Unwetter in Ostfriesland: „Definitiv ein Tornado“

Ein Wirbelsturm im Kreis Aurich hat ganze Dörfer verwüstet. Me­teo­ro­lo­g:in­nen gehen davon aus, dass solche Wetterextreme künftig schlimmer werden.

Abgerissene Dächer und zerstörte Wohnmobile

Abgerissene Dächer, zerstörte Wohnmobile: typische Zeichen eines Tornados Foto: Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

BREMEN taz | Ein starker Sturm hat im Landkreis Aurich in Ostfriesland am Montagabend zahlreiche Häuser teils erheblich beschädigt. Nach Angaben der Feuerwehr waren mindestens 50 Gebäude betroffen, fünf sind wegen schwerer Schäden nun unbewohnbar. Verletzt wurde niemand. Die Feuerwehr spricht von „blankem Chaos“. Ein ähnliches Unwetter habe es im Kreis Aurich bislang nicht gegeben.

„Das war definitiv ein Tornado“, sagt Sebastian Wache, Diplom-Meteorologe von der Kieler Firma Wetterwelt der taz: „Da gibt es keine Zweifel.“ Das belegten die Augenzeugenberichte, aber auch die Videos, die im Netz kursieren und die Schadensmeldungen aus den betroffenen Dörfern der rund 8.500 Ein­woh­ne­r:in­nen zählenden Gemeinde Großheide. Der Durchmesser des Tornados lag Schätzungen zufolge zwischen mehreren Dutzend und etwa 100 Metern.

Der Meteorologe geht wie auch der Deutsche Wetterdienstes (DWD) von Windgeschwindigkeiten von 180 bis 250 Stundenkilometern aus, also einem mittelschweren Tornado der Stufe F2 auf der so genannten Fujita-Skala. Davon spricht man, wenn – so wie hier – ganze Dächer abgedeckt, Wohnmobile zerstört und große Bäume entwurzelt werden. Leichte Gegenstände werden dann plötzlich gefährliche Projektile. Zum Vergleich: Der schlimmste je beobachtete Tornado hatte die Stufe fünf, mit Geschwindigkeiten um 500 Stundenkilometer.

Ein solcher Tornado, auch Windhose genannt, ist ein kleinräumiger Luftwirbel mit annähernd senkrechter Drehachse, der starken Wind auslöst und entsteht, sobald eine Wolke anfängt, zu rotieren. Die Voraussetzung dafür sind Temperaturgegensätze, eine örtliche Gewitterzelle und Winde, die mit der Höhe auch ihre Richtung ändern. Am vergangenen Wochenende gab es schon einmal einen Tornado – auf der Ostsee vor Kiel, auf der Eckernförder Bucht. „Der hatte eine ähnliche Stärke“, so Wache. Menschen oder Schiffe kamen dabei aber nicht zu Schaden.

60 bis 70 Tornados im Jahr

Gemeinhin verbindet man Tornados eher mit den USA – „dort kommen sie sehr häufig vor“, sagt Wache. Durchschnittlich 1.200 Tornados werden dort jedes Jahr registriert. In Deutschland gehen Ex­per­t:in­nen aber auch von etwa 60 bis 70 Tornados im Jahr aus. „Viele davon bleiben unbemerkt“, so Wache.

2015 gab es einen Tornado mit Geschwindigkeiten bis 300 Stundenkilometern in Mecklenburg-Vorpommern. Im Juni dieses Jahres forderte ein Tornado der Stufe vier in Tschechien sogar sechs Todesopfer, 200 Menschen wurden verletzt, 180 Häuser mussten abgerissen werden. „Das hat in diesem Ausmaß in diesem Jahr Seltenheitswert“, sagt Wache.

Sind mit dem Klimawandel nun auch hierzulande mehr Tornados zu erwarten? Durch die globale Erwärmung steigen nicht nur die Luft-, sondern auch die Wassertemperaturen. Damit geht eine höhere Verdunstung einher, also sammelt sich mehr Wasserdampf in der Atmosphäre. „Das ist unser Energieträger für Wetterextreme“, sagt Wache. Dennoch geht er nicht unbedingt davon aus, dass die Zahl der Tornados in Deutschland in den kommenden Jahren zunimmt – sie seien schließlich stark wetterlagenabhängig.

Sebastian Wache, Diplom-Meteorologe von der Kieler Firma Wetterwelt

„Die Tornados gewinnen im Zuge des Klimawandels vor allem an Stärke, Wetterextreme werden also noch extremer“

Die bisherige Klimaerwärmung hat auch nicht dazu geführt, dass sich Tornados nachweisbar gehäuft haben, zumindest nicht in den vergangenen 30 bis 40 Jahren. „Dafür werden sie schlimmer“, sagt Wache: „Die Tornados gewinnen im Zuge des Klimawandels vor allem an Stärke, Wetterextreme werden also noch extremer“. Wie viel, könne man aber bisher nicht sagen.

Ohnehin seien Tornados auch für Fachleute kaum vorherzusagen, so Wache. Denkbar sei allenfalls eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass überhaupt einer entsteht: „Nur: Wo genau sie auftreten, kann man vorher definitiv nicht sagen“. Im Gegensatz zu Hurrikanen entstehen Tornados eher zufällig, tauchen also vorher nicht auf der Wetterkarte auf. In China etwa arbeiten For­sche­r:in­nen derzeit zwar an neuen Wettermodellen, mit denen man solche Ereignisse zumindest ein bis zwei Stunden vorher erkennen kann. „Seriöse Vorwarnungen für die Bevölkerung wird es so schnell aber nicht geben“, so Wache.

„Es ist katastrophal“, sagte der Gemeindebürgermeister von Aurich, Fredy Fischer, der Nachrichtenagentur dpa zur Lage vor Ort. Die Hilfsbereitschaft sei aber groß: Es gebe viele Menschen, „die einfach mitanpacken“. Dass nicht mehr passiert ist, nennt ein Sprecher der örtlichen Feuerwehr „ein Wunder“. Der Sturm habe Mauerbrocken und Zäune durch die Luft gewirbelt, Fahrzeuge stürzten um, ganze Hausgiebel wurden weggerissen. Weit mehr als 100 Feuerwehrleute seien die ganze Nacht über im Einsatz gewesen. Rettungskräfte und Hel­fe­r:in­nen hatten es am Dienstag auch mit Schaulustigen zu tun.

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