piwik no script img

Umgang mit Flüchtlingen in BerlinDie im Dunkeln sieht man nicht

Die Situation am neuen Landesamt für Flüchtlinge sei katastrophal, kritisieren die Betreiber von Heimen. Schlimm sei auch die Lage in Notunterkünften.

Flüchtlinge vor dem Lageso: Auch im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten gibt es lange Wartezeiten Foto: reuters

Über ein Jahr nach Beginn der „Flüchtlingskrise“ hat sich an den katastrophalen Zuständen beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), das bis vor Kurzem noch als Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) firmierte, offenbar wenig bis nichts geändert. Einziger Unterschied laut Diana Henniges von Moabit hilft: „Die Flüchtlinge warten jetzt im ICC, damit keiner das traurige Chaos sieht, das haben sie schön weggefegt aus der Turmstraße 21“. Doch weiterhin gebe es lange Wartezeiten, viele Menschen bekämen die ihnen zustehenden Leistungen nicht.

Auch Jens Quade, Vorsitzender des Verbands der Berliner Flüchtlingsheimbetreiber, kritisiert: „Im neuen LAF läuft es derzeit so schlecht wie zu den schlimmsten Zeiten im Lageso.“ Es gebe weiterhin keine Transparenz bei den Ausschreibungen für Heime, Aufträge würden noch immer „freihändig“ vergeben. Dabei bräuchte es endlich „Planungssicherheit für die Betreiber, die seit eineinhalb Jahren ohne Verträge und damit ohne gesicherte Finanzen und klare Aufgabenbeschreibungen arbeiten“.

Katastrophal sind nach Henniges Darstellung auch die Zustände in vielen Notunterkünften, in denen Flüchtlinge teilweise nun schon seit einem Jahr hausen müssen. Die Enge, der Lärm, zu wenig und/oder schlechtes Essen, die mangelnde Hygiene und vor allem die Aussichtslosigkeit setzten den Menschen psychisch und physisch hart zu. „Wir haben dokumentierte Fälle von Unterernährung“, sagt sie. Selbst Frauen kurz vor der Niederkunft müssten in Turnhallen leben und wenige Tage nach der Geburt wieder dorthin zurück, weil es für sie keine Plätze in regulären Gemeinschaftsunterkünften gebe.

Der Sprecher des neuen Landeamts für Flüchtlingsangelegenheiten, Sascha Langenbach, bestreitet die Vorwürfe. In seiner Einrichtung des ICC hätten sich die Bearbeitungszeiten wesentlich beschleunigt: „Pro Tag bearbeiten die MitarbeiterInnen im ICC die Anliegen von 700 bis 1.300 Personen“, so Langenbach. Sollte es in Einzelfällen zu Beschwerden in Notunterkünften kommen, würde diesen nachgegangen.

Bis heute sind über 40 Turnhallen belegt

Nach Angaben der Sozialverwaltung leben weiterhin rund 22.000 Menschen in Notunterkünften – das ist fast die Hälfte aller Asylbewerber (49.000). 13.000 Asylbewerber leben in Wohnungen, 12.000 in Gemeinschaftunterkünften, 2.000 in Erstaufnahmeeinrichtungen.

Im Unterschied zu Gemeinschaftsunterkünften und Erstaufnahmen gibt es für Notunterkünfte keine festgelegten Standards im Hinblick auf Raumgrößen, Belegungsdichte, Ausstattung und Personal. Es gibt auch keine Küchen, wie in Erstaufnahmen bekommen die Flüchtlinge in den Notunterkünften Vollverpflegung. Vor einem Jahr, zu Beginn der „Flüchtlingskrise“, gab es knapp 11.000 Plätze in Gemeinschaftsunterkünften, 2.000 in Erstaufnahmen und gut 11.000 in Notunterkünften.

Neue Plätze sind also vor allem als Notunterkünfte entstanden. Neben leer stehenden Kasernen und anderen Großgebäuden wurden dafür bekanntlich 63 Sporthallen beschlagnahmt, wo zu Spitzenzeiten rund 10.000 Menschen lebten. Bis heute sind über 40 Turnhallen mit rund 5.000 Flüchtlingen belegt. Auch die anderen 5.000 „Turnhallenbewohner“ haben es nicht immer besser getroffen: Zwar konnten sie laut Sozialverwaltung „größtenteils“ in Gemeinschaftsunterkünfte umziehen, manche wurden aber auch in eine andere Notunterkunft verfrachtet.

Vor zwei Wochen kündigte der Senat an, für die restlichen 5.000 Turnhallenbewohner bis Jahresende nur noch 18 Containerdörfer – genannt „Tempohomes“ – zu bauen. Erst eines davon steht in Altglienicke. Ursprünglich sollten 30 Containerdörfer als Notunterkünfte für rund 15.000 Menschen aufgestellt werden. Mit dem Argument, dass ja kaum noch neue Flüchtlinge nach Berlin kommen, war Rot-Schwarz vor zwei Wochen davon abgerückt.

Diese Entscheidung könne sie aus ihrer praktischen Erfahrung nicht nachvollziehen, kritisiert Henniges. „Der Sozialdienst, der sich um besonders schutzbedürftige Menschen kümmert, kriecht auf dem Zahnfleisch, weil er nicht weiß, wohin mit den Leuten – weil es eben nicht genug Gemeinschaftsunterkünfte gibt.“

Hickhack mit den Bezirken

Die Sozialverwaltung will weitere Gemeinschaftsunterkünfte dadurch schaffen, dass einige Notunterkünfte in den kommenden Monaten schrittweise zu Gemeinschaftsunterkünften umgebaut werden. Welche Standorte das sein werden, konnte die zuständige Sprecherin Regina Kneiding nicht sagen. Henniges Befürchtung, damit würden die Hangars in Tempelhof zur Dauereinrichtung, soll laut Kneiding aber nicht wahr werden.

Es sei geplant, für die Hangar-Bewohner bis Jahresende Tempohomes auf dem Vorfeld zu errichten, in den Hangars solle dann nur noch das „Ankunftszentrum“ sein, in dem Flüchtlinge wenige Tage bis zur Vermittlung in einer Unterkunft leben müssen. Ab Oktober stünden zudem knapp 1.000 Erstaufnahmeplätze im brandenburgischen Wünsdorf für Asylbewerber bereit.

Ungewiss ist auch, wie es mit den Modularen Flüchtlingsunterkünften weitergeht. Noch im Frühjahr wollte der Senat gut 60 dieser Gebäude in Leichtbauweise mit bis zu 500 Plätzen bauen lassen. Über die Orte aber gibt es bis heute Hickhack mit den Bezirken, erst für rund 30 Mobile Unterkünfte konnte man sich auf Standorte einigen – und erst zwei, in Pankow und Marzahn-Hellersdorf, sind im Bau.

Nun kündigte Marzahn-Hellersdorf an, am Standort Buckower Ring werde „angesichts sinkender Flüchtlingszahlen und einer schwierigen Lage des Grundstücks“ nicht mehr gebaut. Ein Ersatzgrundstück wolle man erst benennen, „wenn auch in den anderen Bezirken fünf bis sieben neue Flüchtlingsunterkünfte errichtet wurden“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Es gibt eine Menge zu kritisieren:

     

    Das fängt schon damit an, dass die Taz ein Foto mit der Unterschrift " Flüchtlinge vor dem Lageso: Auch im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten gibt es lange Wartezeiten " benutzt, das ganz offensichtlich im letzten Winter aufgenommen ist!

    Das spielt doch genau den Leuten in die Karten, für die die Medien nicht nur manipulieren sondern sogar lügen! Das ist ganz schwach.

     

    Und dass sie als einzige "seriöse" Quelle Frau Henniges anführen können, ist ja ein journalistischer Offenbarungseid. Den Sprecher des LAFs lassen sie sie brav auch was sagen, dessen Aussagen werden aber als unkommentiert stehen gelassen, damit der übliche Eindruck des behördlichen Abwiegelns entsteht.

     

    Die Überschrift suggeriert, dass die Strukturen beim LAF dieselben monströs schlechten seien, wie im letzten Herbst und Winter; der Artikel an sich behandelt dann aber vor allem die Unterbringungssituation, die vor allem der Senator für Stadtentwicklung und der Finanzsenator mit ihrer mehr als zögerlichen Bauinvestitionspolitik zu verantworten haben.

     

    Es kommt in Einzelfällen, wir reden da von 10-15 pro Tag (bei 700-800 Vorsprachen täglich), die terminiert werden müssen, da sich die Akte bei Vorsprache in einer anderen Abteilung, an einem anderen Standort, befindet und ohne Akte nun mal aus verwaltungsrechtlichen Gründen keine Leistungen auszahlt werden dürfen.

     

    Der Artikel schließt in seiner Tendenz nahtlos an ihren neulich erschienenen ähnlich minimalst recherchierten Artikel zu "einem Jahr Lageso-Krise in Berlin" an.

     

    Zu Frau Henniges schweige ich lieber.