Urlaub in meiner und Willis Kindheit: Cool, uncool, richtig Kacke!
Als Kind hätte ich gerne im Ausland Urlaub gemacht. Für meinen Sohn Willi wäre das schrecklich. Nun fahren wir ohne ihn, was nicht einfach ist.
K önnte mein Sohn Willi sprechen, hätte er unsere Urlaube wahrscheinlich so beschrieben: Es war richtig kacke! Wir sind die ganze Zeit nicht nach Hause gefahren.
Als Kind hätte ich im Sommer auf die anmaßende Frage, wohin wir fahren, gerne auch mal was Cooles geantwortet. So was wie Italien oder Spanien. Es kam mir sehr unspektakulär vor immer nur „an den Ratzeburger See“ zu sagen. Wir hatten dort einen Wohnwagen auf dem Campingplatz und ein Segelboot. Das Boot war aber nicht so ein Tolles mit Kajüte zum Schlafen. Es war nur ein Holzboot.
An unsere uncoolen Sommerurlaube am Ratzeburger See habe ich übrigens durchweg schöne Erinnerungen. Wir verbrachten die kompletten Ferien damit zu spielen und zu schnitzen. Wir spielten oft „Indianer“ und einmal haben wir meinen Bruder am Marterpfahl vergessen, was erst beim Abendbrot aufgefallen ist. Er wirft mir das bis heute vor. Trotzdem wollte ich unbedingt auch mal ins Ausland. Am liebsten in einen Robinson Club, obwohl ich nicht mal wusste, was das eigentlich war.
Stattdessen sind meine Eltern dann mit uns und dem Holzboot nach Dalsland in Schweden gefahren. Zum Wandersegeln. Nie haben sich meine Eltern so gestritten wie an dem Tag, als wir am Einstiegshafen das winzige Boot bepackt haben und mein Vater meinte, dass drei Unterhosen für jeden reichen müssten. Wir könnten sie ja auswaschen.
Vier Wochen lang segelten wir von See zu See. Sie waren untereinander mit Kanälen und Schleusen verbunden. Nachts haben wir in der Wildnis gezeltet. Manchmal haben wir tagelang keine anderen Menschen gesehen, dafür aber Nerze und Sterntaucher. Wir kochten auf dem Feuer und das Wasser konnte man direkt aus den Seen trinken. An Unterhosenmangel kann ich mich nicht erinnern. Am Ende sind mein Papa und ich zu unserem Anfangsort zurückgetrampt. Das war ziemlich abenteuerlich, weil wir erst nachts am Auto angekommen sind und dann auch noch der Tank leer war. Cool ist mir die Reise damals nicht erschienen.
Mit unseren Kindern unternehmen wir keine solche großartigen Abenteuer. Mit Willi überhaupt in den Urlaub zu fahren war immer schon Herausforderung genug. Er hasst Veränderungen und versteht überhaupt nicht, was diese zwanghafte Wegfahrerei soll.
Wir sind dann irgendwann im Wohnwagen immer auf denselben Campingplatz gefahren. Das ging einigermaßen. Aber ans Meer mochte Willi nie und in den Wald schon gar nicht. Seit der Pubertät saß Willi im Urlaub eigentlich nur noch am oder im Caravan mit seiner Musik, murmelte oder ließ sich in der Hängematte schaukeln. Dabei stellte er durchgängig die einzige für ihn im Urlaub relevante Frage (oder Forderung), nämlich: „Nach Hause?!!!“
Dafür bildet er mit den Händen ein kleines Dach und spricht den Laut „Zase?“ Mal sagte er es fragend, mal zärtlich, mal brüllte er es wütend: Zase? Zase. Zaaaaaße!!!! Gebetsmühlenartig antworteten wir: „Nein Willi, wir fahren noch nicht nach Hause“. Wir bewegten dabei den Zeigefinger verneinend und schütteln den Kopf, um die Aussagen zu verdeutlichen. Verzweifelt zählten wir für ihn die verbleibenden Tage an den Fingern ab, aber es nützte nichts. Je länger die Reise dauerte, umso mehr steigerte sich die Zase-Frequenz, bis sie während der Rückfahrt in einen Fünf-Sekunden-Takt gipfelte.
Jetzt ist Willi ausgezogen und wir fahren mit seiner Schwester allein in den Sommerurlaub. Willi bleibt in seinem neuen Zuhause. Wir wollen drei Wochen wild campen in Estland. Obwohl es für Willi die absolute Höchststrafe wäre, mitfahren zu müssen – wie vielleicht für die meisten 17-Jährigen – habe ich ein furchtbar schlechtes Gewissen. Ach, könnte ich doch endlich von Willi lernen, mich von gesellschaftlichen Konventionen frei zu machen oder wenigstens begreifen, dass er schon fast erwachsen ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei