
Atomkraft in den USA: Indigene fürchten Comeback des Uranabbaus
US-Präsident Trump will, dass mehr Uran abgebaut wird. Neue Minen werden im Eilverfahren genehmigt. Menschen sorgen sich um die gesundheitlichen Folgen.
P lain Treina Jones macht sich Sorgen, seit sie von dem Plan der US-Regierung gehört hat, wieder verstärkt heimisches Uran abzubauen. „Es fühlt sich so an, als würde alles wieder von vorne beginnen“, sagt die 31-Jährige, die zum Stamm der Najavo gehört. Jones lebt in Tuba City, einer Kleinstadt im Nordosten des US-Bundesstaates Arizona. Mit ihren zwei Kindern wohnt sie in einem Mobile Home, wie die meisten Menschen in Tuba City.
Die Gegend war vor Jahrzehnten schon einmal eine Hochburg der Uranförderung. Die meisten Minen schlossen irgendwann, zurück blieben kontaminiertes Trinkwasser und eine erhöhte Krebsrate.
Uran ist ein radioaktives Element, das vor allem für die zivile Atomkraft und im Militär genutzt wird. Es ist das zentrale Element, das die Kernspaltung im Inneren eines Reaktors ermöglicht. Seit knapp einem halben Jahr rollen tägliche wieder Lastwagen mit uranhaltigem Gestein durch die Stadt. Von der Mine transportieren sie das Gestein zur Weiterverarbeitung in den benachbarten Bundesstaat Utah.
Geht es nach der Regierung von US-Präsident Donald Trump, dann ist dies erst der Anfang. Am ersten Tag seiner Amtszeit unterzeichnete Trump eine Verordnung zur Förderung des Rohstoffabbaus. Darin erklärt er: „Die derzeit unzureichende Nutzung der heimischen Energieressourcen unseres Landes […] macht uns anfällig für feindliche ausländische Akteure und stellt eine unmittelbare und wachsende Bedrohung für den Wohlstand und die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten dar.“
Der Uranrausch brachte viele Krebserkrankungen
Aktivistin Leona Morgan sagt: „Die Menschen in den Abbaugebieten verbinden Uran mit Tod und Zerstörung.“ Morgan, die sich seit mehr als zehn Jahren gegen einen Ausbau der Kernenergie engagiert, gehört ebenfalls zu den Navajo. Das Stammesgebiet erstreckt sich über mehrere US-Bundesstaaten im Südwesten der USA. Genau dort gab es zu den Hochzeiten des Atomkraftausbaus zwischen 1960 und 1980 einen regelrechten Uran-Goldrausch. Tausende kleine Minenbetreiber versuchten mit dem Abbau von Uran schnelles Geld zu verdienen, oft auf dem Rücken von indigenen Arbeitskräften.

„Eine große Mehrheit unserer Stammesältesten erkrankte an Krebs, weil sie dort arbeiteten“, glaubt Treina Jones. „Als sie zu ihren Familien nach Hause kamen, steckten sich ihre Frauen an. Und die Kinder erwischte es auch.“
Was Jones mit „anstecken“ meint: Die Arbeiter könnten radioaktiven Staub aus der Mine mit nach Hause gebracht haben. Radon, ein radioaktives Gas, das beim natürlichen Verfallsprozess von Uran entsteht und dem besonders Minenarbeiter ausgesetzt sind, erhöht laut medizinischen Untersuchungen besonders das Risiko für Lungenkrebs.
Bis in die 1950er Jahre war Arbeitssicherheit in den Minen kein großes Thema. Die Menschen arbeiteten ohne Schutzkleidung unter Tage, das Trinkwasser wurde verschmutzt. Die Folgen blieben oft ein Leben lang. Wie viele Todesfälle auf die Tätigkeit in den Uranminen zurückzuführen sind, ist nicht genau bekannt, doch es dürften Tausende sein.
Es gibt mehrere Studien, die einen Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und der Arbeit in Uranminen bestätigen. Demnach haben Navajo-Männer, die in einer Uranmine tätig waren, eine 28-mal höhere Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, als ihre Stammesbrüder, die nicht im Uranabbau gearbeitet haben.
Noch heute gibt es mehr als 500 Minen, die verlassen auf Navajo-Gebiet liegen. Die Menschen dort haben nun Angst, dass sich Geschichte wiederholt.
„Wir, die indigene Bevölkerung, werden von so vielen Seiten ausgenutzt – beim Thema Uran geht es um Landraub“, sagt Taymond Tolthe, der auch in Tuba City wohnt und sich gegen den Uranabbau einsetzt. Es laufe wieder so, wie die US-Regierung die Ureinwohner und indigenen Völker schon immer behandelt habe. „Sie dringen zu unseren heiligen Stätten vor, um zu schänden und zu plündern“, sagt Tolthe.
Tuba City ist eine Kleinstadt, wie es sie zu Tausenden in den USA gibt. Der Unterschied ist, dass mehr als 90 Prozent der knapp 8.000 Einwohner indigener Abstammung sind. Tuba City gehört zu den größten Navajo-Gemeinden im Land. Mit etwas mehr als 330.000 Stammesangehörigen zählen die Navajo zu den größten indigenen Völkern in den USA.
Die Kleinstadt befindet sich in einer kargen Wüstenlandschaft, umgeben von Canyons und imposanten Steinformationen. Die Landschaft erinnert ein bisschen an die Anfangsszene aus dem ersten „Jurassic Park“-Film und ja, auch echte Dinosaurier-Fußabdrücke sind hier zu finden. Ansonsten ist Tuba City keine Reise wert. Neben einem Souvenirshop und einem Museum hat das Städtchen nicht viel zu bieten.
Dass nun täglich Lkws mit Urangestein durch die Stadt rollen, liegt an einer Vereinbarung, die die Stammesführer der Navajo Nation mit der Firma Energy Fuels getroffen haben. Im Gegenzug für die Transportrechte hat sich die Firma bereit erklärt, die Schäden der Vergangenheit zu beseitigen. Energy Fuels hat versprochen, radioaktives und umweltschädliches Material aus den hunderten verlassenen Minen kostenfrei abzutransportieren. Bisher sind dies aber nur Versprechungen.
Im Wald, unweit des Grand Canyon: die Pinyon Plain Mine
Der Abbau von Uran in den USA hatte seine Hochzeit zwischen 1950 und 1980. Seitdem ist die Industrie immer weiter geschrumpft. Heute gibt es nur eine Handvoll aktiver Uranminen. Eine davon, die erst im vergangenen Jahr den Betrieb aufgenommen hat, ist die Pinyon Plain Mine in Arizona, rund 90 Meilen oder eine zweistündige Autofahrt von Tuba City entfernt.
Das Urangestein aus dieser Mine wird auf Lkws verladen und dann auf eine Reise von mehr als 300 Meilen nach Utah geschickt – durch das Navajo-Gebiet um Tuba City.
Die Fahrt zur Uranmine Pinyon Plain führt über unbefestigte Schotterstraßen. Während der Fahrt verändert sich die Landschaft drastisch: Das karge und staubige Wüstenambiente weicht dem Grün von Sträuchern und Bäumen.
Die Pinyon Plain Mine liegt inmitten eines staatlichen Waldgebietes, gerade mal 20 Kilometer südlich des Grand Canyon. Am Eingang, der durch Überwachungskameras und einen Stacheldrahtzaun gesichert ist, hängen Schilder, die den unbefugten Zutritt verbieten und auf mögliche Radioaktivität hinweisen.
Was für Außenstehende bedrohlich wirken mag, ist für die Mitarbeiter Alltag. „Wir haben Jungs, die seit mehr als einem Jahrzehnt im Uranabbau tätig sind und damit das tun, was sie lieben“, sagt Matt Germansen, Leiter der Pinyon Plain Mine. Aber es sei eine harte Arbeit, die mit einem durchschnittlichen Jahresgehalt von fast 80.000 Dollar durchaus gut bezahlt ist.
Nach Jahren der Probebohrungen, verschiedenen Untersuchungen und Genehmigungsverfahren nahm die Uranmine im vergangenen Sommer den Betrieb auf. Es ist keine der verlassenen Minen, 2016 wurde mit dem Bau begonnen.
Das Abbauverfahren selbst ist konventioneller Bergbau, die Gold- oder Salzgewinnung funktioniert ganz ähnlich: Arbeiter bohren Löcher ins Gestein, wo Uranablagerungen vermutet werden. Dann wird der Stein gesprengt, und das entstandene Geröll wird aus einer Tiefe von etwa 400 Metern, so zumindest im Fall der Pinyon Plain Mine, an die Oberfläche befördert. Dort wird es gelagert, bevor es zur Weiterverarbeitung abtransportiert wird.
„Es ist mit Abstand eine der hochwertigsten Uran-Lagerstätten in den USA“, sagt Germansen. Die meisten Uranvorkommen in den USA enthielten zwischen 0,2 und 0,4 Prozent Uran. Aber der Urangehalt in der Pinyon Plain Mine liege mit etwa einem Prozent deutlich höher.
Uran ist in kleinen Mengen fast überall auf der Welt zu finden, auch in Deutschland. Doch der Abbau lohnt sich nur dort, wo die Konzentration auch hoch genug ist. In Teilen Kanadas gibt es Gebiete, wo der Urananteil im Gestein sogar mehr als 15 Prozent beträgt.
Die Radioaktivität bereitet den Menschen in Tuba City und anderswo am meisten Sorgen. „Sie sprechen davon, dass es sich bei Uran und Kernkraft um eine grüne Energiequelle handelt, aber der Abbauprozess wird nicht berücksichtigt“, sagt Aktivist Tolthe. „Wie viel Verschmutzung und Verunreinigung lassen wir zu?“, fragt er.
Die erste Lkw-Ladung Urangestein wurde im Februar dieses Jahres von Arizona nach Utah transportiert. Dort wird das Gestein in einer Fabrik zu einer gelben, puderartigen Substanz namens Yellowcake verarbeitet. Im Gegensatz zum Gestein hat Yellowcake einen Uran-Anteil zwischen 70 und 90 Prozent.
Da zur Energiegewinnung in den meisten Kernkraftwerken ein bestimmter Typ von Uran verwendet wird, nämlich Uran-235, wird Yellowcake in einem weiteren Schritt mithilfe von Zentrifugen angereichert. Mit einem U-235-Anteil von mindestens 5 Prozent ist das Uran bereit für den Einsatz in Kernreaktoren. Wie hoch der U-235-Anteil genau sein muss, hängt von der Technologie ab, die im AKW angewendet wird.
Germansen ist sich sicher, dass nirgendwo auf der Welt Uran sicherer abgebaut wird als in seiner Mine. Der Abbau selbst werde rund sieben Jahre dauern, sagt der Minenchef. Danach sei die Mine ausgebeutet. Im Anschluss werde man das Gelände renaturieren, Bäume pflanzen. Jahrzehntelange Nachkontrollen sollten sicherstellen, dass radioaktive Grenzwerte nicht überschritten werden.
Germansen weiß, dass es Menschen gibt, die sich wegen der Auswirkungen des Uranabbaus auf die Umwelt und die Gesundheit sorgen. Daraufhin sagt er: „Als jemand, der mit seiner Familie selbst in Flagstaff und den umliegenden Gemeinden lebt, weiß ich, dass in dieser Uranlagerstätte sicher abgebaut wird, dass die entsprechenden Genehmigungen vorliegen und dass die Aufsichtsbehörden dafür sorgen, dass wir es nach Vorschrift machen.“
Den Anti-Uran-Aktivisten wie Leona Morgan oder Taymond Tolthe reichen diese Versprechungen nicht. Sie bleiben skeptisch und haben Angst vor den möglichen Auswirkungen einer radioaktiven Verunreinigung von Boden, Luft und Wasser, wenn radioaktives Gestein gelagert und transportiert wird.
Mit 94 aktiven Atomreaktoren haben die USA weltweit mit Abstand die meisten Kernkraftwerke. Laut dem US-Energieministerium decken die AKWs, die auf 28 US-Bundesstaaten verteilt sind, knapp 20 Prozent des amerikanischen Strombedarfs ab. Da die Kernenergie nach Ansicht der US-Behörden zu den klimaneutralen Stromquellen zählt, ist diese auch für 50 Prozent des amerikanischen „Biostroms“ verantwortlich. In den kommenden Jahren sollen weitere Atomreaktoren hinzukommen. Gleichzeitig sollen die Betriebsgenehmigungen für existierende Reaktoren verlängert werden und bereits abgeschaltete Kernkraftwerke wieder ans Netz gehen.
Höherer Strombedarf bedeutet in den USA mehr Kernenergie
Das liegt auch an den immer größeren Datenmengen, die weltweit verarbeitet werden. Die Rechenzentren von Amazon, Microsoft und Co verbrauchen enorm viel Strom. In Virginia, dem US-Bundesstaat mit der höchsten Dichte an Rechenzentren, sind diese Auswirkungen bereits ersichtlich. Aaron Ruby vom Stromunternehmen Dominion Energie sagt: „Wir prognostizieren daher, dass der Strombedarf in unserem gesamten Versorgungsgebiet – nicht nur für Rechenzentren, sondern für alle unsere Kunden – in den nächsten 15 Jahren jährlich um 5 Prozent oder mehr steigen wird. In Virginia wird sich der Strombedarf in den nächsten 15 Jahren praktisch verdoppeln.“
Am bekanntesten dürften die Pläne des Technologiekonzerns Microsoft sein. Das Unternehmen verkündete im vergangenen Jahr, dass man das Three-Mile-Island-AKW in Pennsylvania wieder aktivieren wolle, um „saubere Energie“ für eigene Rechenzentren zu beziehen. Im Three-Mile-Island-Kraftwerk ereignete sich 1979 das bisher schlimmste Atomunglück der amerikanischen Geschichte, als es in einem der Reaktoren zu einer Kernschmelze kam. Der US-Bundesstaat New York plant, in den kommenden Jahren ein komplett neues AKW zu errichten. Eine entsprechende Anordnung wurde von Gouverneurin Kathy Hochul im vergangenen Monat erlassen.
Auch Investitionen in Mini-AKWs – Small Modular Reactors (SMRs) genannt – gehen trotz etlicher Rückschläge in den vergangenen Jahren weiter. Politisch ist das Thema Atomenergie eines der wenigen, das sowohl von Republikanern als auch von Demokraten unterstützt wird: Nur wenige Tage nach Trumps Wahlsieg im November verkündete die Regierung von Ex-Präsident Joe Biden ein Strategiepapier. Laut diesem soll der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung bis 2050 mehr als verdreifacht werden.
Und dafür braucht es Uran. Aktuell importieren die USA knapp 99 Prozent des Urans, das für die Energiegewinnung in den einzelnen Reaktoren verwendet wird. Die größten Exporteure sind Kanada, Kasachstan und Russland.
„Hier in den USA und auf der ganzen Welt hat die politische Unterstützung für die Atomenergie in den vergangenen Jahren zugenommen“, sagte Mark Chalmers, Präsident von Energy Fuels. Damit der heimische Abbau von Uran wirklich Fahrt aufnehmen kann, braucht es laut Chalmers aber weitere politische Veränderungen. „Die Genehmigung von Projekten in den USA ist schwieriger als anderswo. Zudem sind die USA ein sehr prozessfreudiges Land, Klagen können Projekte verzögern oder ganz stoppen. Allein das macht es schon schwierig“, sagt er.
Das ist die Sicht der Industrie auf das Thema. Umweltschutzorganisationen wie der Sierra Club sehen es freilich ganz anders und warnen vor der Zulassung neuer AKWs, weil sie Tonnen von neuem radioaktiven Müll produzieren und den Ausbau der Erneuerbaren Energien verlangsamten, somit die Klimaziele gefährdeten, statt sie zu sichern.
„Die Nutzung von Kernenergie wird das Wachstum sicherer Projekte im Bereich erneuerbarer Energien verlangsamen und New York jahrhundertelangen Umweltrisiken aussetzen, da wir gezwungen sein werden, tausende Tonnen zusätzlichen radioaktiven Abfalls zu sichern“, sagte Kate Bartholomew, Vorsitzende des Sierra Club Atlantic Chapter, bezüglich der geplanten Atomkraft-Investitionen im US-Bundesstaat New York.
Tatsächlich will die Regierung Unternehmen wie Energy Fuels entgegenkommen und die Genehmigungen für den Abbau von Uran beschleunigen. Erst im vergangenen Monat genehmigte das US-Innenministerium im Eilverfahren eine neue Uranmine in Utah. Ein Verfahren, das in der Vergangenheit Monate oder Jahre dauerte, benötigte dieses Mal nur elf Tage. Für eine Risikoanalyse in einem sensiblen Gebiet wie dem Grand Canyon ist das verdammt schnell.
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