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Untersuchung zur Wahl 2013Arm und ohne Einfluss

Die letzte Bundestagswahl ist „sozial prekär“, zeigt eine Studie. Arbeitslosigkeit, Bildungsstand und Kaufkraft beeinflussen maßgeblich, ob jemand wählen geht.

Ob jemand wählen geht, hat viel damit zu tun, wo er wohnt, zeigt eine Studie. Aber es gibt auch andere Gründe. Bild: dpa

GÜTERSLOH dpa | Wählerschichten mit hoher Arbeitslosigkeit und geringerer Bildung gehen weniger wählen und haben darum unverhältnismäßig wenig Einfluss auf das Wahlergebnis. Das ist das Ergebnis einer Analyse der Bundestagswahl 2013 im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, die an diesem Donnerstag veröffentlicht wird und der Nachrichtenagentur dpa vorab vorlag. Demnach kommen die 17 Millionen Nichtwähler überdurchschnittlich oft aus prekären Milieus.

„Arbeitslosigkeit, Bildungsstand und Kaufkraft haben nachweislich maßgeblichen Einfluss auf die Wahlbeteiligung“, sagte Jörg Dräger vom Stiftungsvorstand. Die Studie, erstellt von dem Politologen Armin Schäfer vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung und dem Meinungsforschungsinstitut infratest-dimap, bezeichnet die diesjährige Wahl daher als „sozial prekär“.

Für die Studie wurden das Wahlverhalten in 28 deutschen Großstädten und zusätzlich 640 Stimmbezirke analysiert, die repräsentativ für Deutschland sind und auch für die Prognosen am Wahltag genutzt wurden. Dabei wurde auch ermittelt, wo die Nichtwähler wohnen. „Ergebnis: Je prekärer die soziale Situation in einem Stadtviertel, desto niedriger die Wahlbeteiligung.“

Beispiel Köln: Dort wurde der größte Unterschied in der Wahlbeteiligung zwischen einzelnen Vierteln einer Stadt ermittelt, nämlich 46 Prozentpunkte. In Köln-Chorweiler gaben nur 42,5 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab, in Köln-Hahnwald hingegen 88,7 Prozent. Hier zeigte sich auch der stärkste statistische Zusammenhang zwischen Wahlbeteiligung und Arbeitslosigkeit: In Chorweiler liegt die Arbeitslosigkeit bei mehr als 19 Prozent, in Hahnwald bei gerade mal einem Prozent.

Die soziale Spaltung betrifft nicht nur Städte

Zu ähnlichen Ergebnissen kommen die Forscher für alle untersuchten Städte von Aachen bis Wuppertal, und unabhängig davon ob in West- oder Ostdeutschland. Die soziale Spaltung betrifft nicht nur die Städte. Die Ergebnisse der 640 analysierten Stimmbezirke zeigen, dass auch in den ländlichen Gebieten die Wahlbeteiligung stark an den Sozialstatus gekoppelt ist.

„Noch nie war das Gefälle in der Wahlbeteiligung so groß wie bei den beiden letzten Bundestagswahlen 2009 und 2013“, sagte Dräger. 1998 lagen bundesweit die Stimmbezirke mit der jeweils höchsten und niedrigsten Beteiligung bei der Bundestagswahl 19,1 Prozentpunkte auseinander. 2013 betrug diese Differenz bereits 29,5 Prozentpunkte. „Die Ungleichheit der Wahlbeteiligung hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten verdreifacht.“

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26 Kommentare

 / 
  • PL
    Pi Lot Pirx

    Kann es sein, dass sich die sogenannten Prekären mit Schulterzucken abgewendet haben und der wählende Rest in Hoffnung auf Verbleib in Selbigem das System weiter beatmen werden? Neuere Koalitionen, wie zukünftig in Hessen drohend, zeugen von Beliebigkeit der Standpunkte, Hauptsache Wähler und Gewählter bleiben an der immer schmaler werdenden Tränke.

  • D
    D.J.

    @Andreas,

     

    ich bewundere Sie für Ihren Optimismus, dass Sie den Nichtwählern aus der angesprochenen Gruppe in toto so viel strategisches Denken zutrauen.

  • A
    Arne

    Ja, und was sollen die Konsequenzen sein?

    Wahlpflicht?

    Oder evtl. endlich eine Reform dieser "Demokratie". Ich will Einfluß in kleinen Einheiten haben. Ich will nicht alle Kompetenzen an eine höhere Ebene, sei es Gemeinde, Kreis, Land, Bund oder EU abgeben.

     

    Nur mehr Dezentralismus kann da wahrscheinlich die Menschen mobilisieren, wieder was zu tun. Dann muss aber die gesamte Gesetzgebung andersrum verlaufen. Wenn man in Oberammergau keine Homoehe will, ist das noch lange kein Grund für Berlin-Kreuzberg, sich mit Oberammergauern über sowas zu unterhalten oder diese mitbestimmen zu lassen, was in ihrem Bezirk abgehen soll.

    Deutschland muss sterben, so wie es jetzt aufgebaut ist. Das wäre eine Lösung.

  • A
    Andreas

    "Demnach kommen die 17 Millionen Nichtwähler überdurchschnittlich oft aus prekären Milieus."

     

    Das wird bei CDU und SPD manchen freuen - das ist doch genau das, was die wollen. Am Ende waehlen nur noch Leute, die sich jede Regierung leisten koennen und die dann Armut und Arbeitslosigkeit nur aus der Zeitung oder dem Netz kennen. Allerdings sind diese Nichtwaehler zumindest in einem Punkt nicht schlau, wer arm ist, sollte die Linke waehlen, das bringt nicht viel, zwingt aber SPD und CDU die soziale Frage zu sehen. Anonsten gibt es viele rationale Gruende fuer Arme nicht zu waehlen. Grund Nummer Ein: Die SPD, CDU und CSU lassen diese Menschen wirklich 'links' liegen und hoffen, dass sie niemand aufhebt.

  • V
    Volksabstimmungen!

    "Arbeitslosigkeit, Bildungsstand und Kaufkraft beeinflussen maßgeblich, ob jemand wählen geht." Und die Frage ob es etwas abzustimmen gibt oder nur das Gleiche in drei Varianten angeboten wird. Deshalb gibt es auch keine Volksabstimmugen.

  • F
    Frost

    Wer nicht links wählt, muss damit rechnen,dass sich nichts ändert. Entweder Mut zu links...;aber gar nicht wählen? Es wird nur -stetig- die gleiche Politik gemacht,weil viele zu feige sind, links zu wählen. Das Arbeitsvolk,müsste doch eigentlich schon lange,die Schnauze voll haben. Dieses System ist nur noch etwas für Beamte und Großverdiener. Der Rest darf sich tot arbeiten bis zur mikrigen Rente.

  • H
    heinzhelm

    Die Geringverdiener mit geringer Kaufkraft und Bildung sind weit klüger, als man ihnen zutraut. Sie wissen, dass das Wahlergebnis für sie keinen Unterschied macht, und sie vor und nach jeder Wahl als Dummköpfe darzustellen, die angeblich freiwillig auf ihren politischen Einfluss verzichten, ist geradezu zynisch! Gerade die Vorbereitung einer Bundesregierung ohne Opposition, ein in tiefster Seele schwarzer Grüner als Ministerpräsident, der auf dem Arbeitgebertag prekäre Arbeitsverhältnisse befürwortet, zeigen doch, dass am Ende immer dasselbe ausgeschieden wird, egal aus welchem Enddarm.

    Eigentlich müssten das sogar Hochbegabte verstehen können.

    • G
      gast
      @heinzhelm:

      Genau so ist es.

  • N
    Norbert

    Ich habe dieses Jahr auch gewählt, bin aber nicht demokratisch im Bundestag vertreten, weil ich eine Partei gewählt habe, die an der 5% Hürde gescheitert ist. Das ist keine Demokratie. Ich werde nie mehr wählen gehen, die können ihr "Spiel" ohne mich weiterspielen!

  • S
    @Schramm

    HIV als "Strafvollzug" etc. Wäre eigentlich die Bezeichnung "Schwätzer" eine Beleidigung? Ich glaube, in diesem Falle gewiss nicht.

  • Die politische Frage, die daraus folgt: Was kann man tun, um diese Wählerschichten besser zu mobilisieren?

    • G
      gast
      @arunto:

      Wenn Politiker das einhalten würden, was sie vor der Wahl versprechen. Wenn die Parteien die sich für das einfache Volk einsetzen sich auch durchsetzen könnten. Was früher eine Arbeiterpartei war ist so angepaßt um ja dabei sein zu können, das sie das Volk abgeschrieben haben.

  • D
    D.J.

    Meine Güte - die übliche Verwechslung von Korrelation und Kausalität (in eine Rchtung). Es kann natürlich niiiiieeee sein, dass vielleicht jemand, der/die den Ar... nicht mal hochkriegt, um zur Wahl zu gehen (um meinetwegen Linkspartei zu wählen), auch in anderen Lebensbereichen sich ebendiesen hinterhertragen lässt (und nein, liebe Falschverstehenwoller, i c h verabsolutiere hier nicht).

  • B
    brumbo

    Ich denke, wenn der Leidensdruck groß genug ist, geht das Prekariat wählen, oder auch demonstrieren oder es macht eine Revolution. Vielleicht entdeckt die eine oder andere Partei ja mal das einfache(re) Volk als Basis und versucht es zu mobilisieren, das würde ich mir wünschen. Diese Chance nutzen, glaube ich, die Braunen - anderen Parteien ist dieser Weg jedoch auch erlaubt.

  • A
    Andrea

    Liebe taz, liebe dpa: Es sind noch immer die Menschen, die wählen und keineswegs die Wählerschichten (siehe erster Satz des Artikels). Ansonsten ist der kausale Zusammenhang zwischen prekären Lebensverhältnissen und politischer Abstinenz schon länger wissenschaftsnotorisch. Und dann fehlt in der vorgestellten Studie offenbar jeder Ansatz einer Erklärung, wie es denn gelingen könnte, arme und schlecht gebildete Menschen am Prozess der Mitbestimmung zu beteiligen. Das Wahlrecht bleibt ihnen ja.

  • Findet es außer mir noch jemand witzig, dass der Vorsitzende der Bertelsmann-Stiftung ein namesvetter des Spielshow-Moderators ist, der uns den "Zonk!" brachte? Immerhin passend, denn wir werden ja seit Jahren gefühlt von einem weiblichen "Zonk!" regiert, die von den entsprechenden Spielshow-Kandidaten namens "Wähler" immer wieder gezogen wird, frei nach dem Motto "Wollen Sie weiter vier Jahre Mutti, oder lieber Tor 3?".

  • AV
    Aufklärung vs. Quandts GroKo-Michels

    Der Kapitalismus bzw. die "Soziale Marktwirtschaft" der "Sozialpartner" der Bourgeoisie und GroKo, der Beamten-, Parlaments-Millionäre und Quandtschen Erbschafts-Milliardäre, ist nicht das Ende der deutsch-europäischen Geschichte!

  • P
    Polwi

    Das ist doch nichts Neues. Dafür hätte es diese Untersuchung nicht gebraucht.

  • R
    reblek

    "Die letzte Bundestagswahl ist 'sozial prekär'..." - Erstens war das mit ziemlicher Sicherheit nicht "die letzte" und zweitens "ist" sie nichts (mehr), weil sie vergangen ist.

  • Da hat Frau Merkel aber Glück gehabt. Wohl wissentlich rühren die Wohlstandsparteien die Werbetrommel für´s Wählen-Gehen nicht sonderlich, damit der Volkszorn erst garnicht in den Bundestag einzieht. Anderseits wundere ich mich schon darüber, dass der Zorn der 17 Mill.über das Versagen der Politik nicht groß genug war, hier ein Zeichen zu setzen. Offenbar suchen diese die Hauptschuld ihrer prekären Lage immer noch bei sich selbst, was ihnen durch Politiker und Skandalmedien so auch suggeriert wird.

  • S
    Schramm

    Erwünscht! =

     

    So auch die stets noch offen bda-cdu-spd-fdp-geleugnete und vorsätzlich kapital-faschistische Reduzierung der Lebenserwartung (!) für Millionen Menschen, - für arme Kinder und arme Erwachsene -, in Deutschland!

     

    An der geistigen und widerstandslosen Unterwerfung der Armen - vor allem der unteren sozialen Schichten und Klassen der werktätigen Bevölkerung - waren alle spezialdemokratischen "Sozialpartner" der deutschen Bourgeoisie und (Erbschafts-) Millionäre und Milliardäre, seit 1918/19, 1933-1945, 1946/48, 1949-1956 (KPD-Verbot 1956), 1988/89 ('Selbstliquidierung' der DDR), 2005 (Einführung des offenen "Hartz-IV"-Strafvollzug bei Erwerbslosigkeit - für die werktätige Bevölkerungsmehrheit in Deutschland) - 2013 - [zunehmende Beseitigung der sozialen Sicherungssysteme: Einführung und Ausweitung der Armutsrente für abhängige Erwerbsarbeit, Rente mit 67, Generation Praktika ohne Bezahlung, Leih- und Zeitarbeit, Mini-Minedestlohn ab 2017, Werkverträge, zunehmende Beseitigung aller Tarifsysteme durch die gewerkschaftlichen "Sozialpartner" der Bourgeoisie und Aktionäre - im Bündnis mit der gesellschaftspolitischen Administration der Millionäre und Milliardäre - aus allen spätbürgerlichen und kapitalfaschistischen Parteien etc.

     

    Deutschland befindet sich im modifizierten (modernisierten) Kapital-Faschismus 2005-2013-2017!

  • Schön, dass auch Bertelsmann es erkannt hat, aber gab es irgend jemand, der bei dieser Fragestellung eine andere Antwort erwartet hätte? Wie soll die Motivation eines "Verlierers" nach 10 Jahren Hartz und einer fortlaufend dreisteren Spaltung der Gesellschaft durch Ungleichheit aussehen? Längst sind 20% dieser Gesellschaft abgehängt und mindestens weitere 20% des sog. Mittelstandes glauben noch, dem gleichen Schicksal zu entgehen, fatalerweise. Auf diese Weise wächst die Energie des Widerstandes leider nur verzögert, entlädt sich dann aber umso eruptiver.

    • P
      pK
      @UWB:

      Man sollte nicht den Fehler machen aus der scheinbaren statistischen Korrelation von sozialer Stellung und Wahlbeteiligung einen zwingenden Ursachen - Wirkungszusammenhang zu konstruieren. Vielleicht ist die soziale Stellung und die aus meiner Sicht mangelnde politische Verantwortung einiger Leute das Resultat der gleichen Ursache (Bildung, Intelligenz, Sozialisation, Herkunft, Einkommen - oder was auch immer!).

       

      Abgesehen von dieser Frage: Nicht wählen ist legitim, aber wer noch nicht einmal diese Minimum an Interesse unserem Gemeinwesen entgegen bringt sollte sich dann eben auch nicht beschweren. wenn andere für ihn mitentscheiden.

  • SD
    Schönes Deutschland....

    Die Überschrift ist ja schon falsch!

    Denn : Einfluß hätten die Abgehängten der Gesellschaft ja, wenn sie denn ihr Recht auf Wahlen in Anspruch nehmen würden; eine Partei, die ihre Interessen vertreten würde gäbe es ja zumindest, aber Gehirnwäsche, Propaganda ("Deuschland geht es so gut wie nie...") und Schikane ("wer arbeiten will, findet auch welche") sorgen dafür, dass viele sich aus dem System verabschieden, weil sie resignieren oder ihnen das polistisch-soziale-wirtschaftliche Verständnis abgeht.

    So erhält das zynische System sich selbst und wird politisch legitimiert von denen, denen es (noch) nützt...

  • D
    Demokrat

    Warum haben die Armen keinen Einfluss? Die dürfen doch auch wählen, niemand verbietet es ihnen. Oder soll man jetzt den Bürgen mit normalem Einkommen die Wahl verbieten?

  • N
    Nichtwähler

    Gähn....seit Jahrzehnten bekannt........