„Urbane Mitte“ in Kreuzberg: Unfreundliche Übernahme
Bausenator Christian Gaebler entmachtet Friedrichshain-Kreuzberg bei umstrittenem Bauvorhaben am Gleisdreieck. Die Grünen im Bezirk sind fassungslos.
So erklärt Bezirksbaustadtrat Florian Schmidt auf taz-Nachfrage, er habe den Eindruck, „dass hier ein politisches Exempel statuiert werden soll, welches weitere Einschränkungen der bezirklichen Planungshoheit vorbereiten soll“. Für den Grünen-Politiker reiht sich der Entzug der Zuständigkeit am U-Bahnhof Gleisdreieck in Kreuzberg dabei ein „in eine Folge politischer Positionierungen des Senats zugunsten von aus der Zeit gefallenen Bauprojekten“.
Julian Schwarze, der stadtentwicklungspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, sieht das genauso. „Da frage ich mich, welche Rolle sollen die Bezirke denn überhaupt noch spielen und für wen planen wir hier eigentlich die Stadt?“, sagt Schwarze zur taz. Wie so häufig stelle sich der schwarz-rote Senat auch am Gleisdreieck „einseitig auf die Seite des Investors“ und verhindere „zeitgemäße Anpassungen der Planungen“, so Schwarze.
24.000 Quadratmeter vor allem für Büros
Konkret geht es am Rand des Gleisdreieckparks um das kleinere von zwei Teilbauvorhaben: die „Urbane Mitte Süd“ mit zwei Gebäuden mit fast 24.000 Quadratmeter Geschossfläche, vorgesehen vor allem für Büros und sonstiges Gewerbe. Wobei sich SPD-Senator Gaebler bei der nun vollzogenen unfreundlichen Übernahme der Planung auf einen Rahmenvertrag von 2005 beruft, der dem damaligen Investor die Errichtung von Gewerbeflächen auf dem Areal zusicherte.
Der Bezirk läuft gegen den Uraltplan schon seit Jahren Sturm. Gleichwohl schien der Widerstand lange aussichtslos. Denn bei Projektänderungen stünden dem Investor bis zu 150 Millionen Euro Schadensersatz zu. So zumindest die Argumentation des Senats.
Auch das ist Schnee von gestern, heißt es hierzu aus Friedrichshain-Kreuzberg. Schließlich kam Anfang des Jahres ein vom Bezirksamt in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zu einem gänzlich anderen Schluss. Demnach sei der Rahmenvertrag von 2005 zwar gültig, der darin vereinbarte Entschädigungsmechanismus aber unwirksam.
Bausenator Christian Gaebler ficht das nicht an. Er habe Friedrichshain-Kreuzberg schon im März angewiesen, die Planungen jetzt mal „zeitnah und zügig fortzuführen“. Dem sei man nicht nachgekommen. Folglich musste er nun handeln, der Investor habe ja „bereits erhebliche Vorleistungen“ geleistet. „Es geht darum, Vertrauensschaden vom Land Berlin abzuwenden“, beschied Gaebler am Montag dem entmachteten Bezirk. Eine Begründung, die Grünen-Politiker Julian Schwarze mit nur einem Wort kommentiert: „hanebüchen“.
Auch Linke kritisiert „klimapolitischen Wahnsinn“
Katalin Gennburg, die Sprecherin für Stadtentwicklung der Linksfraktion, wird noch deutlicher. „Während in Berlin bereits über eine Million Quadratmeter Bürofläche leerstehen, setzt sich Betonsenator Gaebler für den Bau eines zweiten Potsdamer Platzes im Gleisdreieckpark ein“, sagt Gennburg.
Das sei nicht nur „klimapolitischer Wahnsinn“ in Diensten eines „windigen“ Investors. Es gebe, so die Linken-Politikerin, auch einen Vorgeschmack auf „die Basta-Politik“, die mit dem vom Senat am Dienstag im Entwurf beschlossenen Schneller-Bauen-Gesetz „zum Standard werden soll“.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
Tod von Gerhart Baum
Einsamer Rufer in der FDP-Wüste
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören