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Ukrainerinnen rausgeworfenEine Nacht im Volkspark

Der Sicherheitsdienst verwies drei Ukrainerinnen für eine Nacht ihrer Hamburger Zelt-Notunterkunft. Eine Aufklärung des Vorfalls steht aus.

Zelte für Geflüchtete aus der Ukraine in der Hamburger Schnackenburgallee Foto: Marcus Brandt/dpa

Hamburg taz | Der Abend des 16. November vergangenen Jahres ist drei ukrainischen Frauen in einer Hamburger Geflüchtetenunterkunft in bitterer Erinnerung geblieben. Nachdem sie für eine Nacht aus ihrer Unterkunft geworfen worden waren und eine Nacht im nahe gelegenen Volkspark verbringen mussten, wurde am nächsten Tag auch noch ihr Zelt durchsucht. Die genauen Umstände sind noch immer ungeklärt. Die Linksfraktion stellte dazu zwei parlamentarischen Anfragen an den Senat, doch die Unterschiede zwischen den Berichten der Frauen und den Antworten des Senats sind beträchtlich.

Die 32-jährige Inna D., die aus der Ostukraine kommt und seit letztem Juli in Deutschland ist, wohnte zu dem Zeitpunkt des Vorfalls zusammen mit elf weiteren Frauen in einer Unterkunft an der Schnackenburgallee. Diese wird vom Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Hamburg Altona und Mitte im Auftrag der städtischen Anstalt Fördern und Wohnen betrieben. Nachdem eine der Frauen aus dem Zelt wohl einen Konflikt mit einer anderen Bewohnerin hatte und von draußen zurückkehrte, seien kurz darauf zwei Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes unangekündigt und schreiend ins Zelt gestürmt. Es sei schon spät gewesen und sehr unangenehm, erzählt Inna mit ernstem Blick.

Auch der Chef der Sicherheitsleute sei ins Zelt gekommen und habe geschrien. Inna und die anderen Frauen verstanden kaum etwas, außer, dass jemand raus sollte. Als Inna begann, die Sicherheitsleute in dem Zelt zu filmen, sei der Chef aggressiv geworden und habe auch sie aufgefordert, das Zelt zu verlassen. Auf Deutsch, ohne, dass die Frauen verstehen konnten, was ihnen vorgeworfen wurde und bevorstand, habe der Sicherheitsdienst die Frauen für eine Nacht aus der Unterkunft verwiesen. Die hinzugezogene Polizei schickte die drei Frauen aus dem Zelt. Draußen fragten sie mit einem Online-Übersetzer, nach dem Grund des Verweises. Die Polizei antwortete, dass es eine Schlägerei gegeben habe. Inna widersprach.

Ein Angebot einer anderen Frau aus dem Zelt, auf Englisch zu übersetzen, habe die Polizei abgelehnt. Man sagte ihnen, dass sie erst am nächsten Tag, wenn sie wiederkämen, von der Unterkunft eine Begründung für den Verweis erhalten würden. In dem Moment habe man ihnen keine eindeutige Antwort auf die Frage gegeben. Letztlich seien die drei Frauen der Unterkunft verwiesen worden.

In einer Antwort an die Linke schreibt der Senat zu dem Vorfall, dass nach der Einschätzung der Polizisten „in Bezug auf die drei Frauen keine hilflose Lage im Sinne einer strafrechtlich relevanten Handlung vorlag“. Weiter heißt es: „In der Nacht von 16. auf den 17. November hat der Sicherheitsdienst den drei Frauen, die sich zu diesem Zeitpunkt noch hinter der Eingangsschranke aufhielten, eine Rückkehr in die Unterkunft angeboten, solange sie sich an die Hausordnung hielten, was diese zu diesem Zeitpunkt ablehnten.“

Fördern und Wohnen versichert, dass bei Haus- und Geländeverboten normalerweise immer eine Ersatzunterkunft zur Verfügung gestellt werde

Inna beschreibt das anders. Nachdem sie von den Polizisten hinaus geleitet worden seien und die Sicherheitsleute sie nicht mehr hinein gelassen hätten, mussten sie die Nacht im nahegelegenen Volkspark verbringen. Es regnete, war kalt und sie hatten Angst, weil sie sich nicht auskannten. Aber auch, weil sie ihre Rechte nicht kannten und nicht kommunizieren konnten. Sie fühlten sich nicht mehr sicher. Als sie um sechs Uhr morgens zurück in die Unterkunft durften, war ihnen kalt und sie erkälteten sich im Nachhinein schwer.

Susanne Schwendtke, Pressesprecherin von Fördern und Wohnen, sagt, dass bei Haus- und Geländeverboten normalerweise „immer eine Ersatzunterkunft zur Verfügung gestellt“ würde. In diesem Fall habe jedoch im Nachhinein nicht mehr aufgeklärt werden können, wieso den Frauen keine Ersatzunterkunft angeboten wurde. Das Verhalten entspreche nicht dem Standard und sie bedaure sehr, dass es dazu kam. Alle Beteiligten seien informiert und sensibilisiert worden. Die Frage, wie in den Unterkünften von Fördern und Wohnen sichergestellt werde, dass Bewohnende vor willkürlichem Verhalten des Sicherheitsdienstes geschützt sind, beantwortete sie nicht.

Am Abend des 17. November sei das Zelt der Frauen unangekündigt durchsucht worden, um nach Alkohol zu suchen, erzählt Inna weiter. Es sei bei den drei Frauen aber nichts gefunden worden. Hierzu schreibt der Senat jedoch, dass „eine Durchsuchung im Sinne der Beschwerdeführerinnen nicht durchgeführt wurde“, Mitarbeitende der Unterkunft hätten dazu keine Befugnisse.

Inna erzählt, an diesem Abend sei ihr gesagt worden, es wäre verboten gewesen, den Vorfall zu filmen. Man habe ihr gedroht, sie erneut der Unterkunft zu verweisen, wenn sie das Video nicht lösche, was sie aus Angst getan habe. Hierzu schreibt der Senat lediglich, dass der Sicherheitsdienst darum gebeten habe, das Handyvideo von einer Social-Media-Plattform zu entfernen, dem die Bewohnerin nachgekommen sei.

Fragen ohne Antwort

Zwei Tage lang versuchten die Frauen vergeblich, Antworten zu bekommen, und formulierten schließlich schriftliche Fragen zu dem Vorfall, auf die sie jedoch bis heute keine Antwort bekommen hätten. Im Nachgang kam es im Dezember zu einem Gespräch der drei Frauen mit dem Flüchtlingsrat, Personal von Fördern und Wohnen sowie dem DRK. Gegenüber der taz nahm Fördern und Wohnen zu den Aussagen der Frauen und den Diskrepanzen zu den Aussagen des Senats nicht Stellung.

Carola Ensslen von der Hamburgischen Linksfraktion sagt, es sei ein „großes Problem, auf die Sicherheitsdienste einzuwirken“. Eine Sensibilisierung dieser reiche nicht aus, da sie ein „ziemliches Eigenleben“ führten. Für sie sei entscheidend, „dass drei Frauen in die Nacht rausgeschmissen worden sind“. Ein triftiger Grund für einen solchen Verweis habe an diesem Abend nicht vorgelegen. Der Vorfall müsse aufgeklärt werden und Konsequenzen für die Handelnden haben. Außerdem sei eine Entschuldigung bei den Frauen fällig.

Auch Franz Forsmann vom Hamburger Flüchtlingsrat verurteilt den Vorfall: „Der durch das Grundgesetz garantierte Schutz des Wohnraums ist von den Mitar­bei­te­r*in­nen des Sicherheitsdienstes zu akzeptieren.“ Diese dürften ihre Macht nicht ausnutzen, um Menschen einzuschüchtern. Er kritisiert, dass der Hergang des Vorfalls nach zwei Anfragen der Linksfraktion noch immer nicht vollständig nachvollziehbar sei. Der Senat verharmlose und rechtfertige den Einsatz gegen die Frauen in seinen Antworten. Damit sich ein solcher Vorfall nicht wiederhole, sei eine „umfassende Aufarbeitung unter Einbeziehung der Betroffenen“ nötig. Auch müssten die Kompetenzen von Mit­ar­bei­te­r*in­nen der Sicherheitsdienste geprüft werden.

Inna ist noch immer erschrocken von den Erlebnissen dieser Nacht. Sie fühle sich nicht mehr sicher und hofft auf eine Aufklärung des Vorfalls. Außerdem wünscht sie sich eine zugänglichere Rechtsberatung.

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4 Kommentare

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  • Nachts alternativlos obdachlos aussetzen per Hausverbot gibt es auch in der Ukraine-Notunterkunft im Flughafen Berlin-Tegel. Besonders häufig trifft es dort Romnja.

    Die Zivilgesellschaft hat keinen Zugang zum Massenlager TXL, Willkommenskultur bleibt außen vor, striktes Besuchsverbot auf dem Flughafen.

    Auch in TXL ist das DRK Betreiber, die Auftraggeberin heißt Katja Kipping :-(

  • Bei den Werkstätten und Fundus der Hamburgischen Staatsoper an der Cornelia-Harte-Straße 11, 20539 Hamburg, liegt ein sehr großes Areal brach. Dort wird gerade ein riesiges Containerdorf aufgebaut, mit eigener Bushaltestelle, das ca. 5000 Geflüchteten, vornehmlich Ukrainerinnen und Afghanen zuflucht gewähren soll. Das Containerdorf ist fast fertig. Vielleicht entspannt sich die Situation dann etwas für die Geflüchteten

  • Vielen Dank für den Bericht! Laut Zeit war die Situation bereits im Oktober aufgrund von 100 Flüchtlingen pro Tag aus der Ukraine schon sehr angespannt. Es gab damals schon Zeltdörfer wie nach dem 2. Weltkrieg. Wie ist die Situation zurzeit?

    www.zeit.de/hambur...tete-migration-faq

    Wie sehen die Planungen des Hamburger Senats für die Zeit aus, wenn es in der Ukraine zu einer erneuten Offensive von Russland kommt? Migrationsforscher warnen vor einer weiteren großen Flüchtlingswelle.



    Der sich abzeichnende Flüchtlingsstrom müsste doch schon jetzt mit der Reservierung von weiteren Containerdörfern, der Planung der Einstellung von vielen weiteren Lehrern, Sozialpädagogen, Sicherheitsmitarbeitern beantwortet werden, damit eine große Flüchtlingswelle nicht über allen Beteiligten zusammenschlägt! Wie sieht es mit der Verteilung in andere Bundesländer aus? Wie gehen diese mit der Planung um?

    Und vor allem: all die Flüchtlinge, die zu Tausenden in Zelten, Pensionen etc. ausharren, müssen dauerhaft in Sozialwohnungen untergebracht werden.



    Gleichzeitig zieht der Hamburger Senat Millionen Euro aus den Gewinnen der Saga ab, statt teure Saga-Mieten zu senken. Der Wohnungsmarkt in Hamburg ist eine Katastrophe!



    Müsste das Wohnungsbauprogramm des Hamburger Senats nicht verdoppelt, verdreifacht werden, damit sich die Lage entspannen kann? Alle Politiker fahren beim Thema Wohnen auf Sicht, verdrängen die riesige Zahl derjenigen, die dringend Sozialwohnungen suchen.



    In die Bundeswehr sollen riesige finanzielle Summen fließen, aber die Lösung der Wohnungsproblematik, die eine direkte Folge des Krieges auf vielen Ebenen (Preise fürs Bauen stiegen massiv) ist, zeichnet sich nicht ab. Bundesbauministerin Geywitz sagt, mehr Geld fürs Bauen sei im überhitzten Markt falsch. Als ob sich Teuerung fürs Bauen nicht auch in Rüstungsindustrie und in anderen Bereichen auswirkt. Die Sozialwohnungsbaupolitik der SPD versagt im Bund und Bundesländern!

  • ... Alle Beteiligten seien informiert und sensibilisiert worden. ...

    Soso.

    Sofern die Angaben der Frauen nicht frei erfunden sind (und dafür gibt es keine Anhaltspunkte) muss man feststellen:



    - Es gibt also bei dem Verein keine standardisierten, beweiskonformen Prozeduren.



    - Es gibt offenbar auch keine rechtssichere Vorgehensweise.

    Also würde ich sagen: Falsche Leute am falschen Fleck.



    Falscher Verein mit unpassender Verantwortung.

    Da muss man sich fragen ob das DRK der richtige (Sub-)unternehmer für diese Aufgaben ist.



    Zumal offenbar ein Sub-Sub-Unternehmer für den "Wachdienst" bemüht werden musste.

    Oder um es direkt zu sagen: Was qualifiziert ausgerechnet das DRK hier als Subunternehmer tätig zu werden ?