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Ukrainischer Alltag im Krieg Im Schutzraum zu Techno tanzen

Trotz Krieges und Bombenangriffen geht das Leben weiter. Ob beim Nachdenken über die Identität. Oder beim Feiern.

Kriegsalltag: Frauen im Kiew nutzen den U-Bahnhof als Bombenschutzraum Foto: Emilio Morenatti/ap

S chon seit einigen Tagen ist Cherson wieder Teil der Ukraine. Die Stadt ist jetzt frei. Ich habe mit Cherson immer Wassermelonen assoziiert. Schon jetzt stelle ich mir vor, wie wir wieder unsere Melonen essen werden. Melonen aus Cherson – ukrainische Melonen. Die Wassermelone ist das Symbol der Stadt. Sogar in der Werbung tauchen diese saftigen Kürbisgewächse mittlerweile auf.

Война и мир – дневник

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Aber ich bin in Kiew und habe aktuell keine Lust auf Wassermelonen. Im Sonderangebot habe ich eine Flasche Rum gekauft und warte mitten auf einer Wiese auf meine Freunde. Es sind ziemlich viele Leute da. Während ich was von dem Rum trinke, schaue ich mir an, wie die Jugendlichen um mich herum Spaß haben. Man kann die Worte „für Cherson“, „Ruhm der Ukraine“, „Ruhm der Nation“ hören. In diesem Augenblick verstehe ich, dass wir die Generation sind, die vor nichts Angst hat. Die Generation, die sich ihrer eigenen Identität bewusst ist, die weiß, wer sie ist und was uns alle verbindet.

Das Einzige, was ich nicht verstehe, war, warum sie noch immer zu russischen Liedern tanzten. Als ob es keine ukrainischen Künst­le­r*in­nen gäbe, keine gute ukrainische Musik. Aber vielleicht ist das schon so tief in uns verwurzelt, dass wir es gar nicht mehr bemerken. Klar, wir sind daran gewöhnt, diese bekannten russischsprachigen Künst­le­r*in­nen zu hören, die gerade in sind. Gewohnheiten sind schwer zu durchbrechen, aber Gewohnheiten machen uns auch kaputt.

Wir sprechen russisch, weil unsere Eltern so sprechen, und die sprechen so, weil auch ihre Eltern schon so gesprochen haben. Aber da waren die Zeiten auch andere. Und es scheint mir, dass gerade wir diese Kette durchbrechen können, dass wir unsere Identität zeigen, unsere Kultur. An der Front zeigen Menschen Haltung durch Taten, aber wir können unsere durch Worte zeigen. Wir haben alle den gleichen Wunsch. Nur ist dieser Weg schwer und braucht Zeit.

Alexandr Babakov

23 Jahre, Chemiker aus Mykolajiwka, Ostukraine. Studium in Kyjiw, lebte mit Kriegsbeginn zwischenzeitlich in Lwiw. Kehrte dann nach Kyjiw zurück. Hilft Jour­na­lis­t*in­nen vor Ort. Und schreibt selbst Berichte.

Ich hatte keine Lust mehr, darüber weiter nachzudenken. Deshalb beschloss ich, zum Feiern in einen Club zu gehen. Meine Freunde wollten nicht mit, sie wollten weiter trinken. Der Club ist in einem Kellerraum, in der Nähe des Denkmals für die Helden von Kruty. Innen gibt es zwei Bartresen und zwei Dancefloors mit unterschiedlicher Musik – dazwischen eine Raucherlounge. Im ersten Raum ist eine riesige Discokugel mit farbigen Lichteffekten, warm und angenehm und mit ebenso guter Musik. Im zweiten spielen sie Techno mit Scheinwerfern, Blitzen und monotonem Rhythmus. Mir gefällt der zweite.

Im Grunde hat sich nichts geändert, die gleichen Leute, die gleiche Musik, die gleichen Getränke. Der Unterschied besteht nur darin, dass man über Handybenachrichtigungen über einen Luftalarm daran erinnert wird, dass im Land Krieg herrscht. Dann stellt man fest, dass man sich ja schon in einem Kellerraum befindet, also in einem Schutzraum und damit bereits in Sicherheit. Und dann tanzt man weiter.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.

Ein Sammelband mit Tagebüchern ist im Verlag edition.fotoTAPETA erschienen

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