Urteil des Bundesverwaltungsgericht: Entscheidung für Verdrängung
Ein Gericht hat das kommunale Vorkaufsrecht auf dem Häusermarkt begraben. Verbände stellen nun Forderungen an die Ampel-Verhandler.
In der Wohnungsfrage sind Städte, Länder und Kommunen noch ein Stück machtloser geworden: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschied am Dienstag, dass das kommunale Vorkaufsrecht in einem Fall aus Berlin-Kreuzberg unwirksam ist. Bislang konnten Kommunen in sogenannten Milieuschutzgebieten verhindern, dass Investoren ungehindert Wohnraum aufkaufen können, um anschließend die Preise hochzutreiben, Mieter*innen rauszuekeln oder den Wohnraum in Eigentum umzuwandeln. Bisher galt: Verpflichtet sich der Käufer nicht zu sozialen Standards, kann die Kommune in Milieuschutzgebieten dem Investor die Häuser vor der Nase wegschnappen.
Mit dem Urteil hebt das Bundesverwaltungsgericht eine Entscheidung des Berliner Oberverwaltungsgerichts von 2019 auf und gibt einem Immobilienkonzern recht – mit bundesweiten Auswirkungen. Kommunen mit Wohnungsnot, wie etwa München, Köln oder Berlin, verlieren eine der letzten wirkungsvollen Abwehrmaßnahmen gegen Investoren. Für das Land Berlin ist das Urteil besonders hart: Bereits im April diesen Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel für nichtig erklärt.
Gekippt wurde das Vorkaufsrecht vor allem aufgrund einer Ausnahmeregelung: In dem noch ohne ausführliche Begründung veröffentlichten Urteil heißt es: „Das Vorkaufsrecht darf von der Gemeinde nicht auf der Grundlage der Annahme ausgeübt werden, dass der Käufer in Zukunft erhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen werde.“ Im Klartext: Die Kommune darf nicht eingreifen, nur weil sie glaubt, dass Investoren in Zukunft unsozial handeln werden.
In Berlin haben einige Bezirke mit Unterstützung der rot-rot-grünen Landesregierung in den vergangenen Jahren mehr als 2.500 Wohnungen zugunsten kommunaler Wohnungsfirmen vorgekauft, um dauerhaft günstige Mieten und eine soziale Durchmischung in innerstädtischen Kiezen zu sichern. Das durchaus teure Vorkaufsrecht erzielte dabei auch eine abschreckende Wirkung: Mit dem Vorkauf konnten Berliner Bezirke eine Reihe sogenannter Abwendungsvereinbarungen erzwingen, in denen sich selbst die Deutsche Wohnen oder der neue Player Heimstaden zumindest zeitlich begrenzt auf Sozialstandards festlegen mussten – für Investoren bisher der einzige Weg, einen Vorkauf abzuwenden.
Lukas Siebenkotten, Mieterbund
So war es auch im verhandelten Fall aus Kreuzberg: Die Wohnungsfirma Pohl & Prym Grundstücksgesellschaft wollte sich nicht auf soziale Kriterien in einer Abwendungsvereinbarung einlassen – getreu ihrem Motto: „Wir schaffen Lebensräume für anspruchsvolle Menschen.“ Vor diesem Hintergrund scheint es umso verwunderlicher, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht anerkennen wollte, dass der Investor entgegen der Logik des Milieuschutzes handeln würde. Das Oberverwaltungsgericht von Berlin-Brandenburg hatte 2019 noch entschieden, dass es nicht sein könne, dass der Bezirk zuschauen müsse bei „zielwidriger Nutzung“. Vor allem aufgrund einer Ausnahmeregelung im Baugesetzbuch sieht das Bundesverwaltungsgericht dies aber anders.
Zernirschung macht sich breit
Vorkaufen darf man zukünftig nur noch „zweckentfremdete Schrottimmobilien“, wie etwa Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten sagt: „Das gemeindliche Vorkaufsrecht ist damit ausgehöhlt und nutzlos.“ Siebenkotten forderte eine „schnelle Reform“ vom Bundesgesetzgeber.
Wenn die Ampel nicht umgehend nachschärft, dürften die Auswirkungen des Urteils vor allem für ärmere Mieter*innen in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt spürbar werden – und zwar bundesweit. Denn das kommunale Vorkaufsrecht ist mitnichten nur ein rot-rot-grünes Instrument aus Berlin: In München fordert sogar die CSU Vorkäufe, ebenso hat die CDU in Köln von dem Instrument schon Gebrauch gemacht. Eine Partei, die das Instrument allerdings grundsätzlich ablehnt, ist hingegen die FDP – was wiederum nicht die besten Voraussetzungen sind für eine mieterfreundliche Reform durch eine Ampelkoalition.
Entsprechend zerknirscht waren weitere Reaktionen: Der noch amtierende Berliner Bausenator Sebastian Scheel (Linke) nannte das Urteil eine „Katastrophe“ für Mieter*innen bundesweit: „Die Entscheidung lässt mich fassungslos zurück.“ Auch Scheel forderte den Bundestag auf, einzugreifen, und kündigte eine sofortige Bundesratsinitiative an. Rainer Wild vom Berliner Mieterverein kommentierte: „Die Entscheidung torpediert die Versuche Berlins und anderer Städte, in den Milieuschutzgebieten durch das Vorkaufsrecht die stadtentwicklungspolitischen Ziele auszuüben und vor Verdrängung zu schützen.“
Auch der Kreuzberger Grünen-Stadtrat Florian Schmidt, dessen Bezirk bereits mehrere Tausend Wohnungen vorgekauft hat, kritisierte die „falsche Auslegung“ des Gerichts. Immerhin war er optimistisch, dass rechtskräftig vollzogene Vorkäufe Bestand haben werden. Weniger sicher war er sich hingegen bei Abwendungen.
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