Ukrainsche Fußballikone in Russland: In der Heimat verhasst
Anatoli Timoschtschuk, einer der größten Fußballstars in der Ukraine, fühlt sich mit Russland verbunden. Ein Absturz bis zum Zenit.
Das Bild war ein Schock für die Menschen in der Ukraine: Anatoli Timoschtschuk, einst gefeierter Spieler vieler ukrainischer und europäischer Topklubs sowie der ukrainischen Nationalmannschaft, hält ein von ihm signiertes Trikot in die Kameras. Die Aufnahme zeigt den heute 45-jährigen Co-Trainer des russischen Meisters Zenit St. Petersburg bei einer Spendenauktion. „Der Erlös geht in die Region Kursk“, erklärten die Organisatoren der Auktion des Trikots mit der Aufschrift „Leningrad – Heldenstadt“, das Timoschtschuk beim Freundschaftsspiel von Zenit gegen den kasachischen Klub FC Quairat Almaty getragen hatte.
Das Trikot wurde für den stolzen Betrag von 700.000 Rubel (ca. 6.800 Euro) versteigert. Der einstige Superstar des ukrainischen Fußballs, der von 2009 bis 2013 beim FC Bayern München gespielt hat, als Unterstützer derjenigen, die in sein Heimatland einmarschiert sind? Die Empörung darüber in der Ukraine war entsprechend groß.
Timoschtschuks Ex-Frau Nadjeschda Nawrozkaja, die mit ihren Töchtern in München lebt, meint dazu: „Anatoli ist sehr kreativ, wenn es darum geht, möglichst tief zu fallen. Er findet immer neue Abgründe. Mich kann das nicht mehr überraschen.“ Sie spricht über die Situation in der Region Kursk, über den Angriff ukrainischer Truppen, die das Ziel hätten, die Russen zum Abzug von Besatzungstruppen aus dem Donbass zu bewegen und dem ukrainischen Präsidenten bei möglichen Waffenstillstandsverhandlungen Trumpfkarten zu verschaffen. Und dann komme Timoschtschuk und grätscht von hinten. „Aber ich bin nicht überrascht. Anatoli tut, was ihm gesagt wird. Das ist doch offensichtlich, dass die Aktion vom Klub organisiert worden ist“, sagt Nawrozkaja.
Es ist noch nicht lange her, da wurde Timoschtschuk in der Ukraine verehrt. Er gilt als einer der besten Fußballspieler in der Geschichte des Landes. 16 Jahre lang war er Nationalspieler, bestritt 139 Länderspiele – mehr als jeder andere in der Geschichte des ukrainischen Fußballs. Im Ausland zeigte er stets, aus welchem Land er kommt, bändigte seine Haare mit blau-gelben Bändern. Timoschtschuk wurde im westukranischen Luzk geboren, wurde später Kapitän von Schachtar Donezk. Mit Zenit St. Petersburg gewann er 2008 den Uefa-Pokal, mit dem FC Bayern 2013 die Champions Leauge. Danach kehrte er zu Zenit St. Petersburg zurück.
Anatoli Timoschtschuk
Er vermied das Wort Krieg
Auch nachdem Russland 2014 die Krim und einen Teil des Donbass besetzt hatte, blieb er in Russland. Timoschtschuk hat sich lange nicht zur russischen Aggression in der Ukraine geäußert. Auch nicht, als er mit anderen Nationalspielern ein Krankenhaus besuchte, um verwundete ukrainische Soldaten zu besuchen. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 äußerte er sich fast ein Jahr lang nicht über den Krieg. Als er endlich etwas sagte, vermied er das Wort Krieg und verwendete die in Russland gebräuchliche Abkürzung SVO für „militärische Spezialoperation“: „Die Tatsache, dass ich über die SVO schweige, sagt nicht darüber aus, ob ich sie unterstütze oder nicht. Jeder hat seine eigene Position. Meine ist, dass nicht alles so einfach ist, deshalb versuche ich, nicht darüber zu reden.“
In einem anderen Interview sagte er, dass er keinen Unterschied zwischen Ukrainern und Russen spüre. In der Ukraine machte er sich damit keine Freunde. „Timoschtschuk, wo bist du nur gelandet? Für wen sprichst du? Hast du die ukrainischen Farben damals einfach so auf deine Wangen gemalt?“, fragte etwa Alexander Alijew, ein ehemaliger Nationalspieler, der heute in der Armee dient. Der derzeitige Kapitän der Nationalmannschaft, Andrei Yarmolenko, suchte Kontakt zu Timoschtschuk: „Ich habe ihm geschrieben und gefragt: Wie schläfst du? Seine Antwort: Ich kann genauso wenig schlafen wie du. Dann habe ich ihn angerufen und gefragt: Warum sagst du nichts über den Krieg? Du warst ein Vorbild für mich, ich habe zu dir aufgeschaut. Jetzt existierst du nicht mehr in meinem Leben.“
Tatsächlich versucht die Ukraine, Timoschtschuk aus der Sportgeschichte zu tilgen. Schon 2022 wurde ihm das Recht auf jegliche Fußballaktivität in der Ukraine entzogen. Außerdem wurde er aus dem offiziellen Register der Nationalspieler gestrichen. Er verlor seine ukrainische Trainerlizenz, alle Titel wurden ihm aberkannt. Timoschtschuk klagt vor dem Sport-Schiedsgericht dagegen. Eine Entscheidung steht noch aus.
Am 30. März 2022, an Timoschtschuks Geburtstag, entzog ihm der Stadtrat von Luzk den Titel als „Ehrenbürger der Stadt“. Kürzlich berichteten Medien über den Versuch Timoschtschuks, sich einen rumänischen Pass zu verschaffen. Dafür soll er gefälschte Dokumente vorgelegt haben. Timoschtschuks ehemaliger Berater Witali Jurtschenko vermutet, dass er die Staatsbürgerschaft eines EU-Landes anstrebe, um finanzielle Sanktionen für sich zu vermeiden und sich ungehindert in der Welt bewegen zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen