Unterwegs im Flutgebiet: Auf den Spuren der Verwüstung
Ein U-Ausschuss soll in Rheinland-Pfalz klären, wie es zur Flutkatastrophe im Sommer kommen konnte. Erster Termin: geologische Exkursion im Ahrtal.
Wie es zu der Flutkatastrophe in Rheinland-Pflaz kommen konnte, soll nun ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Landtags in Mainz klären. Das Haus der Lebenshilfe ist am Montag die letzte von sieben Stationen einer parlamentarischen Erkundungsreise durch das Gebiet, das im Juli überflutet wurde.
Professor Georg Wieber, Leiter des Landesamts für Geologie und Bergbau, zeigt den Ausschussmitgliedern an diesem Tag die geologischen Gegebenheiten vor Ort. Er erläutert, wie sich die Ahr in der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli in lebensgefährliche Flutwellen verwandeln konnte. Es geht um Prallwände, gefaltete Felsformationen, um Mäandern und Niederterrassen.
Doch am „Haus der Lebenshilfe“ spricht auch der Experte zuerst von den Opfern der „größten Tragödie“ der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli. Vieles spricht dafür, dass sie noch am Leben sein könnten, wären sie evakuiert worden.
Offene Fragen auch abseits der Tragödie in Sinzig
Nur eine Etage höher wären sie in Sicherheit gewesen, sagt Wieber und zeigt auf Schlammreste an Fenstern und Fassaden, die bis zur Decke des Erdgeschosses reichen. Weiter oben staute sich das Wasser im engen Flusslauf, hier bei Sinzig, im breiten Tal konnte sich die Flut jedoch ausbreiten. Das Heim liegt 250 Meter vom Flussbett entfernt. Bis das Wasser das Erdgeschoss fluten konnte, war wohl viel Zeit.
![Mit Schlamm bedeckte Strasse und Mülltonnen vor dem Lebenshilfe Haus Mit Schlamm bedeckte Strasse und Mülltonnen vor dem Lebenshilfe Haus](https://taz.de/picture/5291408/14/29105827-2.jpeg)
Dass der Katastrophenschutz des Kreises Ahrweiler Fehler gemacht hat, scheint klar. Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat einen Anfangsverdacht gegen den inzwischen pensionierten Landrat Jürgen Pföhler, CDU, und seinen Einsatzleiter. Die Behörde ermittelt wegen fahrlässiger Tötung.
Am Nachmittag des 14. Juli appellierte die Verbandsbürgermeisterin von Altenahr, Cornelia Weigand, an die Einsatzleitung, den Katastrophenalarm auszulösen. Das geschah aber erst gegen 23 Uhr – viel zu spät. Man riet den Betroffenen, sich in den oberen Stockwerken „in Sicherheit“ zu bringen, als im höher gelegenen Teil des Tals bereits die ersten Häuser weggerissen wurden.
Aber auch abseits der Tragödie im „Haus der Lebenshilfe“ gibt es viele offene Fragen. Als Zeugen werden im Untersuchungsausschuss später auch Mitglieder der rheinland-pfälzischen Landesregierung aussagen müssen. Hätte die damalige grüne Umweltministerin Anne Spiegel, inzwischen Bundesfamilienministerin, Alarm schlagen müssen? Das ihr unterstellte Landesamt hatte früh extreme Pegelstände vorhergesagt und an die örtlichen Katastrophenämter gemeldet.
Hätte Landesinnenminister Roger Lewentz, SPD, die Einsatzleitung an sich ziehen müssen? Bei seinem Besuch im Landratsamt am Abend des 14. Juli habe er einen konzentriert arbeitenden Krisenstab erlebt, der die Sache im Griff zu haben schien, gab er zu Protokoll. Er wird erläutern müssen, wie er zu diesem offenkundig falschen Urteil kommen konnte.
Meter über dem bisherigen Höchststand von 1910
Der Vorsitzende des Ausschusses, Martin Haller, SPD, sieht seine Aufgabe vor allem darin, auf die Fragen der betroffenen Menschen Antworten zu finden. „Was hätte man anders machen können?“ Und: „Wie müssen wir uns in Zukunft aufstellen, dass es nicht wieder passiert?“
Auf der Erkundungsreise des Untersuchungsausschusses am Montag ist auch die durch die Flut verwüstete Gemeinde Altenahr selbst Station. Hier fließt die Ahr in spektakulären Schleifen. An steilen Felswänden wird das Wasser aufgehalten, umfließt die „Prallwände“, um wenige Kilometer weiter wieder in die gleiche Richtung zurückzukehren.
Die Flussschleifen trennt bei Altenahr eine Landzunge. Hier hat das Hochwasser die Tunnel geflutet, durch die früher Ahrtalbahn und Bundesstraße die Felsen durchquerten, um die Flusswindungen auszusparen. Im oberen Straßentunnel zeigt Geologe Wieber die Markierung des „Jahrhunderthochwassers“ von 1910. Die von 2021 liegt Meter darüber. Von den beiden massiven Bruchsteinbrücken des Oberlaufs steht nur noch ein kleiner Bogen. Von den unteren Brücken ist die Brüstung und auf einer Flussseite das Brückenlager weggespült.
In den engen Felsschluchten, die hier 100 Meter, teils auch nur 50 Meter messen, habe sich das Wasser aufgestaut, erläutert der Experte. Je höher die Flutwelle sich aufgetürmt habe, desto höher sei der Druck gestiegen. Der entlud sich in immer neuen Wellen, wenn eine Brücke brach und sich die aufgestauten Wasser- und Gesteinsmassen, Autos, entwurzelte Bäume und Haustrümmer ins Tal wälzten.
Bei extremen Starkregen, sagt Geologe Wieber, werde es in dieser geologischen Formation immer wieder gefährliche Flutwellen geben. „Es ist ein Gefahrengebiet“, so der Experte, „das Gefahrenbewusstsein ist immer nur unmittelbar nach einem Extremhochwasser hoch.“
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