Union für Sachleistungen für Geflüchtete: Dann doch lieber weiter Bargeld

Die Union plädiert für Sachdienstleistungen für Geflüchtete in den Heimen. Nicht nur bürokratisch gesehen ist das Bullshit.

Doppelstockbetten in einer Flüchtlingsunterkunft.

Flüchtlingsunterkunft in Sporbitz bei Dresden Foto: Sven Ellger/imago

Die CSU in Bayern und die CDU Brandenburg wollen, dass mehr Geflüchtete Sachleistungen bekommen statt Bargeld. Also drei Mahlzeiten am Tag und Kosmetikartikel statt Geld, mit dem sie selbst einkaufen können. Damit will man angeblich Anreize abschaffen, nach Deutschland zu kommen. Weil, so die Denke, Asylsuchende von ihren Sozialleistungen, die fast 100 Euro unter dem „Bürgergeld“ liegen, ihren Verwandten in der Heimat Geld schicken würden, was in etlichen Fällen das eigentliche Ziel der Flucht nach Deutschland sei, so die Behauptung.

Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“, urteilten 2012 die Karlsruher Richter. Damals waren zwar nicht Sachleistungen Gegenstand der Klage, sondern zu geringe Sozialleistungen für Geflüchtete, verbunden mit demselben Ziel, nämlich das Fluchtziel Deutschland für sie so unattraktiv wie möglich zu machen.

Man kann gegen die Behauptungen der CSU und der Brandenburger CDU argumentieren, dass man von den 410 Euro, die ein allein reisender Asylbewerber pro Monat bekommt, wohl kaum etwas abknapsen kann für die Verwandten. Man kann argumentieren, dass es würdelos ist, wenn man dreimal pro Tag in Folie eingeschweißtes Essen bekommt und individuelle Lebensbedürfnisse und gesundheitliche Aspekte damit nicht berücksichtigt werden. All das ist richtig.

Aber man kann auch betriebswirtschaftlich argumentieren: Sachleistungen für Asylsuchende heißt, dass es Personal geben muss, das diese Sachleistungen ausgibt. Die Personalkosten fallen dann für die Kommunen zusätzlich an. Und dieses Personal ist auf dem leergefegten Arbeitsmarkt immer schwerer zu finden.

Liberale Regelung

Ich habe von Mitte 2014 bis Mitte 2016 in Berliner Flüchtlingsheimen gearbeitet. Das erste Jahr war ich in einer Erstaufnahmeeinrichtung, wo die BewohnerInnen Sachleistungen bekamen. Damals galt eine liberale Berliner Regelung, wonach nach drei oder spätestens nach sechs Monaten das Sachleistungsprinzip endete und es stattdessen Geld gab. Gesetzlich ist es jedoch möglich, bis zu 18 Monate Sachleistungen an Asylsuchende auszugeben.

Das zweite Jahr arbeitete ich in einem Heim, wo die Bewohner selber kochen und wirtschaften konnten. Der Unterschied in der Personalausstattung war beträchtlich. Und dementsprechend unterschied sich der Tagessatz, den das Land Berlin an den Träger pro Bewohner zahlte, auch deutlich.

Wer Sachleistungen fordert, sollte mal in einer Erstaufnahmeeinrichtung arbeiten. Selbst das Müllaufkommen war dort erheblich höher als in dem Heim, in dem ich später arbeitete. Kein Wunder: Bekam jeder Bewohner sein Essen und seine Kosmetikartikel doch in kleinen Dosen ausgehändigt. Dadurch fiel eine Menge Verpackungsmüll an.

Essen im Park

Im Sommer zogen es viele Bewohner vor, die Mahlzeiten im benachbarten Park einzunehmen. Mit dem Ergebnis, dass dort die Papierkörbe überquollen. Das führte zu Konflikten mit der Nachbarschaft, die die Heimleiterin moderieren musste. Auch das war Arbeitszeit, die nur anfiel, weil es das mit hohem Verpackungsmüll verbundene Sachleistungsprinzip gab. In der Folge durften verpackte Lebensmittel nur noch im Speise­raum verzehrt werden. Arbeitsaufgabe der Küchenkräfte wurde es, darauf zu achten, dass ­niemand ein eingeschweißtes Nutelladöschen oder verpackte Käse­scheiben mit nach draußen nahm.

Die Essenszeiten ließen sich nicht immer mit den Zeiten für die Behördengänge und Deutschkurse vereinbaren. Ein Behördengang in den Mittagsstunden bedeutete den Verzicht auf das Mittagessen. Ein Deutschkurs in den Mittagsstunden bedeutete den regelmäßigen Verzicht auf das Mittagessen. Das Sachleistungsprinzip wurde zum Integrationshindernis.

Noch gravierender sind die Auswirkungen in kleineren Heimen mit weniger als 200 oder 300 Bewohnern. Hauswirtschaftskräfte arbeiten in der Regel nur sechs Stunden pro Tag. Da lohnt es nicht, einen Schichtdienst einzurichten. Um die Mahlzeiten mit den Arbeitszeiten zu vereinbaren, wird das Abendessen in Folie eingeschweißt zum späteren Verzehr ausgegeben. Das bedeutet für Leute, die zur Mittagszeit einen Behördengang erledigen oder Deutsch lernen, dass sie gleich auf zwei Mahlzeiten verzichten müssen. Bei ihrer Rückkehr ist die Essensausgabe geschlossen.

Albanischer Diabetiker

Einen besonderen Fall gab es mit einem Albaner, der starker Diabetiker war. Er legte ein ärztliches Attest vor, dass er kein Weißbrot essen darf. Bis die Behörden ihn auf Bargeld umstellten, musste für ihn Vollkornbrot gekauft werden – auch das ein für den Bewohner zwingend notwendiger, aber ohne Sachleistungsprinzip völlig überflüssiger Verwaltungsakt. Abgesehen davon, hätte ohne Sachleistungsprinzip kein Arzt bemüht werden müssen, um ein Attest auszustellen, und kein Verwaltungsangestellter, der beim nächsten Termin das Attest prüfte und ihn vom Sachleistungsprinzip befreite.

Auch die Ausgabe der Kosmetikartikel brachte für die BewohnerInnen wie für die damit befassten Hauswirtschaftskräfte Momente der Peinlichkeit: Die Mitarbeiterinnen mussten bei einem 12-jährigen Mädchen beispielsweise per optischer Musterung abschätzen, ob es bereits Menstrua­tionsartikel braucht, und bei einem 14-jährigen Jungen, ob der bereits Rasierzeug ausgehändigt bekommt. Ein Fehlgriff war peinlich für beide Seiten. Und eine sprachliche Verständigung bei so speziellen Begriffen gelang gerade bei Neuankömmlingen nur selten.

Die Forderung nach Sachleistungen soll Geflüchtete abschrecken, nach Deutschland zu kommen, so CSU und Teile der CDU. Doch die Forderung lässt den höheren Arbeitsaufwand für die kommunalen Verwaltungen, das Heimpersonal, Ärzte, Gerichte und sogar für die Müllabfuhr völlig außer Acht. Es geht nach hinten los.

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