die Organisationen des inhaftierten Kreml-Kritikers als extremistisch ein. Die demokratische Fassade ist dahin.
Das Urteil bedeutet das Aus für deren Arbeit und eine Zäsur für die politische Kultur Russlands. „Wenn Korruption die Grundlage der Staatsmacht ist, sind Korruptionsbekämpfer Extremisten“, ließ Nawalny über seinen Instagram-Account nach dem Gerichtsurteil mitteilen. Das Team um den 45-Jährigen, der seine zweieinhalbjährige Strafe in einer der härtesten Strafkolonien des Landes absitzt, gibt sich optimistisch. „Wir klären das, ändern was, entwickeln uns weiter, werden uns anpassen. Von unseren Zielen und Ideen rücken wir nicht ab“, heißt es bei Nawalny. Der Entscheid aber erschwert das Leben seiner Mitarbeiter*innen und auch seiner Anhänger*innen enorm.
Der Prozess glich einer Farce. Zwölf Stunden lang blätterten Anwälte in leeren Seiten, wurden die Anträge der Angeklagten allesamt abgewiesen und Zeugen nicht zugelassen, obwohl ihre Namen ständig in den 22 Bänden des als „geheim“ eingestuften Falles erschienen. Die Sitzung klärte nicht, welchen Gegenstand sie eigentlich verhandelt, aber sie zeigte – und nur dafür war der Prozess letztlich angesetzt –, dass das System Putin keine Opponenten duldet: Nicht in landesweiten organisierten Gruppen, nicht auf der Straße und schon gar nicht bei Wahlen.
Nawalnys Antikorruptionsstiftung (FBK), seine Stiftung zum Schutz der Bürgerrechte, die als Ersatz für die FBK gegründet worden war, sowie seine als „Stäbe“ bekannten Regionalvertretungen müssen nun überall als „extremistisch“ gekennzeichnet werden. Medien, die das nicht tun, drohen hohe Geldbußen, Internetnutzer*innen, die nicht darauf verweisen, machen sich ebenfalls strafbar. Selbst Spender*innen könnten bis zu acht Jahre in die Strafkolonie kommen.
Angst und Apathie
Daraus ergibt sich ein Minenfeld der Unsicherheit. Hunderttausende Russ*innen sind durch das Urteil mit Terrorist*innen und Terrorsympathisant*innen wie jener der Miliz „Islamischer Staat“ gleichgesetzt. „Sie haben extremistische Tätigkeiten ausgeführt“, sagte der Staatsanwalt nach der Verhandlung. Worin der „Extremismus“ in den Tätigkeiten von FBK und Nawalnys „Stäben“ besteht, erklärte er nicht. Die Anwälte wollen in Berufung gehen.
Die Arbeit hatten all diese Organisationen bereits vor Wochen einstellen müssen. Nawalnys Team hatte diese auf Druck der Behörden aufgelöst, um das Leben der Mitarbeiter*innen und Ehrenamtlichen nicht weiter zu gefährden. Das Gerichtsurteil von Mittwochnacht war nur noch eine Formalie.
Seit Nawalny im Januar nach seiner Genesung nach dem Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok nach Moskau zurückgekehrt ist, rollt eine Welle der Repressionen durchs Land. Angst und Apathie bestimmen das Leben der Menschen mehr denn je, weil ihnen jedes Ventil zur Unmutsäußerung genommen wird. Das Regime geht mit immer plumperen Mitteln gegen die Opposition vor. Es eliminiert diese offen und macht Gewalt zum Prinzip seines Vorgehens.
Putin sieht sich im Belagerungszustand und hat die Opposition zur fünften Kolonne des Feindes erklärt, die es zu vernichten gilt. Deshalb tauchen in der Gesetzgebung Begriffe wie „ausländischer Agent“ oder „unerwünschte Organisation“ auf, deshalb nehmen Verfahren wegen Landesverrat und Extremismus zu. Sich gegen die offizielle Linie aufzulehnen und die Arbeit der sogenannten „Macht“ offen in Frage zu stellen, wird zur Bedrohung des Lebens. Viele Oppositionelle sind in Haft oder haben das Land verlassen. Aus Putin-Gegner*innen werden nun nach und nach Dissident*innen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“