Unabhängigkeit der Ukraine: Waffen und Nationaltracht
Mit einer pompösen Militärparade feiert die Ukraine ihre Loslösung von den Sowjets im Jahr 1991. Nicht alle sind begeistert von der Unabhängigkeit.
Bei Sonnenschein und heißen Temperaturen prägten Frauen und Männer, oft mit Kinderwagen und in Vyshiwankas, den handgestickten Hemden und Kleidern, die in der Ukraine als Nationaltracht gelten, gekleidet, das Straßenbild.
4.500 Soldaten stellten ihren Kampfgeist zur Schau und präsentierten die neuesten Waffen der ukrainischen Armee, die meisten „made in Ukraine“. Auch Uniformierte aus 18 anderen Ländern, darunter Polen, USA, Kanada, Rumänien, Republik Moldau und Estland zogen im Gleichschritt an der militärischen Führung der Ukraine vorbei.
Erstmals marschierten auch Hundert Frauen in Uniform und mit einer Schnellfeuerwaffe in den Händen am ukrainischen Präsidenten und Oberbefehlshaber Petro Poroschenko vorbei.
Zeitweise nahmen dicke bläulich-weiße Rauchwolken die Kiewer Prachtmeile, den Chreschtschatik, so sehr in ihren Besitz, dass die schweren Panzer und Raketenträger, die über den Chreschtschatik donnerten und den Rauch verursachten, nur schemenhaft zu erkennen waren.
Gegen die „Abhängigkeit vom russischen Imperium“
Die Richtung, die das Land einschlage, sei klar, machte Präsident Poroschenko deutlich. Hin zu EU und NATO und weg von Russland. „Wir zerschlagen den Knoten der Abhängigkeit vom Russischen Imperium. Das betrifft auch die russische Kirche, die jeden Tag für Russland betet“, so Poroschenko.
Damit dürfte Präsident Poroschenko auf die Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats angespielt haben, die ihren Sitz in dem weltberühmten Höhlenkloster im Zentrum Kiews hat. Diese ist wegen ihrer Nähe zu Moskau der ukrainischen Regierung und den Nationalisten schon lange ein Dorn im Auge. Vieles spricht dafür, dass die ukrainische Regierung die orthodoxen Kirchen im Land vereinen will. Das wäre auch das Ende der Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats in der Ukraine.
Ab sofort, sagte Poroschenko, gelte als Gruß in der ukrainischen Armee die Grußformel „Ruhm der Ukraine – den Helden Ruhm“. Diese stammt von der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), die während des Zweiten Weltkrieges zeitweise mit der deutschen Wehrmacht kooperiert hatte.
Erstmals donnerten auch am Himmel Flugzeuge der Luftwaffe über Kiew. Seit dem Unglück bei einer ukrainischen Flugshow 2002, bei der 77 Menschen ums Leben gekommen waren, hatte es in der Ukraine keine Avia-Shows mehr gegeben.
„Ich freue mich über die Militärparade“, erklärt Sergiy, der eigens mit Frau und Kind aus dem Städtchen Shitomir nach Kiew angereist war, gegenüber der taz. „Wir müssen den Russen zeigen, dass wir militärisch mit ihnen mithalten können. Und wo können wir das besser als mitten in Kiew.“
Wenig Begeisterung kann indes eine Passantin für die Parade empfinden. „Ich komme aus der Westukraine. Und bei uns wird in der letzten Zeit sehr viel Holz für westliche Kunden gefällt. Wenn Unabhängigkeit heißt, dass Ausländer unsere Wälder abholzen lassen dürfen, dann bin ich gegen diese Unabhängigkeit.“
Enttäuscht von der Unabhängigkeit
Zum Jahrestag wurde auch in den sozialen Medien diskutiert. Wolodimir Tschemeris, zu Zeiten der Sowjetunion wegen Unabhängigkeitsbestrebungen aus der Universität zwangsexmatrikuliert, zeigte sich enttäuscht von 27 Jahren Unabhängigkeit.
Der Kampf für die Unabhängigkeit 1991 sei richtig gewesen. „Doch jetzt, 27 Jahre später, sehen wir, dass wir diesen Kampf für die Unabhängigkeit verloren haben“, schrieb er auf seiner Facebook-Seite. Das Land sei in den Händen von ehemaligen Komsomolzen, die schnell zu knallharten Kapitalisten mutiert seien. Man habe damals für Freiheit gekämpft. Doch bekommen habe man Militarismus, soziale Ungerechtigkeit und Einschränkungen der Meinungsfreiheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Wir unterschätzen den Menschen und seine Möglichkeiten“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten