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Umfrage zur Motivation am ArbeitsplatzErnste Fragen, dürftige Antworten

Ambros Waibel
Kommentar von Ambros Waibel

Eine EY-Studie legt Motivationsdefizite der Arbeitnehmer offen. Schade, dass die Motivation innerhalb der Beratungsfirma nicht untersucht wurde.

Braucht es mehr Tunnelblick? Foto: Bill Varie/getty

D ass die Kinder zappeliger, die Bilanzprüfer schlampiger, die Autofahrer wahnsinniger und die Arbeitnehmer fauler werden – kurz, dass die Welt immer schneller den Bach runtergeht, davon lasse zumindest ich mich immer wieder mal gern abholen. Denn trotz gegenteiliger oder zumindest deutlich weniger apokalyptischer Fakten entspricht das offensichtlich meiner spontanen Wahrnehmung der Außenwelt – oder einfach meinem winterlichen Gemütszustand.

Daten dazu liefert nun eine Umfrage der Beratungsgesellschaft EY, früher unter dem Namen Ernst & Young bekannt. Nicht einmal jeder zweite Angestellte in Deutschland (48 Prozent) gibt dieser Erhebung zufolge aktuell an, auf der Arbeit sein Bestes zu geben. Dabei zeige sich ein Generationsgap: Bei den Ende 50-Jährigen bis über 60-Jährigen zeigten sich 63 Prozent hoch motiviert, bei Arbeitnehmern bis 29 Jahre liege der Anteil hingegen bei gerade mal 43 Prozent.

Lässt das – bei den fünf Prozent Unterschied im Gesamtergebnis – mathematisch nicht darauf schließen, dass es schlicht sehr viel mehr junge als alte Angestellte gibt oder mehr von ihnen befragt wurden?

Ich will mich da nicht so aus dem Fenster lehnen, ich habe nur bayerisch-humanistische Schulbildung und mich seit meiner Abiturprüfung (Grundkurs Mathematik, 4 Punkte) nicht mehr mit Zahlen über die Grundrechenarten hinaus beschäftigt.

Lieber 85 Prozent geben

Was ich sagen kann, ist, dass ich erst mit 40 Jahren angefangen habe, regelmäßig einen Büroarbeitsplatz aufzusuchen; und dass ich die jungen Menschen um mich herum bewundere, die sich tagein, tagaus vor ihrem Rechner einfinden, obwohl die Welt ihnen in ihrem Alter so viel Faszinierenderes zu bieten hat.

Ich weiß aber auch, dass mir die medial dauerpräsenten Stressbewältigungstipps (die wiederum eine ganz eigene Art von Stress erzeugen) immer mal wieder einen Stich versetzen; so etwa der Ratschlag von Karriereberaterinnen und Coaches, im Job besser nicht ständig 110 Prozent und mehr zu geben, sondern lieber nur 85 Prozent.

Ich frage mich dann zum Beispiel, ob nicht gerade in Magdeburg einige Verantwortliche für die Sicherheit des Weihnachtsmarktes mit sich hadern, ob sie diese Empfehlung nicht vielleicht etwas zu konsequent beherzigt haben. Allgemein gesagt gibt es Berufe – meiner gehört in, sagen wir, 85 Prozent der Fälle nicht dazu –, in denen eine Untererfüllung der Ansprüche einer Nichterfüllung gleichkommt: Eben dann, wenn ein Polizeifahrzeug nicht dort steht, wo es hätte stehen müssen oder wenn Flucht- und Rettungswege nicht wie vorgesehen mit Stahlketten gesichert sind.

EY hätte sich fragen können, warum sie im Wirecard-Skandal jahrelang für die Testierung gefälschter Bilanzen millionenschwere Honorare kassiert, aber den Bilanzbetrug nicht entdeckt haben

Geben bei EY alle „ihr Bestes“?

Das sind sehr ernste Fragen, gerade einen Tag, nachdem ein sechstes Todesopfer des mörderischen Anschlags zu beklagen ist. Aber vielleicht wäre ein etwas ernsthafter Umgang der EY als „eine der großen deutschen Prüfungs- und Beratungsorganisationen“ (Selbstbezeichnung) mit Ursachen und Wirkungen des von ihr unter die Lupe genommenen Phänomens angemessen gewesen.

Dann hätten sie sich fragen können, warum sie im Wirecard-Skandal jahrelang für die Testierung gefälschter Bilanzen millionenschwere Honorare kassiert, aber den Bilanzbetrug nicht entdeckt haben. Die taz berichtete im April 2023, die zuständige Aufsichtsbehörde habe geurteilt, EY habe „seine Berufspflichten verletzt“ und dürfe in den kommenden zwei Jahren „keine größeren Unternehmen mehr neu prüfen“. Und die Wirtschaftswoche titelte im vergangenen November: „Holen sich Wirecard-Aktionäre jetzt eine Milliarden-Entschädigung von EY?“

Interessant wäre doch die Zahl gewesen, wie viele Beschäftige von EY nach Eigeneinschätzung deutlich weniger als ihr „Bestes“ gegeben und welche Führungspersönlichkeiten und Strukturen zu diesem Desaster geführt haben.

Nett ist kein Beruf

Ich für meinen Teil muss sagen, dass ich als Angehöriger der 63-Prozent-Gruppe auf meine älteren Tage immer mehr zur Dankbarkeit neige: dass ich in einem funktionierendem Staat in einer funktionierenden Stadt lebe, was im Wesentlichen daran liegt, dass sehr viele Menschen ihrer Verantwortung gerecht werden und manchmal sogar noch ein Lächeln übrig haben, sogar in Berlin, wo es ja nicht umsonst heißt: Nett ist kein Beruf. Und ich versuche, meinen Teil zu diesem Funktionieren beizutragen.

Und wer mich nun deswegen als sentimental und zu optimistisch kritisieren möchte, der mag das gern tun, ich bin da gerade heute ganz resilient: Denn mein dreijähriges Söhnchen durfte heute nach gut zwei Wochen andauernder Weihnachtspause endlich wieder in seine geliebte Kita gehen. Und glauben Sie mir: Er hat – gerade auch in dieser stillen Zeit – jeden einzelnen Tag deutlich mehr als 110 Prozent gegeben!

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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10 Kommentare

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  • EY & Co. haben als Arbeitsergebnis ein "Zertifikat" oder nehmen die "Schuld" für Maßnahme X auf sich. Dafür werden möglichst die am wenigsten qualifizierten Handlanger eingesetzt. Es profitieren die manipulativen "Partner". Ab und an fliegt's auf.

    "Wenn ihr nicht so werdet wíe die Kinder ..." - ja, die sind da noch ungequetscht. Wobei so manche Tätigkeiten eben selbst entfremdend sind, siehe David Graebers Aufsatz zu Bullshit Jobs.

    Die Mathematik, richtigere als hier dargebracht, kann da mehr Spaß bereiten.

  • Die Hirne sind schon lange leer.



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    Es braucht der Mensch mehr „freie" Zeit



    Wie soll Mensch da noch schaffe?



    ---



    Sein Bestes gibt der Mensch am End



    Nur als Konsument,



    Der sich von seiner Kohle trennt.

  • Man arbeitet oft nur, um die Existenz zu finanzieren. Mit Berufung und dem Wunschberuf hat es wenig bis nichts zu tun. Daher keine 100 %.

  • Engagement in Bullshitjobs ist schwer zu erwarten.



    EY und Konsorten = Gelaber ohne strenge Methodik.



    Funktionierende Staaten und Städte sind etwas Schönes (am besten ohne Verschlimmbesserungen durch EY). Wir sollten es verteidigen. Am 23.02. haben wir die Chance dazu. Die Umfragen stimmen jedoch nicht positiv.

  • Sobald ich merke, dass "mein bestes" sich nicht auch im Gehalt widerspiegelt, werde ich für ein durchschnittliches Gehalt auch nur durchschnittliches Leisten.



    Getreu dem Motto:



    Solange mein Chef so tut, als würde er mich richtig bezahlen, werde ich so tun, als ob ich richtig für ihn arbeite.

  • Ganz Ihrer Meinung. Diese Wirtschaftsprüfer und -berater, von Ernst & Young bis zu allen anderen, haben schon so manchen umgesetzen wirtschaftlichen Wahnsinn zu verantworten. Wenigsten wurde dem Ernst nun die Lizenz für die großen "Fische" entzogen. Aber es wird sicher nicht lange dauern bis die auch wieder auf der Bühne stehen, um unsere Lebensgrundlage mit ihren eingeschränkten Sichtweisen zu beschädigen. Und alles nur um möglichst viel Geld zu verdienen.

  • Hübscher Kommentar!

  • Der Artikel stellt die richtigen Fragen, ist sehr nett zu lesen - und hat mit eine Schlusspointe, die mich völlig überrumpelt hat.



    So etwas liest man selten! :-)

    Zum ernsteren Hintergrund eine kleine Randnotiz:



    Ich habe den Eindruck, dass die Motivation bzw. Identifikation mit dem Arbeitgeber bei EY tatsächlich höher ist als bei seinen direkten Konkurrenten. Und zwar wegen der Partnerstruktur:



    Strategische Entscheidungen kommen nicht von einer anonymen Konzernzentrale oder gar den "Sachzwängen" des Kapitalmarktes, sondern von den Partnern, als Leuten wie dem Miesepeter, der einen gerade für den Präsentationsentwurf aus der letzten Nachtschicht zusammengestaucht hat ...

    Niemand hat behauptet, EY sei ein Paradies.



    Aber Gesichter für abstrakte Entscheidungen zu haben, von denen man betroffen ist, fühlt sich sicher irgendwie normaler, menschlicher an. Oder umgekehrt: Kein Gesicht für das Unternehmen zu haben ist eine gewaltige Motivationsbremse.

  • Bravo für die Kids mit 110%

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Ist auch eine Frage der relativen Position: was sich für mich als Vater ü40 wie 120% anfühlt ist für meinen fünfjährigen Sohn vielleicht nur 85% Dienst nach Vorschrift. Ich frage ihn morgen.