Unicef-Foto des Jahres 2015: „Schiere Verzweiflung“
Zwei Kinder werden an der griechisch-mazedonischen Grenze von ihren Angehörigen getrennt. Fotograf Georgi Licovski hält die Szene fest – und wird ausgezeichnet.
„In ihren Gesichtern, in jeder Faser ihres Körpers ist die schiere Verzweiflung dieser beiden Kinder zu erkennen“, sagte Unicef-Schirmherrin Daniela Schadt. Um das Herz der Grenztruppen zu erweichen, hätten verzweifelte Flüchtlinge ihre Kinder in die erste Reihe geschickt. Dabei seien sie von ihren Begleitern getrennt worden. Die Grenzsoldaten wirkten etwas ratlos.
Die Aufnahme enthalte wie bei einem Brennglas das Drama der Flüchtlingskrise aus der Perspektive der Kinder. „Zugleich hält es Europas Dilemma und Europas Verantwortung in einem Blick fest“, sagte die Lebensgefährtin des Bundespräsidenten.
In diesem Jahr haben Bilder der Flüchtlingskrise öffentliche Debatten nach sich gezogen. Das Foto des syrischen Jungen Aylan, der leblos an die Küste der Türkei gespült worden sei, habe eine Ethikdiskussion ausgelöst, sagte Unicef-Vorstandsmitglied Peter-Matthias Gaede. War die Veröffentlichung respektlos? Man könne niemanden seine Gefühle beim Betrachten vorschreiben. Es sei aber auch klar: „Wir brauchen Bilder, auch wenn diese Bilder mitunter sehr wehtun.“
60 Millionen Menschen auf der Flucht
Fotos illustrierten das Leid und machten aus einer Statistik „Kinder, die tapfer sein müssen und schon so vieles verloren haben“, sagte Gaede. Nach Schätzung von Unicef sind weltweit rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht, jeder zweite ist ein Kind oder ein Jugendlicher. Bei dem internationalen Fotowettbewerb von Unicef gingen rund 900 Bilder ein, viele zeigen Flüchtlinge.
Den zweiten Platz machte der Schwede Magnus Wennman, der für die Zeitung Aftonbladet schlafende Kinder fotografierte. Mädchen und Jungen im Nahen Osten und auf dem Weg nach Europa liegen erschöpft im Wald, an Bahnhöfen, auf alten Matratzen. Hinter seiner Reportage „Wo die Kinder schlafen“ seien Horrorgeschichten verborgen, heißt es in der Bewertung.
Die US-amerikanische Fotografin Heidi Levine wurde mit dem dritten Preis geehrt. Die in Jerusalem lebende Journalistin zeigt einen Jungen mit einer Narbe am Bauch. Neben ihm steht sein Vater, der im Gazakrieg einen Teil seines Arms verloren hat. Beide seien Opfer eines Bombenangriffs geworden, heißt es in der Erklärung zum Bild. Die Mutter und vier Geschwister seien gestorben.
Wettbewerbsgewinner Licovski erklärte, es sei nicht einfach gewesen, Bilder von Menschen zu machen, die ihre Heimat verloren hätten. Anfangs seien nachts nur vereinzelt Menschen über die Grenze gekommen. Dann seien es mehr geworden. 2000 bis 3000 Menschen hätten versucht, sich in einen Zug mit 300 Plätzen zu quetschen. Eine Mutter sei zum Beispiel an der Tür von ihrem Kind getrennt worden, sagte der Fotograf. Von solchen Szenen träume er noch heute.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin