Umbau der staatlichen Energieforschung: Stecker gezogen
Einige Förderprojekte wurden komplett gecancelt. Energieforscher klagen, dass so eine längerfristige Planung nicht möglich sei.
Der Einschnitt kam im November letzten Jahres, in der sogenannten Nacht der langen Messer, wie die legendäre „Bereinigungssitzung“ des Bundestagshaushaltsausschusses auch bezeichnet wird. Die Parlamentarier legten letzte Hand an den Bundesetat 2020 und die Finanzplanung der kommenden Jahre. Dabei kam es im Haushalt von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) unerwartet zu erheblichen Einschnitten in den Positionen für die Energieforschung.
So wurden im Etattitel 0903-68301 die Verpflichtungsermächtigungen – das ist die bindende Reservierung von Haushaltsgeldern – für die Energieforschung bis zum Jahr 2026 von 636 auf 537 Millionen Euro, also um 99 Millionen Euro gekürzt. Nomimell wurde dieser Betrag zur Unterstützung von „Reallaboren“ zur experimentellen Erprobung von Energieinnovationen zwar in den Sondertitel des Energie- und Klimafonds außerhalb des Etats des Budeswirtschaftsministeriums (BMWi) verschoben – aber mit erheblichen Folgen für die Projekte, wie die Forscher voraussehen.
„Es ist zu befürchten, dass viele der 2020 geplanten Forschungsprojekte nicht umgesetzt werden können“, sagt Niklas Martin, Geschäftsführer des ForschungsVerbundes Erneuerbare Energien (FVEE), in dem sich die außeruniversitären Energieforscher zusammengeschlossen haben. Martin kritisiert die Kursänderung, die sich hinter dem haushaltspolitischen Verschiebebahnhof verbirgt. „Deutschland wird sich mit der geplanten massiven Schrumpfung der Energieforschung aus der Technologieentwicklung für die globalen, riesigen Märkte der Energiewende verabschieden“, erwartet der Forschungsmanager. Mittelfristig werde „die Schwächung der Energieforschung für mittlere Technologiereifegrade zu einem Abreißen der Technologieentwicklungsketten führen“. Reallabore als Orte angewandter Forschung könnten diese Forschungs- und Entwicklungsleistungen nicht annähernd ersetzen.
Die eingesparten Mittel würden im BMWi überwiegend benötigt, um die neuen Förderinitiativen für künstliche Intelligenz beziehungsweise Digitalisierung zu finanzieren, verlautbarte das Ministerium nach der Etatänderung. Aber das ist nicht der einzige Grund, wie der CDU-Haushaltsexperte Eckhardt Rehberg durchblicken ließ. Gegenüber dem Tagesspiegel, der die „Kehrtwende bei der Energieforschungspolitik“ publik machte, verwies Rehberg darauf, dass es bei über 4.000 laufenden Projekten keinesfalls zu wenig Energieforschung gebe. „Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Ergebnisse davon nur leider viel zu häufig in der Schublade verschwinden“, beschrieb er die Motivation des Ausschusses zur Kürzung. Statt „Forschung um der Forschung willen“ zu fördern, seien jetzt Umsetzungsprojekte wichtiger, um in der Klimapolitik zu CO2-Reduzierungen zu kommen.
Eine Retourkutsche
Volker Quaschning, Energieforscher an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und Mitbegründer der Scientists-for-Future-Initiative, die sich an die Seite der protestierenden Schüler*innen stellte, hält es nicht für ausgeschlossen, dass die Kürzung der Gelder für Energiewende-Forschungsprojekte „auch eine Retourkutsche der CDU/CSU auf die Aktionen von Scientists for Future ist“. Schließlich hätten sich „unter den Erstunterzeichner*innen seinerzeit besonders viele Energiewendeforscher*innen“ befunden, äußerte sich Quaschning gegenüber der taz: „Beweisen lässt sich das natürlich nicht, aber nachdem die Forschungsgelder über viele Jahr recht planbar waren, ist dieser heimliche Sinneswandel doch recht auffällig.“
Das BMWi bekräftigte auf Anfrage der taz demgegenüber, dass die „Haushaltsmittel für die Energieforschung nicht gekürzt“ würden. Vielmehr würden die Reallabore – die bisher den „umsetzungsorientierten Bereich des Energieforschungsprogramms“ darstellten – „ab dem Haushalt 2020 im Wirtschaftsplan des Energie- und Kimafonds (EKF)ausgewiesen“ und erhielten „damit einen eigenständigen, sichtbaren Beitrag für die Energie- und Klimawende in Deutschland“. Der stärker akademische Bereich der klassischen Forschungsfelder verbleibe im BMWi-Haushalt. „Insgesamt werden durch den Deutschen Bundestag für das Energieforschungsprogramm des BMWi durch diesen Schritt nicht weniger, sondern mehr Bundesmittel zur Verfügung gestellt“, so die Sprecherin des Altmaier-Ministeriums.
FVEE-Geschäftsführer Martin hält dagegen: „Das zentrale Problem sind die völlig unerwartet um 90 Prozent gekürzten Verpflichtungsermächtigungen für das Jahr 2021 und die Kürzungen der Folgejahre.“ Mit ihnen könnten „die Projektträger keine Finanzpläne für die üblicherweise mehrjährigen Projekte darstellen“. Das werde angedachte Projekte ins Schleudern bringen.
Noch drastischer war der Einschnitt, der zur Jahreswende bei den Flaggschiffen der Energieforschung im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stattfand. Von den vier Kopernikus-Projekten, die die Energiewende wissenschaftlich begleiten sollen, wurden nur drei in ihrer zehnjährigen Laufzeit verlängert. Beim Teilprojekt ENavi hingegen, das vor allem die gesellschaftlichen Auswirkungen mit einem Budget von 30 Millionen Euro in den letzten drei Jahren untersuchte, wurde dagegen „der Stecker gezogen“.
Noch Anfang letzten Jahres sei eine Evaluation des Projekts zunächst positiv verlaufen; allerdings sei „die Gesamtevaluation wegen mangelnder gesellschaftlicher Wirksamkeit kritisch ausgefallen“, erklärte Projektleiter Ortwin Renn vom Potsdamer Institut für Nachhaltigkeitsforschung IASS gegenüber der taz. Ein Neukonzept wurde vom BMBF angefordert, ein neuer Wettbewerb in Aussicht gestellt, der aber nie begonnen wurde. „Wir wurden bis Dezember hingehalten mit vielen Ankündigungen, die nicht umgesetzt wurden, und In-Aussicht-Stellung von Weiterführungsangeboten, die sich dann nie realisierten“, kritisiert Renn. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren einem andauernden Wechselspiel von Hoffnung und Enttäuschung ausgesetzt.“
Zum Jahresende musste er sein ENavi-Team entlassen, unter ihnen auch Mitarbeiter der zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende, die sich für neue Partizipationsformen der Gesellschaft an der Forschung einsetzt. „Das ist für mich eine der bittersten Erfahrungen in meinem Berufsleben gewesen“, so Renn. Über die Gründe für die Entscheidung erhielt die taz vom BMBF auf Anfrage keine Antwort.
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