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Umgang mit schlechen NachrichtenKein Bock auf Politgeballer

Wie lebt es sich als Nachrichten-Vermeider? Nicht so gut, wenn man gerade in der Schlange eines veganen Imbisses in eine Diskussion verwickelt wird.

Erschöpfung statt Krisenbewältigung, wer kennt das nicht? Da ist Nachrichten-Vermeidung doch naheliegend Foto: Philip Dulian/dpa

J etzt hat die SPD …“, beginnt eine Frau im veganen Imbiss in der Schlange.

„Stopp, nein, bitte nicht!“, ruft der junge Typ hinter ihr, „ich will nix hören, ich bin Nachrichten-Vermeider!“

„Du bist was?“

„Nachrichten-Vermeider, ich zieh’ das durch!“

„Ist das was quasi Religiöses, ein modernes Dogma?“, fragt eine Frau.

„Du willst echt gar nicht wissen, was passiert?“, fragt ihr Mann.

„Nein, ich will die Kontrolle über meine Gefühle behalten.“

„Durch das Ausblenden von Informationen?“

„Was heißt Ausblenden? Ich will gar nicht erst, dass da was eingeblendet wird in mein Hirnareal.“

„Aber du kannst ja deshalb nicht anderen den Mund verbieten!“

„Und was, wenn eine Atombombe auf uns rauf plumpst, und du weißt gar nicht warum?!“

„Was spielt das dann noch für eine Rolle?!“, ruft jemand von hinten.

Stopp, nein, bitte nicht. Ich will nix hören, ich bin Nachrichten-Vermeider!

„Ja, echt, das ist ja nun echt oberwurst, ob man weiß, warum man verglüht“, sagt der Typ hinterm Tresen. „Wüsste man ja ohnehin, dass das auf Putins Mist gewachsen wäre.“

Der Nachrichten-Vermeider hält sich die Ohren zu: „Nein, nein, bitte Stopp, nicht dieser Name!“

„Findest du deine Strategie nicht ein bisschen zu zwanghaft und egozentrisch im Detail, wäre da nicht vielleicht Marihuana die bessere Lösung?“

„Nee, ich brauch nachhaltig psychische Balance gegen das Politgeballer, und immer soll man klicken, selbst analog, alle sagen was, damit jemand immediat darauf anspringt!“

„Stimmt, der Name Putin knipst das Adrenalin voll an!“, sagt ein Typ.

„Trump!“

„Stopp, bitte Stopp!“

„Weißt du denn überhaupt, dass Trump wiedergewählt wurde?“, fragt eine Frau besorgt.

„Jetzt schon!“, ruft der Nachrichten-Vermeider und ihm läuft eine Träne übers Gesicht.

„Politik ist überall, alles, was man tut, ist irgendwie politisch, das kann man gar nicht vermeiden.“

„Genau, und was machst du denn überhaupt in einem veganen Imbiss, wenn du Politisches kategorisch ausschließt?“

„In meinem vorigen Leben war ich sehr aktiv, in allem bis hin zum Tierschutz, aber ich konnte nicht mehr, ich war überinformiert und dabei völlig leer.“

„Ungerechtigkeit kann einen schon innen rum aushöhlen.“

„Aber würden alle Leute Nachrichten vermeiden, was wäre das dann für eine Welt?“

„Da wüsste man ja auch gar nicht, wen man wählen soll.“

„Weiß ich so auch nicht!“

„Ich guck morgens direkt Nachrichten im Telefon, weil ich hoffe, dass was Gutes dabei ist!“

„Und war heut’ früh was Gutes dabei?“

„Nee.“

„Das interessiert ja auch niemanden.“

„Die Zeitungen müssen sehn, wo sie bleiben.“

„Mit Happy News lässt sich nicht gut kneten.“

„Menschen haben Bock auf schlechte Nachrichten?“

„Die wollen eben vorbereitet sein.“

„Auf was?“

„Den Weltuntergang?“

Der Nachrichten-Vermeider sagt: „Ich wollte die Welt retten, hab Petition um Petition rausgehauen, Politikern geschrieben, Kommentar um Kommentar, bin immer sachlich und geduldig geblieben, hab mit Nazis diskutiert, hab Ignoranten zum Wählen überredet, mir die Füße wund demonstriert, eine Partei gegründet …“

„Und was ist dann passiert?“

„Nichts.“

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Jasmin Ramadan
Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr neuer Roman Roman „Auf Wiedersehen“ ist im April 2023 im Weissbooks Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.
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