Umstrittene Nachverdichtung: Ist das Wald oder kann das weg?
Der Neuköllner „Emmauswald“ soll für Eigentumswohnungen gerodet werden. Um Neubauziele zu erfüllen, will der Berliner Senat das Projekt durchbringen.
Derzeit steht es schlecht um die Zukunft des 3,9 Hektar großen Waldgebietes im Süden Neuköllns. Im September zog der Senat das Bebauungsplanverfahren (B-Plan) an sich, um den Weg für das private Wohnungsbauunternehmen Buwog frei zu machen. Die Vonovia-Tochter will auf dem Grundstück 441 Eigentumswohnungen errichten. Ein Großteil des Baumbestands müsste dann weichen, fürchtet die Initiative.
„Wir fordern eine Einstellung des B-Plan-Verfahrens“, sagt Lukas Bodelschwing von der Initiative der taz, „Teile des Senats sind anscheinend immer noch gewillt, das Projekt durchzuboxen“.
Damit meint Bodelschwing vor allem die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen. Deren Chef, Bausenator Christian Gaebler (SPD), zeigte sich auch in der Sitzung des Stadtenwicklungsausschusses unbeeindruckt von den Aktivist:innen. „Bestimmte Dinge müssen manchmal zuende gebracht werden, auch wenn nicht alle begeistert sind“, so Gaebler in Bezug auf einen Antrag der Linksfraktion, der strengere Kriterien bei Nachverdichtungsprojekten forderte. „Wie wollen sie sonst den Wohnraum schaffen, für alle die da sind und noch kommen wollen?“
Neuköllns neuer Wald
Dabei erklärten die Berliner Forsten den Emmaus-Kirchhof, so der amtliche Name der Grünfläche, erst im Juli zu einem offiziellen Waldstück. Im Zuge des Bebauungsplansverfahrens führte die Behörde eine Ortsbegehung durch. Dabei stellte sie fest, dass die Kriterien für einen Wald gegeben sind.
In der Stellungnahme spricht die Behörde von einem „zweischichtigen Waldbestand aus Linde, Eiche, Ahorn und Birke im Hauptbestand, sowie in weiten Teilen mit Spitzahorn im Unterstand“. Da die Nutzung als Friedhofs seit den 1980er Jahren nicht mehr erfolgte, sei auch eine gärtnerische Nutzung nicht mehr erkennbar. Der Emmaus-Kirchhof besitze damit „Waldeigenschaft“.
Die Entscheidung der Berliner Forsten war ein schwerer Schlag für die Neubau-Pläne der Buwog. Infolge des Widerstands der Initiative, Anwohner:innen und von Umweltverbänden wuchsen auch die Zweifel im Bezirksamt und der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln. Anfang August teilte der Bezirk der Senatsverwaltung mit, dass der Bebauungsplanentwurf in der Form keine Aussicht auf Beschluss durch die BVV Neukölln habe. Doch kurz darauf zeigte die Senatsverwaltung, dass sie es ernst damit meint, stockende Bauprojekte schnell durchzubringen. Die Senatsverwaltung zog das Planungsverfahren im September an sich. Ein Sprecher begründet den Schritt gegenüber der taz mit der „Wahrung dringender Gesamtinteressen des Landes Berlins“, die sich bei Bauvorhaben mit einer Größe von über 200 Wohneinheiten ergeben.
Der Bezirk ist von der Handlungsfreude des Senats hingegen wenig begeistert. „Rechtlich kann der Senat so vorgehen. Politisch halte ich das Verfahren aber für einen Fehler“, sagt Baustadtrat Jochen Biedermann (Grüne) der taz. „Durch das Ansichziehen des Senats wird weder die Akzeptanz für Neubau noch für demokratische Prozesse gestärkt“.
Geld statt Wald
Ob es sich nun beim Emmauskirchhof um einen schützenswerten Wald handelt, scheint für die Senatsverwaltung nur von untergeordnetem Interesse zu sein. Eine Rodung des Waldes könne entweder durch Ersatzflächen oder Kompensationszahlungen ausgeglichen werden, antwortet ein Sprecher auf die Frage, wie die Senatsverwaltung mit dem Waldstatus gedenkt umzugehen.
Für den Aktivisten Bodelschwing sind weder Ausgleichsflächen noch Kompensation angemessener Ersatz für den Verlust des Biotops in seiner Nachbarschaft. Bereits im laufenden B-Plan-Verfahren wurde festgestellt, dass es keine geeigneten Flächen in der Nähe gibt. „Es nützt nichts, wenn man das an einem anderen Ort macht. Wir haben hier in Neukölln eine enorme Unterversorgung an Grünflächen.“
Laut den Berliner Forsten gebe es gerade einmal 2 Hektar Wald in Neukölln – das entspricht weniger als zwei Prozent der Fläche des Bezirks. Mit der Klassifizierung des Emmaus-Kirchhofs als Wald hat sich die Waldfläche Neuköllns also verdreifacht.
Bodelschwing vermutet daher, dass am Ende die Senatsverwaltung einfach nur Geld an die Berliner Forste zahlt, das am Ende nicht sinnvoll genutzt werden kann. „Da wird einfach Geld von A nach B geschafft und dann gesagt: Wald ist ausgeglichen“.
Stadtklima in Gefahr
Das Landeswaldgesetz ist in diesem Falle kein besonders scharfes Schwert. Eine Genehmigung durch die Berliner Forsten ist nicht erforderlich, wenn für die betreffende Fläche ein rechtsverbindlicher Bebauungsplan besteht.
Eine Rodung des Waldes wäre nicht nur die Anwohner:innen, die den eigentlich abgesperrten ehemaligen Friedhof als Naherholgungsfläche nutzen, ein Verlust. Ein Ökosystem, das sich über Jahrzehnte herausgebildet hat, lässt sich nicht einfach ausgleichen. „Das Biotop ist wichtig für Regenwasserspeicherung, Luftaustausch und bietet Lebensraum für viele Arten“, erklärt Janna Einöder vom Nabu Berlin, „Erhalt muss immer vor Ersatz stehen“.
Auch die Berliner Forsten warnen vor einer Rodung. „Der Verlust der Waldfläche würde sich besonders negativ auf das Stadtklima auswirken“, heißt es in der Stellungnahme.
„Der Senat will auf Biegen und Brechen Wohnungen bauen“, kritisiert Britta Krehl vom Berliner Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung. Krehl steht auch vor dem Abgeordnetenhaus, um die Emmauswaldinitiative zu unterstützen. Zu oft würde durch Nachverdichtungen ökologisch wertvolle grüne Infrastruktur zerstört. „Dabei gibt es in den meisten Fällen nachhaltige Alternativen.“ Umweltverbände wie der Nabu fordern schon seit langem, bei Nachverdichtungen zuerst versiegelte Flächen zu prüfen, wie die Überbauung von Supermärkten oder andere Aufstockungen.
Wohnungen in der Umgebung stehen leer
Ob die hochpreisigen Eigentumswohnungen, die auf dem Gelände des Emmauswaldes entstehen sollen, die Wohnungsnot lindern werden, ist ohnehin zweifelhaft. In den Neubaugebieten in der Umgebung stehen Wohnungen seit Monaten leer. So berichtete die Berliner Morgenpost zuerst über ein Hochhaus im Wohnpark „St. Marien“, dessen Eigentümerin keine Mieter:innen findet, die die Preise von bis zu 28 Euro pro Quadratmeter stemmen können.
Derzeit prüft das Bezirksamt, ob es sich bei dem Fall um spekulativen Leerstand handelt. „Dem Bezirksamt sind die Hinweise bekannt. Es handelt sich dabei um ein laufendes Verfahren, weshalb ich zum aktuellen Zeitpunkt keine Details benennen kann“, teilt ein Sprecher des Bezirksamts der taz mit.
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