Unterwegs in einem Eierhäuschen: Direkt vom Federvieh
Städter kaufen Hühnereier am besten direkt aus dem Nest, das bietet maximale Landromantik. Unterwegs in einem oberbayerischen Eierhäuschen.
Schrammt man mit der rechten Schulter an den Voralpen und mit der linken an Biergärten und Bauernhöfen entlang, bewegt man sich durchs ländliche Oberbayern. Alles hier ist Gegend und selbst das schrumpeligste Biorübengemüse wirkt neben Haxn und Maß unwiderstehlich.
Das Schild „Frische Eier“ gehört zu dieser Gegend wie der Stau zu München. In Städtern provozieren solche Schilder Bilder vom ganz anderen Leben. Ein Leben, in dem man dem Huhn morgens das nestwarme Ei abluchst, ihm mittags den Hals umdreht und es abends in die Suppe wirft.
Nach diversen Skandalen in der Geflügeltierhaltung und der Eierproduktion – auch in Biobetrieben – hatte der Eierverzehr in den letzten Jahren allerdings ein Image kurz vor Babyschildkröten ausschlürfen. Man tat es nicht. Inzwischen ist Eieressen wieder okay, jedenfalls solange man im Supermarkt Eier eines Huhns kauft, von dem man auf der Verpackung erfährt, wie es hieß, was es aß, wo es schlief und von wem es gevögelt wurde.
Wohl dem, der nicht auf Kartonbeschriftungen vertrauen muss. Der Vorteil von Gegend ist ja, dass man das Huhn unter freiem Himmel rumrupfen sieht und der Bäuerin dabei zuschauen kann, wie sie die Eier aus einem mit Dinkelspelz ausgelegten Nest pflückt. Beim Anblick von glücklich gackerndem Federvieh, das in der eigenen Kacke rumstakst, zahlt man freiwillig noch einen Euro mehr für die Eier: für den Geschmack von Freiheit.
Verkaufsförderndes Federvieh
Der Blick auf eine flanierende Hühnerschar sei in der Tat verkaufsfördernd, argumentieren die Hersteller von mobilen Hühnerställen. Und der Samerhof der Familie Seeholzer im westlichsten Münchner Stadtviertel Aubing bestätigt das. Ein Teil ihrer 300 Hennen lebt in einem mobilen Stall, der in der Nähe eines Ausflugsparkplatzes an der Straße Richtung Fürstenfeldbruck steht. Viele Ausflügler kommen hier vorbei, sehen die Hühner ihre Freiheit genießen und halten direkt an, um im Holzhäuschen neben dem Stall Eier zu kaufen.
Es ist eines dieser Selbstbedienunghäuschen, wie sie in Oberbayern mittlerweile weit verbreitet sind: Drinnen ein Kühlschrank mit frischen Eiern, daneben eine Kasse, in die man das Geld werfen soll. „Freilandhaltung, ohne Gentechnik und kein Antibiotika“ steht über der Tür, „Achtung: Neue Preise“ auf einem Schild im Innern. Die 6er-Schachtel kostet jetzt 2,50 Euro und die 10er-Schachtel 4 Euro.
„Ich muss mich bei den Leuten entschuldigen“, sagt Alfred Seeholzer, der Chef vom Samerhof. „Ich habe nicht geglaubt, dass das funktioniert. Mein Sohn aber hatte mehr Vertrauen in die Menschheit. Und er hatte recht: Die Leute sind ehrlich.“ Nur einmal habe jemand die Kasse mitgehen lassen. Und manchmal liege ein Zettel im Häuschen, dass jemand Eier mitgenommen, aber kein Kleingeld dabei hatte. Am nächsten Tag würden die 4 Euro dann in der Kasse liegen. „Wir machen mehr Miese durch den Fuchs und die Raubvögel, die die Hühner jagen, als durch Eierdiebe“, sagt Seeholzer.
Alle vier bis sechs Wochen werden die Zäune umgesetzt, die mobilen Hühnerställe woanders hingefahren. „Wenn man die Hühner zu lange auf einer Stelle den Boden scharren und picken lässt, wächst da nichts mehr“, sagt Seeholzer. Und dass die Eier vom Samerhof immer „ruckzuck ausverkauft“ seien. Mehr Hühner will er sich aber nicht zulegen. „Wenn’s aus ist, ist’s aus. So soll es sein. Wir wollen ja keinen Industriebetrieb.“
Eierdiebe? Fehlanzeige!
Auch die Familie Kreti ist weit davon entfernt, ihren alten Bauernhof in Pähl bei Weilheim in einen Industriebetrieb zu verwandeln. Aber immerhin haben sie 950 Hennen, deren täglich durchschnittlich 800 Eier sie seit zehn Jahren in ihrem Selbstbedienungsladen zum Verkauf anbieten. Der Laden, in dem auch Tüten mit selbstgemachten Eiernudeln verkauft werden, ist ein kleiner Holzraum, der dem Stall abgetrotzt wurde und der täglich von 8 bis 20 Uhr geöffnet ist. Eierdiebe gibt es auch hier nicht. „Ich mache jeden Tag die Abrechnung und es stimmt immer alles“, erzählt Marianne Kreti.
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Die meisten ihrer Hennen sind auf drei Mobilställe verteilt. Tagsüber picken sie sich durch Gras und Sand, abends werden sie in den Stall geschickt, wo sie auf Legematten aus Astroturf übernachten, von denen aus die gelegten Eier direkt aufs Förderband rutschen. Etwa eine Stunde braucht die Hühnerbäuerin, um die Eier einzusammeln, etwa einen halben Tag beansprucht dann das Verteilen der Eier, das Füttern und Umparken der Hühner.
Einst war die Familie Kreti der einzige Hof, der sich in der Gegend auf den Eierverkauf spezialisierte. „Anfangs waren alle skeptisch. Inzwischen sehen die Leute, dass der Eierverkauf über das Vertrauensprinzip mit wenig Aufwand mehr Geld abwirft als die Viehwirtschaft“, sagt Frau Kreti. Ein eigener Hofladen aber würde sich nicht lohnen, schon wegen der Personalkosten.
Mit solch weltlichen Fragen muss sich die Erzabtei St. Ottilien nördlich des Ammersees nicht auseinandersetzen. Sie hat genug Kapital, um für die auf ihren eigenen Ländereien angebauten und verarbeiteten Lebensmittel einen eigenen Hofladen zu betreiben und sich zusätzlich noch einen gekühlten Verkaufsautomaten zu leisten, und so setzt ausgerechnet das Klosterdorf mit seinen hundert Benediktinermönchen nicht auf das Vertrauensprinzip.Sieht Gott etwa doch nicht alles?
Ein Arbeiter im Eierberg des Herrn
Nicht zu sehen sind jedenfalls die Hühner, wenn man vor dem Automaten steht. Aber mit etwas Glück trifft man Bruder Martin, der gerade seinen Bollerwagen voller Eierschachteln zum Nachfüllen ankarrt. Auf die Frage, ob die Eier auch wirklich frisch seien, erläutert der sympathische Arbeiter im Eierberg des Herrn: „Sicher! Aber sie sind nicht von heute, wenn Sie das meinen.“
Frische Eier seien ungenießbar, sagt Bruder Martin. „Sie müssen mindestens einen, besser zwei oder drei Tage liegen, bis man sie essen kann.“ Auch müsse ein Ei erst drei Wochen nach Legezeitpunkt gekühlt werden. Die Kühlung sei nur für den Käse und das Fleisch notwendig, was der Klosterautomat ebenfalls bereitstellt.
Der Zehatmoarhof der Familie Riedl in Jakobsbaiern, nördlich von Rosenheim und den Orten Öd, Pups und Elendskirchen, ist seit Generationen in Familienbesitz und hat 2009 von 85 Kühen auf 5.000 Legehennen umgestellt, weil es rentabler war. Seit 2020 ist er ein zertifizierter Biohof, und weil Hühner, um Bioeier zu produzieren, eine größere Auslauffläche benötigen, wurde der Bestand auf 3.300 Tiere reduziert.
„Gackerl“, der selbstgemachte Eierlikör
Vier Quadratmeter Platz hat jede Henne nun, findet unter Hunderten Pappeln Unterschlupf vor natürlichen Feinden, eine Herde Kamerunschafe sorgt zusätzlich für Schutz gegen Greifvogelattacken. Direkt vor dem Hof steht ein hübsches hölzernes Eierhäuschen, der Selbstbedienungsladen mit Eiern, Eiernudeln und „Gackerl“, dem selbstgemachten Eierlikör von Gitti Riedl, der in der Region ein begehrter Renner ist.
Wer den Laden betritt, erfährt allerdings sofort, dass er videoüberwacht wird. „Ehrlich gesagt haben wir die Kamera vor allem zur Abschreckung da hängen“, sagt Riedl. Zu 98 Prozent würde das Geld immer in der Kasse liegen. Nur einmal hatten sie einen Eierdieb im Verdacht, der sich immer fleißig bediente. „Den konnten wir mit der Kamera überführen.“
Ansonsten hätten sie aber durch die Aufzeichnungen eindeutig beobachten können, dass „Auswärtige“ ein weniger schlechtes Gewissen hätten, wenn sie kein Kleingeld parat haben. Das Universalprinzip Vertrauen scheint also wirklich nur lokal zu funktionieren.
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