Uraufführung in München: Die fieseste Lüge überhaupt
Sivan Ben Yishais Drama „Like Lovers do“ wird in München uraufgeführt. Es ist eine neonfarbene Hölle aus Gewaltfantasien.
Nach den ersten Sätzen ist klar: Das wird ein anstrengender Abend. „Dieses Lied ist dem gewidmet, der mich in einem Flur voller Schlangen fickte, bis meine Augen weiß und zu Knochen wurden“ – ein Auftakt wie ein Tusch.
Fünf beste Freundinnen stehen auf der Bühne und holen die „Memoiren der Medusa“, so der Untertitel von Sivan Ben Yishais Text „Like Lovers Do“, in die Gegenwart. Stellvertretend erleben sie die Qualen der griechischen Sagengestalt im Diesseits: Die Medusa wird Opfer einer Vergewaltigung durch Meeresgott Poseidon im Tempel der Athene, eines Mordes, einer Schändung und zuletzt noch eines Fluches: Als einzige der drei Gorgonen ist die Sagengestalt sterblich. Und selbst ihr abgetrennter Kopf bleibt eine tödliche Waffe, die Männern gefährlich werden kann: Ein Blick aus den toten Augen der Medusa lässt sie versteinern.
Regisseurin Pınar Karabulut lässt die fünf besten Freundinnen – besetzt mit Gro Swantje Kohlhof, Jelena Kuljić, Bekim Latifi, Edith Saldanha und Mehmet Sözer – jede Hölle und alle Sehnsuchtsorte durchschreiten, die Menschen einander bereiten können. Dabei lotet Sivan Ben Yishai die Grenzen der Sprache in einer Weise aus, die Medien, sozialen Netzwerken und selbst Filmen üblicherweise verboten ist und die in dieser Härte und Unmittelbarkeit dem Theater vorbehalten bleibt.
Mehr wird an diesem Abend mehr: Mehr Schmerz, mehr Furor, mehr Angst, mehr Gefühl werden unterstützt durch fast durchgehend brüllende, singende oder greinende Schauspieler. Mehr grelle Farben, flackerndes Licht, ein Ufo, das sich – natürlich im Trockennebel – auf die Bühne senkt, ein Finale als Luftperformance (Bühnenbild: Michela Flück). Ein Tümpel, in dem Blut oder Sperma rot blubbernd kocht und in den die Figuren kopfüber abstürzen.
Die eingangs noch prall aufgeblasenen Luftschloss-Türme auf Medusenköpfen, die die Bühne umgeben, sacken irgendwann kraftlos in sich zusammen, etwa als von Lorena Bobbit die Rede ist, die vor knapp einem Vierteljahrhundert den Penis ihres gewalttätigen Gatten einfach abtrennte. Und irgendwann singt dann noch irgendwer „Time of My Life“, das sehnsüchtige Liebesbekenntnis des verruchten kleinen Mannes aus dem Teenie-Film „Dirty Dancing“ – und das nicht mal schlecht.
Starke Frauenpartnerschaften
Tatsächlich sind starke Verbindungen von mindestens fünf kraftvollen Frauen hinter der Inszenierung zu erkennen: Kammerspiel-Intendantin Barbara Mundel arbeitet in der laufenden Spielzeit bewusst mit gegenwärtigen Stoffen und einem jungen Bühnenensemble (fast alle Darsteller von „Like Lovers Do“ sind keine dreißig). Die 1978 in Tel Aviv geborene Autorin Sivan Ben Yishai hat in Tel Aviv szenisches Schreiben und Theaterregie studiert und lebt seit neun Jahren in Berlin.
Ihre englischen Texte werden von der jungen Schriftstellerin und Lyrikerin Maren Kames ins Deutsche übertragen. Die hochpoetischen Bildfolgen fügen sie assoziativ zusammen, und die anspielungsreichen Dialoge könnten einen auf die Idee bringen, manches „nein“ sei womöglich ein verschämtes „ups“. Extremerfahrungen der Angst und Wut verleihen sie durch die Macht der Sprache eine Allgemeingültigkeit. „Die Vergangenheit ins Unwirkliche verformen“, „Unseren Erinnerungen standhalten“ und „Wie man Viele ist“ steht über den einzelnen Kapiteln der Bühnenfassung von „Like Lovers Do“.
Regisseurin Pınar Karanbulut verbindet mit ihrer Bühnenbildnerin Michela Flück eine kontinuierliche Zusammenarbeit; zuletzt war von ihr „Der Sprung vom Elfenbeinturm“ zu sehen, Texte von Gisela Elsner, die ebenfalls Frauen in den Fokus rücken.
Ein leuchtendes Solo legt allerdings ein Mann hin, Bekim Latifi, der sich im letzten Drittel des Stückes – von seinen vier besten Freundinnen verlassen, die mal eben in die Maske müssen – allein im Bühnenraum in einen ekstatischen Rausch steigert. Er beschreibt in wilden Worten und krassen Fratzen, wie Männer durch jahrzehntealte Fantasiebilder aus Werbung, Magazinen und TV-Schmonzetten vergewaltigt werden: „Schwänger mich! Geh und kämpf für mich! Finanziere mich!“
Antworten und weiche Socken
Größer müssen die Typen sein, unbedingt auch älter, dicker, stärker, behaarter, dunkler, wütender – reicher erwähnt der Text dann nicht auch noch, es bleibt schon beim Archaischen. Und sie müssen einen Zufluchtsort, ein Zuhause bieten. Sie müssen Antworten haben und hergeben, dazu übergroße Pullover und weiche Socken, die Rolle des Fürsorgers übernehmen, wenn es draußen zu kalt, zu warm, zu hell, zu dumpf, zu real wird.
Allerdings, harte Sache: Letztlich geht es halt auch dabei nur um Sex und Unterwerfung – was das Bild des Beschützers, der ritterlich die eigenen Interessen unterdrückt, sofort umkehrt und zur fiesesten Lüge überhaupt gerinnen lässt. Die dann gemeinsam mit Darsteller Latifi ebenfalls spuckend und weinend kopfüber im blubbernden Blut-und-Sperma-Tümpel in der Bühnenmitte baden geht.
Ja, das war ein anstrengender Abend, der die Zuschauer in die Distanz treibt und fix und fertig macht. Die Kammerspiele versehen die Uraufführung zwar mit einer Triggerwarnung, die Menschen mit Missbrauchserfahrung die Gelegenheit gibt, das Stück zu meiden – und beiläufig auch gleich ein wenig Marketing betreibt für alle anderen.
In hitzigen Worten schicken die schnellen Assoziationsfolgen das Publikum eineinhalb Stunden lang durch eine innere Hölle. Wer es nicht aushält, verlässt den Saal. Wer aber bleibt, den reißt es beim Schlussapplaus dann auch vom Sitz.
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