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Unterricht in WaldorfschulenEin Gebet als Morgenspruch

In Waldorfschulen müssen Schüler_innen jeden morgen beten. Nur nennt sich das nicht so. Dieser Trick ist auch bei Sekten üblich.

Der „Morgenspruch“: ein Ritual der Waldorfpädagogik Foto: Daniel Roland/ap

A lle rund 90.000 Waldorfschüler_innen in Deutschland sagen täglich den „Morgenspruch“ auf, als wäre es das normalste der Welt. Die Lehrkraft macht die Geste zum Aufstehen. Stühlegeklapper und Gescharre. Ordentlich stehen. Stille. Dann im Chor:

„Ich schaue in die Welt; [ …]

In der der Mensch beseelt

Dem Geiste Wohnung gibt; [ …]

Zu Dir, o Gottesgeist,

Will ich bittend mich wenden,

Dass Kraft und Segen mir

Zum Lernen und zur Arbeit

In meinem Innern wachse.“ Rudolf Steiner

Auch wenn es für mich normal war, fand ich es phasenweise unangenehm, denn ich war nie gläubig und das mit dem „Gottesgeist“ war mir spätestens als Teenie komisch. Von der 1. bis zur 4. Klasse war es noch ein anderer Spruch. Aber es gehörte vom ersten bis zum letzten Waldorfschultag, mit 19 Jahren, dazu. Man durfte die Hände nicht in den Taschen haben, musste frei stehen und wenn es zu runtergeleiert war, mussten wir ihn nochmal sprechen.

Aber wie kann es sein, dass in einer Schule, die Wert darauf legt keine Weltanschauungsschule und offen für Kinder aller Religionen zu sein, täglich im Chor gebetet wird?

Viele bemerken es gar nicht, denn es heißt Morgenspruch und nicht Gebet. Rudolf Steiner wollte das dezidiert so. Er sagte im Herbst 1919 zu den ersten Waldorflehrer_innen: „Sehen Sie, bei diesen Dingen kommt es wahrhaftig auf Äußerlichkeiten an. Nennen Sie den Spruch niemals ‚Gebet‘. […] Dann haben Sie das Vorurteil, daß es eine anthroposophische Sache sei, schon für ein gut Stück überwunden.“

Der Bund der Freien Waldorfschulen besteht bis heute darauf, dass Anthroposophie nicht unterrichtet würde. Es gibt auch kein Unterrichtsfach „Anthroposophie“, doch jeder Tag beginnt mit einem anthroposophischen Gebet. Die Klassenlehrkraft steht als „geliebte Autorität“ gleich einer Pries­te­r_in vor der „Schicksalsgemeinschaft“ der Klasse, in der die Kinderseelen mit Liebe an die Seele der Lehrkraft gebunden sind.

Der Waldorflehrplan basiert auf Steiners „Allgemeiner Menschenkunde“ und der Schulstoff soll zur „Seelennahrung“ werden. So durchdringt die esoterische Weltanschauung das Leben aller Waldorfschüler_innen vom Alltäglichen bis hin zu den Feiern und Festen.

Nach außen klingt die Waldorfpädagogik oft attraktiv, eben weil sie Worte mit anderen Bedeutungen auflädt. In der amerikanischen Sektenforschung ist der Fachbegriff dafür „Loaded Language“. Waldorfschulen schreiben auf ihren Webseiten z. B. gerne „entwicklungsorientiert“ oder „altersgemäß“ und weisen dabei selten darauf hin, dass sie damit Steiners „Jahrsiebtelehre“ meinen und nicht den aktuellen Stand der Wissenschaft.

Wenn sie schreiben, das Kind stünde im Mittelpunkt, so ist selten ein individuelles Kind gemeint, sondern die abstrakte Idealvorstellung des Kindes, wie Steiner sie beschrieb. Sie reden von „Medienmündigkeit“ und meinen damit doch hauptsächlich Medienverbote. Sie sagen „Willensbildung“ und „Hülle“ und meinen meist doch Disziplin, Gehorsam und durchritualisierten Alltag.

Für mich steht der „Morgenspruch“ inzwischen für die Indoktrination von Waldorfkindern mit Denkbildern der Anthroposophie und für die strategische Täuschung der Außenwelt.

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19 Kommentare

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  • Es ist bedauerlich zu sehen, wie Ihr Artikel das Waldorfkonzept auf eine simplifizierte Ebene herunterbricht und sich dabei an einem einzelnen Aspekt wie dem Morgenspruch festhält. Die Vielschichtigkeit der Waldorfpädagogik wird dabei vollkommen ignoriert. Statt einer fundierten Recherche und einer ausgewogenen Darstellung verfällt Ihr Artikel in eine pauschale Kritik, die dem Anspruch des Journalismus nicht gerecht wird. Eine differenzierte Betrachtung wäre angebracht, um ein vollständiges Bild der Waldorfpädagogik zu vermitteln.

    • @Rebecca D.:

      Ach was! ©️ Vagel Bülow 💯vxxlte

      Is doch ganz simpel:



      Wird in der Waldorfpädagogik n Gebet/Gebetähnliches wie der angeführte Sermon praktiziert?



      Ja oder nein? Obwohl ersteres in Abrede gestellt wird •

      Der ansonsten blubbernde Rest - ist für die Galerie und hier nicht Gegenstand!

      EndeGelände

  • keine Weltanschauung haben zu dürfen ist auch eine Weltanschauung. Eine sehr selbstbezogene. Weltanschauung ist das, was die anderen haben.

  • Ein bedeutender Beitrag

  • Die TAZ.am Wochenende v. 18.5.2002 :



    ein aufschlußreicher Artikel über verschiedene erfolgreiche Lebenswege



    von Waldorfschülern aus Kultur, Politik,



    Wissenschaft . Wirtschaft. Nach einer



    Serie von kritischen Artikeln zu Waldorf



    von Frau Lea könnte man mal zur



    Abwechslung ein paar andere Stimmen aus der langen Liste prominenter



    Waldorfschule-Absolventen vorstellen, die „ein gesundes Gefühl für die Bandbreite des Lebens“ (K.Koschwitz)



    vermitteln könnten.

  • … und "Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung derer, welche sich die Welt nie angeschaut haben." - Alexander von Humboldt zugeschrieben

  • Ich würde mir wünschen, dass Sie Kritik mit Fakten und nicht mit Ihren Gefühlen untermauern. Sie haben sich an Ihrer Schule unwohl gefühlt und das ist bedauerlich. Aber ob das an Ihnen lag oder der Schule oder der Schulform weiß niemand außer Ihnen. Suchen Sie doch einmal Studien, die zeigen, dass Waldorfschüler_innen unglücklicher oder schlechter gebildet sind, als andere Schüler_innen. Das wäre interessant!

  • Ich habe nicht ganz verstanden, was es an diesem Morgenspruch zu beanstanden gibt. Ich finde den völlig OK. Daß vom Gottesgeist gesprochen wird, betrachte ich weder als Aufforderung, irgendetwas zu glauben noch als eine Indoktrination in irgendeine Richtung. Die wahren Indoktrinateure sind die Vertreter des Materialismus, die sind aber so überzeugt von ihrer Lehre, daß sie gar nicht merken, daß es Glaubensinhalt ist, was sie verkünden. Und daß man den Morgenspruch als 14jährige komisch findet, ist normal. Nennt man Pubertät.

    • @Thomas Hluchnik:

      An dem Spruch ist einiges zu beanstanden, was das Wesentliche ist: die Verpflichtung für alle daran teilzunehmen.



      Teil der Religions- & Bekenntnisfreiheit ist das Recht kein Bekenntnis abzulegen.



      Wenn man als bspw. als überzeugter Atheist gezwungen wird von einem Gottesgeist zu sprechen ist dies ein Problem.

    • @Thomas Hluchnik:

      Solche Kalendersprüche rezitieren zu MÜSSEN, finden nicht nur 14jährige sondern hoffentlich alle Erwachsenen komisch, die noch alle Nadeln an der Tanne haben.

  • Freu mich schon auf die Knallchargen “warum das keineswegs und beileibe nicht………“



    The proof is in the pudding “Nej tak“ - “Heute nicht! Woll“ “Danke! Hab schon!“…



    …bitte selbst einsetzen! Gelle - 🙀🥳🚬😎 -

    • @Lowandorder:

      Schön - daß sich meine Voraussagen so meisterhaft bestätigen!







      kurz - getroffene Hunde bellen! Woll



      Das Brett vorm Kopf aus Teakholz!



      Aber den Balken im eigenen Auge nicht sehen. Schön zu wissen! Newahr.



      Aber normal.

  • Oh Geist von Goethe, Seele von Nietzsche, entfalte dich in mir! Ein Stück neunzehntes Jahrhundert mitten in der Welt von heute. Man sollte sie unter Denkmalschutz stellen.

  • Man muss doch seine Kinder nicht an einer Waldorfschule unterrichten lassen, oder?

    Wer seine Kinder da zur Schule schickt, möchte doch genau das haben, was dort geboten wird, inklusive „Gebet“.

    Solange das nicht an staatlichen Schulen so ist, passt doch alles.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Ich vermute die wenigsten, die sich über Waldorfschulen als Alternative für staatliche Schulen informieren, wünschen ihre Kinder mit morgendlichen Gebeten zu beglücken.



      Es hat schon seinen Grund, dass das Ritual nicht entsprechend benannt ist.

      • @Herma Huhn:

        Naja, man muss schon aktiv Informationen ausblenden, um nicht zu wissen, was Waldorfschulen sind. Wer da sein Kind hingibt, weiß was er/sie tut.

        Gerade in Zeiten des Internet stehen alle Informationen zur Verfügung. Wer sich informiert, weiß wie es da abläuft und an was man da glauben muss.

  • Danke Frau Lea für das Zurechtrücken indoktrienierenden anthroposophisch-ideologischen Unsinns.

  • Ja genauso habe ich es dort erlebt. Nach aussen werden Buzzwords verwendet, zb Bedürfnisoriert, kreativ usw usw dahinter stecken ganz andere Dinge als man so allgemein annimt. das "Kind darf eine Pause machen/zur Ruhe kommen" das war das codewort für Bestrafung durch Isolation. So gab es viele Tricks um eine harte teils schwarze Pädagogik Saft und modern klingen zu lassen. Mir ist schon klar das sich jetzt viele Leser von der kolumne angegriffen fühlen. Auch für mich war die Erkenntnis ein schmerzhafter Prozess.

    • @Halloichbinlisa:

      „Schwarze Pädagogik“ - immerhin hat das staatliche Bildungswesen ein



      Teil dieser Pädagogik übernommen:



      keine Noten und kein „Sitzenbleiben“ in



      den ersten Schuljahren, Projektarbeit,



      musische Grundausbildung, ökologische Orientierung, Schulpraktika. Außerdem



      ist die Waldorfschule schon immer eine -



      ausschließliche -Gesamtschule, die Schüler werden in der Grundschule



      fürs Gymnasium „gedrillt“. Kann also



      nicht alles dort schlecht sein.