Umbenennung von Straßen: „Die ganze Stadt als Stolperstein“
Initiativen fordern die Umbenennung der Mohrenstraße in Mitte. Wichtiger ist aber die fortwährende Diskussion, sagt Kulturwissenschaftler Wolfgang Kaschuba.
taz: Herr Kaschuba, heute würden wir Straßen nicht mehr nach Kriegshelden oder Orten von Schlachten benennen. Wie sollen wir mit Straßennamen umgehen, die in Berlin auf koloniale oder militaristische Geschichte verweisen?
Wolfgang Kaschuba: Die Frage nach der historischen Topografie, also danach, wie wir heißen und worauf wir uns beziehen wollen, ist nach 1989 breit diskutiert worden. Deshalb haben wir auch keine Stalinallee und keinen Hitlerplatz mehr. Alles darunter ist ein Aushandlungsprozess: Da gibt es kein klares Ja und kein klares Nein.
Warum ist es bei Hitler und Stalin so eindeutig?
Da haben wir eine klare moralische Position in unserem kollektiven Gedächtnis: Wer sich für einen Hitlerplatz starkmachen würde, wäre klar bei den Neonazis. Knapp darunter wird es komplizierter.
Wie liegt der Fall bei der Mohrenstraße? Auch dieser Begriff ist moralisch nicht haltbar.
ist Kulturwissenschaftler und Ethnologe sowie Geschäftsführender Direktor des Instituts für empirische Migrations- und Integrationsforschung der Humboldt-Universität.
Als Ethnologe beschäftige ich mich damit, wie Bilder in die Welt kommen. Bei der Mohrenstraße ist eben nicht das Bild des 19. Jahrhunderts widergespiegelt, sondern das des 8. Jahrhunderts, als Spanien von den Arabern eingenommen wurde. Der Mohr war ein Feindbild, es war der Eroberer, der Feind der eigenen Religion und Gesellschaft, nicht die Sklavenfigur. Dieses Bild wurde in die Kunst übernommen und hielt Einzug in die europäische Geistesgeschichte.
Ist nicht egal, wie der Name entstand? Initiativen kritisieren ihn, weil er heute schwarze Menschen diskriminiert.
Wir kriegen Fremdbilder aufgedrückt, die wir nicht immer einfach mit den eigenen Vorstellungen in Übereinstimmung bringen können. Bei der Mohrenstraße ist eine Erobererfigur gemeint. Der Fall liegt anders als bei Straßen, die nach kolonialen Kämpfern benannt wurden.
Hier geht es aber um Bilder, durch die rassistische Stereotype weitergetragen werden.
Ich bin mir nicht sicher, ob das eine schnell durchsetzbare Position ist. Auch bei der Mohrenstraße kann man nur auf den Diskussionsprozess setzen. Man muss im Einzelfall aushandeln, was das Ziel sein soll.
Seit mehr als zehn Jahren setzt sich die Initiative für die Umbenennung ein und bekommt viel Zustimmung. Warum bewegt sich da nichts?
Ich war Leiter des Instituts für Europäische Ethnologie, das liegt ja in der Mohrenstraße, genauso wie andere Institute und Ministerien. Wir haben uns damit beschäftigt: Im Foyer hängen Tafeln zur Geschichte der Straße, erstellt von Studenten. Es gab Einladungen, um ins Gespräch zu kommen. Das blieb aber bei Einzelveranstaltungen. Geschichtsarbeit muss nachhaltiger betrieben werden, periodische Aktivitäten reichen nicht.
Sollte man die Mohrenstraße umbenennen?
Ich kann alle verstehen, die in die Straße kommen und sagen: „Das ist aber ein seltsamer Name!“ Das finde ich auch – aber eine Stadt, in der jede Generation den Stadtplan umschreibt, kann ich mir auch nicht vorstellen. Unsere Straßen sind zu großem Teil eine Zeitaufnahme aus dem Kaiserreich und daher schon national und kolonial geprägt. Auch eine Sudetenstraße behagt mir nicht, in Berlin gäbe es bestimmt 1.000 weitere Beispiele. Es wird nicht gehen, die alle umzubenennen, weil viele das auf ihre Geschichte beziehen. Aber zu fragen, warum heißt das hier so und wie gehen wir damit um – das ist gut.
Steht nach der Umbenennung von drei Straßen im Afrikanischen Viertel im Wedding die Umbenennung der Mohrenstraße in Mitte an? Mitten im weltoffenen Berlin habe dieser Name keinen Platz mehr, so die Initiative „Decolonize Mitte“. Beim vierten M-Straßenfest am Mittwochabend, besucht von rund 300 Menschen, benannte die Gruppe die Straße symbolisch in Anton-Wilhelm-Amo-Straße um. Der 1703 in Ghana geborene Amo war der erste schwarze Student und Universitätsgelehrte in Deutschland.
Erstmals sprachen sich auch Vertreter von in der Straße ansässigen Firmen für die Umbenennung aus. „Wir werden oft auf unsere Adresse angesprochen und finden, dass das Straßenschild ins Museum gehört“, sagte Gert Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Entscheidend sei, wie der Name heute wirke. (usch)
Initiativen wollen die Namen von Kolonialverbrechern nicht mehr durch Straßennamen ehren. Sie sagen, sie wollen nicht die Geschichte auslöschen, sondern lebendig halten. Wie kann das aussehen?
Wenn sie den Namen eines kolonialen Täters austauschen gegen eine Widerstandskämpferin oder einen Widerstandskämpfer, sind das im Einzelfall gute Überlegungen. Man könnte auch darauf hinweisen, nach wem die Straße früher hieß. Auf jeden Fall sollte die Petersallee nicht Uwe-Seeler-Str. heißen. Vielmehr sollte es eine Umdeutung sein, die auf den historischen Zusammenhang der ersten Benennung Bezug nimmt.
Was spricht dafür, die Namen so zu belassen, weil sie eben einen bestimmten Teil der Geschichte transportieren?
Diskussion ist wichtiger, als einfach umzubenennen. Ein historisches Gedächtnis bedeutet, eine Debatte zu führen, die auch im Stadtbild sichtbar ist. Es bedeutet, Schandmarken im Auge zu behalten, der dunklen Seite der Geschichte einen Raum zu geben, wie beim Holocaust-Mahnmal. Ich stelle mir die ganze Stadtlandschaft wie einen Stolperstein vor, sodass man dauernd auf die Ungereimtheiten stößt.
Würden wir über Carl Peters und andere Kolonialisten diskutieren, wenn es die Umbennungsinitiative im Afrikanischen Viertel nicht gäbe?
Klar, das gibt den Anstoß. Wichtig ist, dass die Debatte nicht fundamentalistisch geführt wird.
Oder man gibt beidem Raum: die halbe Straße benannt nach dem Kolonialverbrecher Wissmann, die andere Hälfte nach einer Widerstandskämpferin.
Warum nicht?! Es könnten auch alter und neuer Name mit diagonalem Strich auf demselben Schild stehen. Man sollte nur bedenken, dass Straßen beides sind: historisches Gedächtnis und Alltagsraum – da ist es keine gute Idee, es gegen den Willen der Anwohner zu machen.
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