Unabhängigkeit von Russland: Kiews Kirchenkampf gegen Moskau
Die Ukraine sucht auch theologisch die Unabhängigkeit vom Nachbarn. Die Regierung will, dass sich beide orthodoxen Kirchen von Russland lösen.
Für Metropolit Hilarion, dem De-facto-Außenminister der Russisch-Orthodoxen Kirche, lässt sich dies mit einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zum Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel gleichsetzen. Der dort residierende Patriarch Bartholomaios I. will die ukrainischen Kirchen offenbar anerkennen. Dies war bei seinem Gespräch mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill am 31. August in Istanbul deutlich geworden.
Der Zwist zwischen Moskau und Konstantinopel dreht sich um die drei orthodoxen Kirchen in der Ukraine: die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats mit etwa 15 Millionen Gläubigen, die 1992 davon abgespaltene Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats und die kleinere, 1920 gegründete Ukrainische Autokephale (also „eigenständige“, die Red.) Orthodoxe Kirche.
Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats ist bisher als Einzige der drei kanonisch, das heißt vom Ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel anerkannt. Nun sollen, geht es nach dem Willen des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und der überwältigenden Mehrheit im ukrainischen Parlament, auch die anderen beiden ukrainischen orthodoxen Kirchen von Konstantinopel anerkannt werden.
Vorbild Estland
Auf den ersten Blick scheint es, als wären mit dieser Anerkennung endlich alle drei ukrainischen orthodoxen Kirchen gleichberechtigt. „Als orthodoxe Christin kann ich nur in die Kirche des Moskauer Patriarchats gehen, weil die anderen keine anerkannten orthodoxen Kirchen sind. Aber als bewusst denkende Bürgerin meines Landes kann ich nicht in eine Kirche des Moskauer Patriarchats gehen, weil das Moskauer Patriarchat sehr moskaufreundlich ist. Ich liebe die Ukraine und will, dass sie unabhängig bleibt. Für mich wäre es eine Befreiung, wenn die Autokephale Orthodoxe Kirche und die orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats von Konstantinopel anerkannt würden. Ich bin für Vielfalt. Jeder orthodoxe Christ soll selbst entscheiden können, in welche Kirche er gehen will“, sagt die Radiojournalistin Alina Belobra.
Für ein friedliches Zusammenleben verschiedener von Konstantinopel anerkannter orthodoxen Kirchen, wie es Belobra vorschwebt, gibt es ein Vorbild. In Estland existieren eine orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats und eine Kirche des Konstantinopler Patriarchats nebeneinander.
Doch vieles spricht dafür, dass es nicht so laufen wird, wie es sich Belobra wünscht. Denn nach der Zuerkennung der Autokephalie durch Konstantinopel, was deren Anerkennung und Unabhängigkeit bedeutet, soll in der Ukraine eine einheitliche orthodoxe Kirche gegründet werden. Begründet wird dieser Zwang zu einer orthodoxen Kirche theologisch und politisch. Die Befürworter der Einheitskirche verweisen darauf, dass auf einem Gebiet, auf dem bereits eine kanonische, also anerkannte orthodoxe Kirche bestehe, keine zweite kanonische Kirche existieren könne.
Für die ukrainische Politik ist die Frage einer einheitlichen Kirche, die die orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats zur Bedeutungslosigkeit verdammen würde, existenziell wichtig. Präsident Poroschenko hatte im Frühjahr Emissäre nach Istanbul geschickt, um dem Patriarchen von Konstantinopel den Wunsch nach Anerkennung der beiden orthodoxen ukrainischen Kirchen zu übermitteln. Vor dem ukrainischen Parlament hatte Poroschenko im April erklärt, dass die Gründung einer einheitlichen orthodoxen Kirche kein Instrument der Religion, sondern ein Mittel des Kampfes im hybriden Krieg mit Russland sei. Erst mit der Autokephalie für die orthodoxe Kirche sei die Ukraine endgültig von Russland unabhängig.
Mit der Anerkennung der beiden orthodoxen Kirchen in der Ukraine würden, so Erzbischof Evstratiet vom Kiewer Patriarchat, viele Gläubige, Priester und Bischöfe der orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats zur neuen Kirche übertreten. In der Folge müssten dann aber auch die Eigentums- und Nutzungsrechte neu geregelt werden. Trete eine Kirchengemeinde in die neue Einheitskirche ein, müsste auch das Eigentum dieser Kirchengemeinde an die neue Kirche übergehen. Das könnte geschehen, wenn zwei Drittel der Gemeindemitglieder so entscheiden. Gäbe es für derartige Veränderungen der Besitzverhältnisse nur eine einfache Mehrheit, müssten die Gotteshäuser alternierend zur Verfügung gestellt werden. Auch dafür gebe es Vorbilder, wie die Grabeskirche in Jerusalem, die von Orthodoxen, Katholiken und Kopten nach einem präzisen Zeitplan genutzt werde.
Warnung aus Moskau
Die Kirchen in der Ukraine, so der Erzbischof, seien keine juristischen Personen. Lediglich Kirchengemeinden, Klöster, Bruderschaften, Missionen seien juristische Personen. Deswegen können Eigentumsfragen nicht gesamtkirchlich, sondern immer nur im konkreten Fall mit konkreten juristischen Personen geregelt werden. Das Höhlenkloster, geistliches Zentrum der orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats, sei im Besitz des Kultusministeriums. Die orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats habe lediglich Nutzungsrechte, so der Erzbischof.
Evstratiet gibt sich großzügig. Auch wenn man in Konstantinopel kein Nebeneinander orthodoxer Kirchen wolle, sei er bereit, eine weitere Existenz des Moskauer Patriarchats zu akzeptieren, um so eine Verschärfung des Konflikts zu verhindern. Um die Gläubigen jedoch nicht mit einem Namen in die Irre zu führen, sei aber eine Umbenennung der „Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats“ in „Russisch-Orthodoxe Kirche“ notwendig.
In der Russisch-Orthodoxen Kirche sieht man der Entwicklung weniger entspannt entgegen. Sollten die beiden ukrainischen orthodoxen Kirchen von Konstantinopel anerkannt werden, könne das schwerwiegende Folgen haben, warnte Metropolit Hilarion, Chef des Amtes für Außenbeziehungen des Moskauer Patriarchats, im russischen Fernsehen RT. Wenn man die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchates als Kirche des Aggressors bezeichnen und sie ihrer gesetzlichen Rechte berauben werde, müsse man auch damit rechnen, dass sie sich die größten Klöster aneignen werde. „Dann werden orthodoxe Gläubige ihre heiligen Orte verteidigen und es kann zu Blutvergießen kommen“, warnte Hilarion.
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