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Unerkannte Behinderungen in der PflegeDas System hat blinde Flecken

Menschen mit Behinderungen sind oft unterversorgt. Eine Studie der Uni Hamburg zeigt, dass Seh- und Hörprobleme in der Pflege oft unerkannt bleiben.

Foto: dpa/Martin Schutt

Rendsburg taz | Das Gesundheitssystem ist kaum auf Menschen mit Behinderungen vorbereitet: Sei es, dass Stufen den Weg in die Arztpraxis versperren oder dass Demenzkranke hilflos durch Krankenhausflure irren.

Eine aktuelle Studie der Universität Hamburg weist auf ein weiteres Problem hin: Demnach bleiben Seh- und Hörbeeinträchtigungen bei Menschen mit komplexer Behinderung häufig unerkannt, heißt es in einer Pressemitteilung. Aber es gibt auch Projekte und Modelle, um Menschen mit Behinderungen medizinisch besser zu betreuen.

19 Wohneinrichtungen für Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen nahm das Forschungsteam unter die Lupe. Beteiligt waren neben der Hamburger Uni die Blindeninstitutsstiftung, die Ludwig-Maximilians-Universität München und die Pädagogische Hochschule Heidelberg. Das bayerische Gesundheitsministerium förderte die dreijährige Arbeit mit 420.000 Euro.

Das Ergebnis bestätigte den Verdacht der Forschenden: 88 Prozent der Menschen in Wohneinrichtungen haben eine Sehbeeinträchtigung, fast Dreiviertel von ihnen hören schlecht. Bei 63 Prozent treten beide Probleme auf – und oft bleiben sie unentdeckt. Aber „wenn übersehen wird, dass komplex behinderte Menschen nur wenig oder gar nichts sehen oder hören, hat das große Auswirkungen auf ihren Alltag“, sagt Johannes Spielmann, Vorstand der Blindeninstitutsstiftung.

Schon 2009 auf dem Ärztetag diskutiert

Ein Problem sei, dass in den Einrichtungen zu wenig auf gute Beleuchtung oder gute Akustik geachtet werde, sagt Marie-Luise Schütt, die als Koordinatorin barrierefreier Bildungsprozesse in Schule und Hochschule am Zentrum für Lehrkräftebildung Hamburg die Studie leitete. Es gebe bei den Mitarbeitenden der Einrichtungen einen hohen Bedarf an Schulungen in diesem Bereich gibt, so Schütt.

Aus den Ergebnissen der Studie haben die Forschenden Verbesserungsmaßnahmen und praxisnahe Tipps abgeleitet und in einer Broschüre unter dem Titel „Sehen und Hören mitdenken“ zusammengefasst. Sie kann kostenlos auf der Website der Blindeninstitutsstiftung heruntergeladen werden.

Nicht nur in diesem Fall sind Menschen mit schweren Behinderungen unterversorgt. Es fehlt in Praxen und Krankenhäusern an Personal und Zeit, auch wirtschaftliche Gründe spielen eine Rolle: Da Behandlungen pauschal abgerechnet werden, sind aufwändige Untersuchungen unrentabler.

Der Deutsche Ärztetag diskutierte das Problem bereits 2009, sah aber die Kassen in der Pflicht: So forderte der Vorstand der Bundesärztekammer, dass der „erhöhte Aufwand an Zeit und Ressourcen durch organisatorische und strukturelle Anpassungen im Gesundheitswesen entsprechend flankiert und finanziert werden“ müsse.

88 Prozent der Menschen in Wohneinrichtungen haben eine Sehbehinderung

Eine Antwort darauf sind die Medizinischen Zentren für Erwachsene mit Behinderungen (MZEB), die 2015 als neuer Baustein des Gesundheitssystems entstanden sind. Inzwischen gibt es sie in mehreren Bundesländern. Im August öffnete in Lübeck das erste MZEB in Schleswig-Holstein, das Land fördert die Einrichtung mit 500.000 Euro.

Ärz­t:in­nen aus dem ganzen Land können Patient:innen, die einen Grad der Behinderung von mindestens 70 haben, in die Spezial-Praxis schicken. Sie ist an das Uni-Klinikum angedockt, sein multiprofessionelles Team kann im Bedarfsfall auf das Know-how und die Geräte des Klinikums zugreifen.

Die Landes-Behindertenbeauftragte Michaela Pries lobte das neue Angebot, wies aber auch darauf hin, dass es nicht ausreiche: „Wichtig bleibt, dass das Regelangebot in der Gesundheitsversorgung inklusiv ausgerichtet ist. Insbesondere die umfassende Barrierefreiheit ist bei vielen Angeboten noch ausbaufähig.“

Das gilt auch für Krankenhäuser. Erst nach und nach stellen sich Kliniken darauf ein, dass Pa­ti­en­t:in­nen nicht nur an einer Krankheit leiden, sondern darüber hinaus Pflege brauchen. So gibt es in einzelnen Häusern – etwa dem Malteser-Krankenhaus in Flensburg – sogenannte Silvia-Stationen, in denen Menschen mit Demenz der ungewohnte und verwirrende Krankenhaus-Aufenthalt erträglich gemacht werden soll.

Eine neue Betreuungskultur

Dahinter steht die schwedische Silviahemmet-Stiftung, die von Königin Silvia ins Leben gerufen wurde, nachdem ihre Mutter an Demenz erkrankte.

Dass auch kleine Maßnahmen viel bewirken können, zeigt eine Initiative der Zahnärztekammer Hamburg: Sie ermutigt Ärz­t:in­nen zu Hausbesuchen und gibt Tipps, wie in Pflegeheimen oder bei Pflegebedürftigen zu Hause behandelt werden kann. Angehörige bekommen Tipps zum richtigen Zähneputzen. Dahinter stecken durchaus egoistische Motive, verrät das Autoren-Team der Info-Broschüre: „Üben wir jetzt eine neue Betreuungskultur ein – damit wir später auch davon profitieren.“

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  • Leider ist es nicht damit getan, Hör- und Sehschwäche zu diagnostizieren. Sie können demente Menschen, die sich wehren, ein Hörgerät zu tragen, nunmal nicht zwingen, das zu tun - und aus Eigenerfahrung weiss ich, dass das ein erhebliches Problem ist.