Ulrich Chaussy über Oktoberfestattentat: „Wer hat da vertuscht und warum?“
Die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat sind beendet. Dem Journalisten Ulrich Chaussy reicht das nicht. Er fordert einen Untersuchungsausschuss.
taz: Herr Chaussy, Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit dem Oktoberfestattentat von 1980, haben viele Ungereimtheiten bei den Ermittlungen aufgedeckt. Jetzt hat der Generalbundesanwalt die erneuten Ermittlungen zu dem Fall eingestellt. Hat sie das überrascht?
Ulrich Chaussy: Nein, nur mit dem Zeitpunkt hatte ich nicht gerechnet. Es war ja seit langem um diese Sonderkommission Theresienwiese sehr still geworden. Ich wusste nicht, ob da fleißig gearbeitet wurde, oder ob die Ermittlungen nur so vor sich hin dümpelten.
Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?
Zumindest zeigt es mir, dass es nicht umsonst war, jahrzehntelang darauf hingewiesen zu haben, dass es völlig absurd war, wie dieses Attentat eingeordnet wurde: als ein Ereignis, das mit Politik und Rechtsextremismus überhaupt nichts zu tun haben soll. Der Täter Gundolf Köhler wurde als junger Mann beschrieben, der einfach nur frustriert war, Liebeskummer und keine Zukunftsperspektive hatte – und deshalb die Bombe hochgehen ließ. Die neuen Ermittler haben sich nicht mit diesem Psychogramm eines Verzweifelten abspeisen lassen und sind ganz klar zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser Anschlag rechtsextremistisch motiviert war.
Wobei der damalige Generalbundesanwalt Harald Range ja schon 2014, als er die Ermittlungen wieder aufnehmen ließ, vom „schwersten rechtsextremistische Attentat in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ sprach.
Das hat er mal eben salopp vorweggenommen und das vorliegende Ergebnis der alten Ermittler einfach negiert. Aber an etwas anderes hatte ja zu dem Zeitpunkt sowieso schon längst kein Mensch mehr geglaubt.
Die ersten Ermittlungen unmittelbar nach dem Attentat sind ziemlich desaströs gelaufen. Einer der größten Kritikpunkte war, dass sich die damalige Soko sofort auf die Einzeltäterthese eingeschossen hat. Aber auch jetzt kamen die Ermittler zu dem Schluss, es gebe „keine ausreichenden Anhaltspunkte für Mittäter oder Anstifter“.
Natürlich ist das frustrierend. Aber auch logisch: Man kann die heutigen Ermittler nicht dafür tadeln, dass die Kollegen damals nicht mal das Allernötigste unternommen haben. Das ist einfach nicht mehr reparabel. Klar schmerzt es, dass die entscheidenden Fragen noch immer offen sind: Wer waren Köhlers Stichwortgeber? Wer waren seine Kontakte? Dass man diese Fragen bei den ersten Ermittlungen abgewürgt hat, rächt sich jetzt.
Sie haben schon vor Jahren beschrieben, wie ein Hauptzeuge am Tag des Anschlags ein rund 20 Minuten dauerndes Gespräch Köhlers mit zwei Männern beobachtet hat. Ein anderer hat kurz vor der Explosion gesehen, wie Köhler mit den Insassen eines am Straßenrand haltenden Autos gestritten hat. Sind das keine „ausreichenden Anhaltspunkte“?
68, ist Rundfunkjournalist und recherchiert seit 1982 zu den Hintergründen des Oktoberfestattentats. Dafür hat er bereits mehrere Auszeichnungen bekommen. Im September erscheint das Buch „Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen. Wie Rechtsterrorismus und Antisemitismus seit 1980 verdrängt werden“ – eine aktualisierte und erweiterte Ausgabe seines Klassikers zum Anschlag auf die Wiesn.
Doch, nach meiner Auffassung natürlich schon. Es gibt bei den Schlüssen, zu denen die neuen Ermittler kommen, schon einige Punkte, die ich so nicht stehen lassen will. Zum Beispiel auch die Sache mit der Hand.
Sie meinen die fast unversehrte abgetrennte Hand, die ein Polizist ein paar Stunden nach der Detonation in der Nähe des Tatortes gefunden hat.
Genau. Die wurde bei den ersten Ermittlungen als Hand Köhlers bezeichnet. Und dem haben sich die neuen Ermittler nun angeschlossen. Dabei hat ein Sprengstoffexperte des Bundeskriminalamtes, den ich dazu befragt habe, eindeutig dargelegt, dass das naturwissenschaftlich schlicht unmöglich ist.
Die Wucht der Explosion muss Köhlers Hände komplett pulverisiert haben. Dass die Hand zu jemandem anderen gehört haben muss, belegte ja im übrigen auch die damalige serologische Analyse. Das verlangt danach, solide untersucht zu werden.
Vermuten Sie, dass es sich um die Hand eines Mittäters gehandelt haben könnte?
Ich habe da keine Theorie, ich will nur, dass alle Anstrengungen unternommen werden, das rauszufinden. Ich bin mir nicht sicher, ob die neue Soko das gemacht hat. Irritierend fand ich auch, wie deren Ermittler sich anfangs gegenüber Zeugen benommen haben, die ich der Bundesanwaltschaft benannt hatte. Gerade bei dem ehemaligen Polizisten, der die Hand gefunden hatte, gab es ein Auftreten, das eine tiefe Voreingenommenheit der vernehmenden Ermittlungsbeamten hat erkennen lassen. Das hat mich schon zum Stirnrunzeln gebracht.
Die jetzige Soko konnte auch nicht feststellen, dass der Erfolg von Ermittlungsmaßnahmen vereitelt wurde.
Der Bombenanschlagam Haupteingang des Münchner Oktoberfests vom 26. September 1980 gilt als das schwerste Attentat in der Geschichte der Bundesrepublik. 13 Menschen kamen ums Leben, über 200 wurden verletzt.
Die Ermittler kamen damals zu dem Ergebnis, dass der Täter, der Student Gundolf Köhler, alleine und aus persönlichen Motiven gehandelt habe. Dabei hatte dieser enge Kontakte zur rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann.
Im Jahr 2014ließ Generalbundesanwalt Harald Range die Ermittlungen erneut aufnehmen. Jetzt wurden die erneuten Ermittlungen eingestellt – mit dem Ergebnis, dass die Tat nun als eindeutig rechtsextrem eingeordnet wird. Hinweise auf Mittäter hätten sich allerdings nicht ergeben.
Das ist schlicht und ergreifend falsch. Der Staatsschutzchef im bayerischen Innenministerium, Hans Langemann, hat einer Zeitschrift unmittelbar nach der Tat schon den Namen Köhlers verraten. Als dann die Ermittler in dessen Heimatort Donaueschingen kamen, waren dort bereits alle gewarnt, auch derjenige, dem die Ermittler das Psychogramm des verzweifelten, unpolitischen Einzeltäters abkauften und den sie quasi zum Kronzeugen erhoben. Sie alle hatten dadurch die Möglichkeit, Spuren zu verwischen, Aussagen abzusprechen und so fort. Genau das war die Folge dieses damaligen Ermittlungsverrats.
Wäre es nicht an der Zeit, das Kapitel zu schließen und den Historikern zu überlassen?
Für mich stellt sich immer noch die Frage: Wer hat da vertuscht und warum? Das ist eine Frage, von der ich mir wünschte, sie würde auch andere Leute nicht in Ruhe lassen. Nur im Fall des Ministerialbeamten Langemann lässt sich das bisher klar an einer Person festmachen. Es gab ja bei den damaligen Ermittlungen noch mehr Vorgänge, die nur mit Schlamperei oder Zufall nicht zu erklären sind. Dazu gehört auch das Verschwinden der DNA-haltigen Asservate.
Wenn bestimmte Spuren so systematisch getilgt worden sind, muss das untersucht werden. Ich möchte darauf vertrauen können, dass nach einer terroristischen Tat alle Kräfte sich darum bemühen, diese aufzuklären. Und wenn es Hinweise darauf gibt, dass stattdessen vertuscht wird, muss man dem doch nachgehen.
Aber wer sollte das jetzt tun?
Jetzt ist die Stunde des Parlaments. Ich fände einen Untersuchungsausschuss nicht schlecht.
Im bayerischen Landtag? Oder im Bundestag?
Das kann gerne beides sein. Es war ein Verbrechen, das in Bayern stattfand, das aber auch bundesweite Bedeutung hatte, es ist nach wie vor der schwerste Terroranschlag in der bundesdeutschen Geschichte.
Die offizielle Einordnung der Tat als rechtsextremer Terror erleichtert eine Entschädigung der Opfer. SPD und Grüne haben bereits einen entsprechenden Fonds gefordert, genau wie der Opferanwalt Werner Dietrich.
Das unterstütze ich. Die beste Nachricht zum Ende dieser Ermittlungen ist ja, dass die Opfer nun wissen, warum sie hier Angehörige verloren, warum sie Verletzungen erlitten haben: weil im politischen Raum dieses extremistische Potenzial hat heranwachsen können.
Die kollektive Verantwortung zu sehen und anzuerkennen heißt eben auch, dass man sich jetzt Dinge überlegen muss, um den Opfern zu helfen. Als die Opfer es am nötigsten hatten, waren sie alleine. In den Achtzigern hat sich keiner um sie gekümmert, sie mussten sehen, wie sie mit der Situation zurecht kamen. Eigentlich ist es ja schon zu spät. Aber was jetzt noch getan werden kann, das soll getan werden.
Oberbürgermeister Dieter Reiter will, dass die Opfer aus Fonds des Bundes entschädigt werden.
Ich hätte noch eine weitere Idee: Die Leute sollen ja – sobald es Corona zulässt – gern weiterhin auf die Wiesn gehen, feiern und die Flucht aus dem Alltag genießen. Aber wenn man ein bis zwei Cent auf die Mass und das Hendl drauflegt, die in den Opferfonds getan werden, dann hat man pro Jahr ganz schnell 150.000 Euro zusammen.
Das wäre eine Form der Solidarität, die auch von den Opfern Kenntnis nimmt. Dieser Anschlag hätte damals jede und jeden treffen können. Es wird ja immer viel über die Bierpreiserhöhungen auf der Wiesn geredet und geschimpft. Aber wüssten Sie eine bessere Begründung für eine Bierpreiserhöhung?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles