Urteil des OVG Münster: AfD wird den Verdacht nicht los
Der Verfassungsschutz darf die AfD nach einem Gerichtsurteil weiter als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen. Nun folgt der nächste Schritt.
In dem riesigen Verfahren mit Tausenden Aktenseiten und Hunderten Schriftsätzen ging es darum, ob der tatsächliche Verdacht besteht, dass die AfD die Demokratie anzünden will. Und dafür sieht das Oberverwaltungsgericht wie bereits schon das Verwaltungsgericht Köln 2022 ausreichende Anhaltspunkte: Der Senat hat am Montag die Klage der AfD gegen ihre Einstufung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zurückgewiesen.
Heißt: Der Verfassungsschutz darf die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall beobachten und die Öffentlichkeit darüber informieren. Das Gleiche gilt für die Junge Alternative und den sogar als gesichert rechtsextrem eingestuften, mittlerweile aufgelösten „Flügel“ der Partei. Eine Revision hat der Senat nicht zugelassen, die AfD will dagegen Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einlegen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Das Verfahren ist für die AfD gewissermaßen existenziell: Nach dem Urteil könnte nun bald der nächste Schritt folgen: Die Hochstufung zu einer gesichert rechtsextremistischen Bestrebung, in dessen Folge ein Verbotsverfahren oder restriktive Maßnahmen wie die Streichung der staatlichen Parteienfinanzierung folgen. Die AfD will entsprechend gegen das Urteil vorgehen.
Inhaltliche Prüfung des Urteils nicht mehr möglich
Das Oberverwaltungsgericht in Münster war dabei die letzte Tatsacheninstanz, bei der die Streitparteien neue Beweismittel ins Verfahren einbringen konnten. Bei einer möglichen Revision am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig kann die AfD das Urteil nur auf Rechtsfehler prüfen lassen – wenn sie denn dort mit einer Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich wäre.
Zur Begründung führte das Gericht aus: „Nach Überzeugung des Senats liegen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind.“ Es bestehe der begründete Verdacht, dass es den politischen Zielsetzungen jedenfalls eines maßgeblichen Teils der AfD entspricht, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen. Dies stelle eine nach dem Grundgesetz unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung dar, im Widerspruch mit der Menschenwürdegarantie.
Richter Buck führte aus, dass Parteien in der Demokratie zwar besondere Privilegien genießen, aber „Parteienfreiheit darf nicht missbraucht werden zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“. Verfassungsfeinde dürften nicht den Schutz der freiheitlichen Demokratie nutzen, um diese zu zerstören.
Der Schutz erschöpfe sich nicht darin, ein Parteienverbot oder den Ausschluss der Finanzierung vorzunehmen – auch die Beobachtung sei Teil davon. Die Öffentlichkeit müsse in die Lage versetzt werden, Art und Ausmaß der Gefahr zu erkennen und entgegenzuwirken. Und auch hier metapherte Buck: „Die wehrhafte Demokratie ist kein zahnloser Tiger“, sagte er, sie sei aufmerksamkeits- und durchsetzungsstark – aber er verwies auch auf die Hürden bei weiteren Schritten: Der Tiger beiße „nur im nötigsten Fall zu und lässt sich nicht zu schnell provozieren“.
Gesetz sieht keine politischen Motive bei Beobachtung
Mit dem Urteil widerlegt nun auch das zweite Gericht die AfD-Erzählung vom instrumentalisierten Verfassungsschutz: Richter Buck führte aus, dass das Bundesamt seinem Auftrag nachkomme im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes. Politische oder sachwidrige Motive des Geheimdienstes lägen nicht vor.
Die AfD hatte während des Prozesses immer wieder behauptet, dass es sich bei den vom Verfassungsschutz gesammelten Aussagen nur um Einzelfälle und einzelne Entgleisungen handele, AfD-Bundesvorstand Reusch verharmloste die über tausend Seiten umfassende Zitatesammlung namhafter Funktionäre als „Blech“ von Einzelpersonen. Buck sagte: „Wenn aber Personen, die solche Äußerungen tätigen, in herausgehobene Funktionen gewählt werden, wird ihnen parteiintern erkennbar Zustimmung gezeigt.“ Europawahl-Spitzenkandidat Maximilian Krah, zuletzt auch im Fokus wegen Korruptions- und Spionageverdachts, taucht etwa aufgrund einer Vielzahl rassistischer Äußerungen in den Gutachten des Verfassungsschutzes auf.
Auch gebe es laut Senat Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen – wenn auch nicht in der Weite und Dichte wie vom Verfassungsschutz angenommen, sagte der Richter. Tatsächlich hatte das Gericht in der Verhandlung angedeutet, dass nicht jeder polemische Diktaturvergleich gleich außerhalb des Verfassungsbogens liegen müsse. Der Geheimdienst hatte etwa AfD-Äußerungen zur vermeintlichen „Corona-Diktatur“ angeführt, um antidemokratische Bestrebungen zu attestieren.
Standhalten hingegen dürften aus Sicht des Gerichts wohl Aussagen wie die des Brandenburger Abgeordneten Lars Hünich, der unumwunden die „Abschaffung der Parteienstaates“ forderte oder Aufrufe zum Bürgerkrieg, wie man sie aus AfD-Chat-Gruppen kennt. Näheres will das Gericht auch in den schriftlichen Urteilsgründen ausführen.
Hausaufgaben für Verfassungsschutz
Denn das Gericht betonte ausdrücklich, dass es lediglich über die Einstufung als Verdachtsfall entschieden habe. Daraus leite sich keine Automatismus ab für eine Einordnung als „erwiesen extremistische Bestrebung“ ab – dafür bedürfe es mehr, Näheres wolle man im schriftlichen Urteil darlegen.
Richter Buck gab dem Bundesamt aber gewissermaßen Hausaufgaben mit auf den Weg: Das Bundesamt müsse nun weiter prüfen. Um im Bild zu bleiben, sagte er: „Der Rauchmelder des Verfassungsschutzes schrillt, ist das ein Brand oder nur Rauch um nichts? Das zu erhellen, ist Aufgabe des Verfassungsschutzes.“
Die AfD hat sich offenbar entschlossen, den schrillen Alarm der Rauchmelder auch weiterhin zu ignorieren. AfD-Bundesvorstand Roman Reusch, selbst ehemaliger Staatsanwalt, sowie Vorstandsmitglied und Bundestagsabgeordneter Peter Boehringer zeigten nach der deutlichen Schlappe auf allen Ebenen nicht den Hauch von Demut oder Selbstkritik. Was es stattdessen gab: weitere Opferinszenierung. „Diese Vorwürfe sind an den Haaren herbeigezogen und nur durchgekommen, weil sich das Gericht einer Beweisaufnahme verweigert hat“, sagte Reusch.
Die AfD fuhr während des Prozesses eine maximale Verzögerungstaktik, stellte teils hanebüchene gleichlautende Beweisanträge, die sie immer wieder wörtlich diktierte – bis das Gericht die AfD-Anwälte anhielt, diese schriftlich einzureichen. Das Gericht lehnte über 470 Beweisanträge der AfD ab – teils als „unerheblich“, teils als „Ausforschungsanträge“ gegen den Verfassungsschutz. Ähnlich lief es bei der Zurückweisung vielfacher Befangenheitsanträge als „rechtsmissbräuchlich“.
Sonnige Laune bei Verfassungsschutzpräsident
Auch Bundesvorstand Peter Boehringer, selbst bekannt für problematische Äußerungen, hörte keinen Rauchmelder. Er beklagte trotz des zähen Prozesses, der langen Leine des Vorsitzenden Richters und der vielfachen Gelegenheit zur rechtlichen Stellungnahme: „Es wurde zu kurzer Prozess gemacht, wir hatten keine Chance auf faire Darstellung der Gegenargumente.“
Die Argumentationstaktik der AfD vor Gericht war eher stammtischerprobt als juristisch stichhaltig: Sie lässt sich eindampfen auf: das bisschen Rassismus. Und überhaupt: Ich kann ja kein Rassist sein, ich habe selbst Freunde mit Migrationshintergrund. Die Partei hatte im Prozess AfD-Mitglieder mit Migrationshintergrund mitgebracht, die darüber berichten sollten, wie wenig rassistisch die Partei sei. Mehrere dieser Zeug*innen hörte das Gericht an, nicht zur Sprache kam dabei, wie wenig Zulauf Feigenblatt-Organisationen wie „Juden in der AfD“ oder „mit Migrationshintergrund für Deutschland“ haben. Am Ende fand das Gericht die Vielzahl rassistischer Äußerungen mächtiger und hochrangiger AfD-Funktionäre für glaubhafter.
Der Verfassungsschutz dürfte unterdessen am Montag zahlreiche weitere Belege gefunden haben für Bestrebungen gegen den Rechtsstaat: Denn auf den Social-Media-Kanälen der AfD wurde ordentlich gezündelt – demütige Töne gab es nicht, dafür aber jede Menge Angriffe auf den Rechtsstaat: Beatrix von Storch sprach von einem „Unrechtsurteil“, der Landesvorsitzende Sachsen-Anhalt Martin Reichardt von „hörigen Richtern“, ebenso gab es DDR-Vergleiche und die Rede von einer „Verhandlungssimulation“. Der Bundestagsabgeordnete René Springer sagte: „Wir werden keinen Millimeter weichen!“
Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang zeigte sich am Montag gut gelaunt, als er am Mittag unter freiem Himmel vor dem Sitz des Bundesamts für Verfassungsschutz in Köln ein Statement abgab: „Die Sonne lacht über Köln, die Sonne lacht über Münster, die Sonne lacht für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung“, sagte er.
Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang
Man habe auf ganzer Linie obsiegt, das Gericht habe sich Zeit genommen, um alle Argumente zu hören und abzuwägen, anderthalb Jahre habe man seine Haltung konsequent dargelegt, Tausende Seiten und Schriftsätze vorgelegt, an sieben Verhandlungstagen intensiv gestritten. Nun werde man wie üblich in einem ergebnisoffenen Prüfprozess, in den auch die schriftlichen Urteilsgründe des OVG einfließen werden, zu gegebener Zeit zu einer weiteren Bewertung der AfD kommen.
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