Umgang mit Impfdosen in Hamburg: Im Müll statt im Arm
Im Hamburger Impfzentrum werden aus Impfstoff-Ampullen weniger Dosen heraus geholt als möglich. In Niedersachsen läuft das anders.
Der Grund: Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat zugelassen, dass aus den Ampullen des Impfstoff-Herstellers Biontech sechs Dosen, aus denen von Astrazeneca zehn Dosen Vakzin gezogen werden dürfen. Doch danach sind die kleinen Glasbehälter nicht leer, die sogenannte „Überschussmenge“ in den Ampullen würde – nicht immer, aber häufig – für eine siebte bzw. elfte Dosis reichen. Die darf laut EMA jede*r Ärzt*in auf „eigenes Risiko“ verimpfen.
Was viele Mediziner*innen in ihren Praxen auch tun – mit dem Risiko, für eventuelle Impfschäden haftbar gemacht zu werden.
„Es wäre schön, wenn es Rückendeckung und eine offizielle Freigabe gäbe, die siebte bzw. elfte Dosis zu verimpfen“, fordert Jana Husemann, Vorsitzende des Hausärzteverbands Hamburg. Husemann, die ihre Praxis in Hamburg-Altona hat, verimpft die „Überschussmenge“ auch ohne offizielle Rückendeckung, wie viele andere Kolleg*innen ihrer Einschätzung nach auch. „In der derzeitigen Situation können wir es uns nicht leisten, Impfstoff zu vernichten, das ist unverantwortlich“, sagt die Ärztin.
Dirk Kienscherf, Chef der SPD-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg
„Impfstoff zu vernichten ist unverantwortlich“
Doch genau das geschieht im Hamburger Impfzentrum. Weil laut EMA-Zulassung nur sechs bzw. zehn Dosen in den Glasfläschchen enthalten sind, „müssen wir uns daran halten“, sagt der Ärztliche Leiter des Zentrums, Dirk Heinrich. „Eine Erlaubnis aus der Gesundheitsbehörde, die übrigen Portionen auch noch zu nutzen, wäre deshalb „sehr hilfreich“, betont Heinrich.
Dem widerspricht Gesundheitsbehörden-Sprecher Martin Helfrich. „Eine generelle Zulassung für die regelhafte Entnahme einer weiteren Impfdosis kann nur die EMA aussprechen, jedoch kann aber auch im Impfzentrum der zuständige Arzt diese Dosis verabreichen, wenn die Ampulle hinreichend befüllt und eine Unterdosierung ausgeschlossen ist“, stellt Helfrich klar. Ob dem so sei, könne nur „im Einzelfall geprüft und nicht am Behördenschreibtisch generell entschieden werden“, sagt Helfrich. Deshalb werde es keine verbindliche Handlungsanweisung der Behörde geben, mehr aus jeder Ampulle rauszuholen.
Weil solche Einzelfallentscheidungen im Fließbandbetrieb des Hamburger Impfzentrums nicht möglich sind, werden die Ampullenreste dort grundsätzlich nicht verimpft, sondern weggeworfen. Laut Berechnungen des NDR wurde seit der Eröffnung des Zentrums dort Stoff für bis zu 43.000 Impfungen vernichtet. Bisher wurden im Hamburger Impfzentrum rund 243.000 Dosen Biontech und rund 120.000 Dosen Astrazeneca verimpft.
Kaum zu verstehen: Während es in Hamburg wegen der Haftungsrisiken und fehlender Behördendirektiven im zentralen Impfzentrum offenbar nicht möglich ist, den gesamten Impfstoff zu verimpfen, ist das in Schleswig-Holstein und Niedersachsen kein Problem. Dabei gibt es auch in Schleswig-Holstein wie in Hamburg, so der Sprecher des Gesundheitsministeriums Marius Livschütz, „keine allgemeine Empfehlung“ der Landesregierung, sondern ist „im Rahmen der ärztlichen Anwendung zu entscheiden“.
In Niedersachsen wurden die Mitarbeiter*innen der Impfzentren vom Gesundheitsministerium sogar schriftlich dazu angehalten, keinen Impfstoff zu verschwenden. „Wo es möglich ist, sollen auch hier alle Dosen verwendet werden, da gibt es eine klare Maßgabe der Landesregierung“, betont der Sprecher des Niedersächsischen Gesundheits- und Sozialministeriums, Oliver Grimm, gegenüber der taz. „Die Haftungsfrage“, weiß Grimm, „haben wir mit den Ärzt*innen geklärt“. Dabei betont der Ministeriumssprecher, dass nicht aus jeder Ampulle sieben bzw. elf Impfdosen herauszuholen seien, und „Impfstoffreste aus verschiedenen Ampullen keinesfalls vermischt werden dürfen“.
In Hamburg dagegen wird weiter auf die Bremse getreten: Am Dienstag betonte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf: „Die Verimpfung einer siebten Dosis bei Biontech sowie einer elften bei Astrazeneca ist mit Risiken verbunden und kann die gewünschte Wirkung des Impfstoffs beeinträchtigen.“ Das Drängen auf die Abgabe solcher „Risiko-Shots“ sei deshalb „unverantwortlich“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“