Urteil gegen Deniz Yücel in der Türkei: Gefängnis für die Meinungsfreiheit
Wegen „Terrorpropaganda“ wird Deniz Yücel in Istanbul zu fast drei Jahren Haft verurteilt. Das sei ein politisches Urteil, erklärt der Journalist.
Gleichzeitig folgte das Gericht aber einem Antrag des Staatsanwalts, wegen eines Artikels vom November 2016, in dem Präsident Recep Tayyip Erdoğan als Putschist bezeichnet wird, ein neues Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung einzuleiten.
Der frühere Türkei-Korrespondent der Welt war bei der Urteilsverkündigung nicht selbst anwesend. Nach einem Jahr in Untersuchungshaft war Deniz Yücel nach einer beispiellosen Solidaritätskampagne in Deutschland, die zu massivem politischen Druck durch die Bundesregierung geführt hatte, im Februar 2018 entlassen worden.
Er war sofort aus der Türkei ausgereist. Seine Inhaftierung, der die Verhaftungen der ebenfalls deutschen Journalistin Meşale Tolu und des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner folgten, hatte zu einer tiefgreifenden Krise zwischen Deutschland und der Türkei geführt.
Nur ein Element der Repressionskampagne
Die Verhaftungen europäischer Journalisten in der Türkei waren nur ein Element einer groß angelegten Repressionskampagne der Regierung Erdoğan. Nach dem Putschversuch Ende Juli 2016 ließ der Präsident den Ausnahmezustand verhängen. Die folgenden 18 Monate, in denen die Notstandsregelung in Kraft blieb, nutzte er, um Regierungskritiker auszuschalten, Medien zu schließen und Journalisten wie Akademiker zu inhaftieren oder mindestens aus ihren Jobs feuern zu lassen.
Yücel geriet spätestens im Herbst 2016 ins Visier der Staatsanwaltschaft. Wie andere Journalisten berichtete er damals über eine Aktion linker Hacker, die das Handy von Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak geknackt hatten. Als bekannt wurde, dass deswegen nach Yücel gefahndet wurde, begab dieser sich in den Schutz der Deutschen Botschaft.
Hinter den Kulissen wurde da intensiv über eine Ausreise des Welt-Korrespondenten verhandelt. Die türkische Seite bestand allerdings darauf, dass er sich zunächst den Behörden stellen müsse. Laut Bundeskanzlerin Angela Merkel war zugesagt worden, dass man Yücel fair und rechtsstaatlich behandeln würde.
Stattdessen ließ ein Untersuchungsrichter ihn im Februar 2017 bei einem Haftprüfungstermin festnehmen. Während Freunde und Unterstützer damit rechneten, dass er in wenigen Tagen entlassen werde, brachte man ihn in das größte türkische Gefängnis für politische Gefangene in Silivri, westlich von Istanbul.
Druckmittel gegen Bundesregierung
Damit begann ein zwölfmonatiger Nervenkrieg, der durch die Inhaftierungen von Tolu und Steudtner weiter angeheizt wurde. Öffentliche Äußerungen von Erdoğan, der Yücel als Terroristen und Agenten anprangerte, ließen nichts Gutes ahnen. Es war klar, dass die türkische Seite mit den Gefangenen Druck auf die Bundesregierung ausüben wollte, um sie eventuell gegen geflüchtete „Putschisten“, die in Deutschland um Asyl gebeten hatten, auszutauschen.
Weil Yücel aus dem Gefängnis heraus mehrfach deutlich machte, dass er nicht Teil eines „Deals“ sein wolle, verzögerte sich eine Lösung in seinem Fall immer weiter. Erst der Einsatz von Gerhard Schröder brachte die Wende. Der Altkanzler, der bis heute einen guten Draht zu Erdoğan hat, traf sich auf Bitte der Bundesregierung mit dem türkischen Präsidenten. Obwohl es keinen erkennbaren Deal gab, entspannte sich das deutsch-türkische Verhältnis nach der Freilassung von Yücel merklich.
Zahlreiche türkische Journalisten, Intellektuelle und Menschenrechtler hingegen sitzen noch immer in Haft. Zwei der Prominentesten, der Journalist Ahmet Altan und der Kulturmäzen Osman Kavala, befinden sich seit fast vier Jahren im Gefängnis, obwohl sie von Gerichten freigesprochen oder aus der U-Haft entlassen wurden. Auf Anordnung des Präsidenten wurden beide umgehend wieder verhaftet.
Mit dem Urteil blieb das Gericht zwar deutlich unter der Forderung des Staatsanwalts, der Yücel für 16 Jahre im Gefängnis sehen wollte. Allerdings setzte es sich auch über eine Stellungnahme des türkischen Verfassungsgerichts hinweg. Dieses hatte erklärt, Yücels Untersuchungshaft sei unrechtmäßig und alle seine Artikel seien von der Meinungsfreiheit gedeckt gewesen.
In einer Stellungnahme in der Welt erklärte Yücel am Donnerstag, das sei „ein politisches Urteil, wie die ganze Geschichte meiner Verhaftung politisch war“. Dass das Gericht sich außerdem über das Verfassungsgericht hinwegsetze, um den Staatspräsidenten nicht bloßzustellen, zeige, „wie es um die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei bestellt ist“. Abschließend sagte Yücel, das Urteil sei im „letztlich egal. Es hat auch keine praktischen Konsequenzen mehr.“ Dennoch will sein Anwalt Veysel Ok Berufung einlegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen